"Die Technik ist nicht ausgereift genug, um nach dem Fahrverhalten eines Kunden dessen Kfz-Versicherungsprämie zu kalkulieren." So beginnt einen Mitteilung der R+V Versicherung von gestern. Mit diesem Satz fasst das Unternehmen eine Telematik-Studie zusammen. Projektleiter Marc-Oliver Matthias erläutert: "Die Systeme haben eindeutig Grenzen. Darüber hinaus fehlen die Bewertungsgrundlagen und Schadenerfahrungen, um die Daten sinnvoll auszuwerten." Die Befragung zeige zudem, dass nur 35 Prozent der rund 1.500 Teilnehmer der Studie einen solchen Tarif abschließen wollten. Mehr als 60 Prozent gehen davon aus, dass ihre Prämie dann günstiger ausfallen würde, berichtet der Versicherer. R+V betont deshalb, in absehbarer Zeit keinen telematikbasierten Versicherungstarif zu planen.
Zu dieser Entscheidung führte der erwähnte Feldversuch, für den der Kfz-Versicherer von April 2013 bis März 2014 ganze 1.500 Pkw kostenlos mit einer Telematik-Box ausgestattet hatte. Matthias beschreibt das Ziel der Studie: "Wir wollten wissen, ob die Daten wirklich zur Risikokalkulation geeignet sind. Konkret: Ob wir damit nach dem Beispiel ausländischer 'Pay as you drive'-Konzepte individuelle Versicherungstarife anbieten können." R+V gibt an, den Datenschutzes geprüft und die Teilnehmer der Studie befragt zu haben, unter welchen Umständen sie einen solchen Telematik-Tarif abschließen würden. Die Kunden konnten ihre Fahrdaten im Internet abrufen und erhielten folgenden kostenlosen Service: Automatischer Notruf bei Unfall, Diebstahlortung und elektronisches Fahrtenbuch. Die Transparenz für die Testteilnehmer hatte oberste Priorität, unterstreicht der Projektleiter: "Sonst funktioniert das System nicht. Der Kunde möchte mehr wissen als: Ihr Risikoscore ist 83."
Fahrmanöver führen ins Vage
In den 12 Monaten der Pilotphase legten nach R+V-Angaben die Pkw mehr als 25 Millionen Kilometer zurück und sammelten Daten. Das System soll auch kritische Fahrmanöver anzeigen können, wie starkes Bremsen und hohe Beschleunigungen. Die Analyse ergab demnach: Pkw mit einem vermeintlich gleichen Risiko weichen im Fahrprofil ab, was heutige Tarifsysteme nicht erfassen. Die Erklärung: Merkmale wie Straßentyp, Region oder Streckenlänge lassen sich systematisch auswerten. "Diese Daten helfen, das individuelle Risiko besser einzuschätzen", urteilt Matthias. "Hier liegen uns auch durchaus Erkenntnisse aus bisherigen Schadenverläufen vor." Doch bei Fahrmanövern hört es auf. Der Projekleiter räumt ein: "Die im Auto eingebauten Telematik-Boxen zeichnen das Fahrverhalten kleinteilig auf. Aber das System kann diese Daten nicht interpretieren." So lautet doch zum Beispiel eine Frage: Fährt jemand besonders risikoreich, weil er häufiger kräftig auf die Bremse steigt? Matthias schätzt daher ein: "Mit der vorliegenden Technik ist eine passgenaue Risikobemessung nicht möglich. In den bisher angebotenen 'Pay as you drive'-Tarifmodellen wird das oftmals toleriert oder nicht offen dargelegt."
Zahlen für die Nothilfe
Erfolge vermeldet der Versicherer für das automatischen Notrufsystems: Die Telematik-Systeme lösten bei starken und ungewöhnlichen Fahrzeugbewegungen einen Alarm bei einem Service-Center aus. Das prüfte rund 120 vermeintliche Unfälle, um Rettungs- oder Bergungsmaßnahmen einzuleiten. "Zum Glück gab es nur sehr wenige schwere Unfälle. Dabei konnten wir aber die Rettungszeit verkürzen und wichtige Hilfestellung leisten", fasst Matthias zusammen. In der Teilnehmer-Umfrage bekam der automatische Notruf die besten Noten, berichtet R+V. Zwei Drittel der Kunden konnten sich zudem vorstellen, für diesen Dienst künftig auch zu bezahlen. Diebstahlortung oder elektronisches Fahrtenbuch erwarten die Studienteilnehmer hingegen als kostenlosen Service. (kak)