Einkaufen nach neuen Regeln

02.07.2018 06:00 Uhr

Das in der EU geltende Mehrwertsteuerrecht wird sich bis 2022 wandeln. Dies hat unter anderem Einfluss auf Fahrzeugkäufe im Ausland. Bisher galt das "Reverse-Charge-Verfahren". Die Verhandlungen laufen.

_ Es ist wohl unbestritten, dass der europäische Binnenmarkt in Summe ein Erfolg ist. Die grundsätzlich gleichen umsatzsteuerlichen Regeln für den Ver- und Ankauf von Waren ins respektive aus dem EU-Ausland haben den grenzüberschreitenden Handel vereinfacht und deutlich belebt. Nichtsdestotrotz haben sich in der Praxis einige Problemfelder ergeben, die aus Sicht der Europäischen Kommission nun eine Neuregelung des europäischen Mehrwertsteuerrechts notwendig machen.

Status quo

Nach den aktuell gültigen Regeln wird eine Warenlieferung über Grenzen innerhalb des europäischen Gemeinschaftsgebiets bei dem liefernden Händler umsatzsteuerfrei gestellt. Hierfür muss der liefernde Händler je nach Land unterschiedliche Nachweise für die Steuerfreiheit erbringen. Daher kann es passieren, dass man unterschiedlich umfangreiche oder auch verschiedene Unterlagen beibringen muss, damit der Lieferant die Waren umsatzsteuerfrei liefern kann.

Korrespondierend hierzu muss der Erwerber auch nur den Nettobetrag für den Kauf finanzieren. Allerdings wird der Käufer für den Ankauf zum Steuerschuldner. Mit diesem "Reverse-Charge-Verfahren" soll das sogenannte Bestimmungslandprinzip umgesetzt werden. Das heißt, dass die Ware dort der Umsatzsteuer unterworfen werden soll, wo sie genutzt beziehungsweise verbraucht wird. Hierzu muss der Käufer den innergemeinschaftlichen Erwerb in seinem Heimatland versteuern, darf sich aber - sofern er nach den allgemeinen Grundsätzen zum Vorsteuerabzug berechtigt ist - im gleichen Moment diese Erwerbssteuer als Vorsteuer wieder holen. Letztendlich findet hier also eine Art Nullsummenspiel statt.

Neue Pläne

Die bisherigen umsatzsteuerlichen Regelungen zum europäischen Binnenmarkt waren ursprünglich nur als Übergangslösung gedacht. Vor diesem Hintergrund sowie verschiedener in der Praxis aufgetretener Problemfelder (zum Beispiel Umsatzsteuerbetrug bei den Fahrzeuglieferungen) hat die Europäische Kommission nun einen umfassenden Vorschlag zur Reformierung des Mehrwertsteuerrechts vorgelegt, der nach ihren Planungen bis spätestens 2022 umgesetzt werden soll. Zu diesem Zweck soll rund die Hälfte aller Paragraphen der europäischen Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie - quasi das Grundgesetz des europäischen Mehrwertsteuerrechts - geändert werden.

Wesentliches Element der von der Kommission geplanten Neuregelung ist die Umsetzung des Bestimmungslandprinzips dahingehend, dass der Lieferant an Unternehmer im EU-Ausland nicht mehr umsatzsteuerfrei liefert. Stattdessen soll der Lieferant nunmehr grundsätzlich die ausländische Umsatzsteuer des Bestimmungslandes in Rechnung stellen, vereinnahmen und an eine zentrale Finanzbehörde seines Heimatlandes melden und abführen. Dafür soll dann zukünftig die Zusammenfassende Meldung entfallen. Im Umkehrschluss muss nun der Käufer künftig den Bruttobetrag an seinen Lieferanten zahlen, kann sich die gezahlte Steuer ganz normal über die Umsatzsteuer-Voranmeldung seines eigenen Heimatlandes als Vorsteuer wieder holen. Zu beachten ist für den Erwerber daher künftig im Grundsatz nur, dass die Umsatzsteuer dann zwischenfinanziert werden muss.

Die größeren Herausforderungen warten in diesem Szenario sicherlich auf die Lieferanten. Schließlich muss bei diesen sichergestellt sein, dass stets alle aktuellen Mehrwertsteuersätze im System hinterlegt sind und auch verbucht und gemeldet werden können. Hierzu müssen in der Buchführung beispielsweise die Erlöse jedes Landes separat verbucht werden. Zudem stellt sich insbesondere beim Handel mit Verbrauchern die Frage, ob je nach Käuferland unterschiedliche Bruttopreise verlangt werden oder ob eine Mischkalkulation notwendig wird.

Sonderregelung

Inkonsequenterweise will die Europäische Kommission keine einheitliche neue Regelung, sondern ein System mit einer Ausnahme schaffen. So soll es weiterhin möglich sein, dass der Lieferant umsatzsteuerfrei liefert und der Käufer mittels des Reverse-Charge-Verfahrens den Erwerb versteuern muss. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass es sich bei dem Kunden um einen zertifizierten Steuerpflichtigen, das heißt um einen von der Steuerverwaltung als zuverlässig angesehenen Steuerzahler handelt. Nur dann soll die Ausnahme in Kraft treten, dass der Erwerb der Waren mehrwertsteuerpflichtig ist.

Will man also zukünftig als Einkäufer das bisherige System beibehalten und die Zwischenfinanzierung der Umsatzsteuerbeträge vermeiden, bleibt keine andere Wahl, als sich rechtzeitig solch ein Zertifikat vom Finanzamt zu besorgen und - nach unseren Erfahrungen zu urteilen - sich dieses in regelmäßigen Abständen erneuern zu lassen. Bürokratieabbau sieht anders aus! Auch die Zuverlässigkeit solch einer Bescheinigung ist zumindest zweifelhaft. Wie will denn die Finanzverwaltung beispielsweise bei der Neugründung einer Gesellschaft beurteilen, ob der Steuerpflichtige zuverlässig ist? Erfahrungswerte mit diesem Unternehmen wird es jedenfalls nicht geben.

Compliance

Nichtsdestotrotz ist zu erwarten, dass die Bescheinigung auch von dem einen oder anderen Lieferanten aktiv angefordert werden wird. Schließlich ist nicht auszuschließen, dass in Konzernen mit ausgeprägter Compliance-Kultur die interne Vorgabe gemacht werden könnte, nur mit "steuerlich vertrauenswürdigen" Unternehmen Geschäfte zu machen. Weiterhin ist denkbar, dass manche Unternehmen die Bescheinigung schon aus dem Grund beantragen, um aus Marketinggründen als "amtlich bestätigter vertrauenswürdiger" Geschäftspartner zu gelten.

Ist Handlungsbedarf vonnöten?

Akuter Handlungsbedarf besteht derzeit noch nicht. Denn die vorstehend beschriebenen Lösungen sind noch nicht final. Der Legislativvorschlag wird nun zunächst den Mitgliedstaaten im Rat zur Zustimmung und dem Europäischen Parlament zur Stellungnahme vorgelegt.

Hierbei können sich durchaus noch Änderungen ergeben. Allerdings gilt es, das Thema aufmerksam zu verfolgen, da die Europäische Kommission hier zuletzt ein erstaunliches Tempo vorgelegt hat und den erheblichen Arbeitsaufwand zur umfangreichen Überarbeitung der Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie sicherlich nicht im Sande des Gesetzgebungsverfahrens versickern lassen will.

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