Klimaschutz braucht mehr Mut

04.11.2019 06:00 Uhr

Die Verkehrswende umweltfreundlich und bezahlbar gestalten: Mit ihrem Klimapaket will die Bundesregierung dies nun angehen. Grünen-Verkehrssprecher Stephan Kühn hält wenig von den Plänen.

Das Credo von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer lautet: ermöglichen statt verbieten. Er wirft den Grünen vor, die Allgemeinheit zu bevormunden. Lassen Sie sich diesen Vorwurf gefallen? Stephan Kühn: Der Vorwurf ist haltlos. Wir Grüne wollen klimafreundliche, sichere und bezahlbare Mobilität für alle ermöglichen. Und die Wahrheit ist doch: Die gesamte Organisation des Verkehrs funktioniert durch Gebote und Verbote. Stellen Sie sich vor, welches Chaos entstehen würde, wenn es in Deutschland die Straßenverkehrsordnung nicht geben würde.

Das würde dann vermutlich auch Herrn Scheuer nicht gefallen.

S. Kühn: Es gibt Verbote, die der Bundesverkehrsminister mitverantwortet hat und die absolut sinnvoll sind, zum Beispiel die geplante StVO-Neuregelung in diesem Jahr, dass Notbremsassistenzsysteme in Lkw nicht mehr abgeschaltet werden dürfen. Laute Güterzüge werden ebenfalls zu Recht verboten. Ein anderes Beispiel, bei dem Scheuer auf EU-Ebene sogar der Treiber war: Ab dem Jahr 2022 werden Abbiegeassistenten in allen neuen Fahrzeugtypen im Straßengüterverkehr Pflicht. Scheuers Rhetorik, um dem politischen Mitbewerber eins mitzugeben, soll wohl von eigenen Versäumnissen ablenken. Auf der Sachebene kommen wir damit nur leider nicht weiter.

Was würden Sie dem - ganz sachlich - erwidern?

S. Kühn: Andreas Scheuer hätte die Chance, sich zu profilieren als der Minister, dem es gelingt, in Deutschland die Verkehrswende einzuleiten. Er verantwortet immerhin den größten Investitionsetat des Bundes. Das bedeutet, er hat riesige Gestaltungsmöglichkeiten. Leider nutzt er sie nicht. Die Gesellschaft ist da eindeutig weiter als seine Politik.

Das klingt jetzt sehr beherrscht. Sie haben ihn auf Twitter kürzlich als "klimapolitischen Geisterfahrer" kritisiert, ihm Verbrauchertäuschung beim Abgasskandal und Verfassungsbruch bei der Pkw-Maut vorgeworfen.

S. Kühn: Aus meiner Sicht hat er beim Abgasskandal versagt, weil er sich nicht als Anwalt der Verbraucher engagiert hat, sondern als Kumpel der Autoindustrie aufgetreten ist. Die Software-Updates sind bis heute nicht vollständig umgesetzt, mit Hardware-Nachrüstungen kann erst jetzt begonnen werden, vier Jahre nach Bekanntwerden des Skandals. Spätestens nach dem Pkw-Maut-Desaster hätte der Verkehrsminister zurücktreten müssen, weil er bayerische Interessen über die aller Steuerzahler gestellt und Verträge mit den Betreibern Kapsch und CTS Eventim abgeschlossen hatte, bevor Rechtssicherheit bestand. Er hat für das CSU-Prestigeprojekt sogar enorm nachteilige Vertragsbedingungen für den Bund billigend in Kauf genommen. Deutschland droht ein finanzielles Debakel in Millionenhöhe - dieses Geld fehlt am Ende im Bundeshaushalt zum Beispiel für Investitionen in die Infrastruktur. Dafür muss der Bundesverkehrsminister die Verantwortung tragen.

Stichwort: Verkehrsetat. Scheuer muss nun überlegen, wie er Pkw-Maut-Einnahmen in dreistelliger Millionenhöhe pro Jahr kompensiert. Kann das überhaupt gelingen?

S. Kühn: Der geplante Bundeshaushalt 2020 ist Zeugnis einer Stillstandspolitik. Es soll vor allem der Straßenbau profitieren, während die Förderung der Schiene über bloße Lippenbekenntnisse nicht hinausgeht. Die rückwärtsgewandte Mittelverteilung im Entwurf für den neuen Verkehrsetat zeigt: Scheuer ist lediglich ein Ankündigungsminister. Der Etat kann auch deshalb nicht so bleiben, weil die Beschlüsse des Klimakabinetts der Bundesregierung noch eingepreist werden müssen.

Wo sind Bundesmittel aus Ihrer Sicht zum Beispiel falsch eingesetzt?

S. Kühn: Die Prioritäten und die Größenordnungen stimmen nicht. Es ist richtig, zum Beispiel die Anschaffung CO2-armer Nutzfahrzeuge oder die Elektrifizierung des Schienennetzes zu fördern. Nur sind die dafür jeweils eingestellten zehn Millionen Euro im Jahr ein Tropfen auf den heißen Stein. Da muss die Bundesregierung mehr investieren, sonst bleiben das Alibiveranstaltungen.

Das Klimaschutzpaket sieht neben den 86 Milliarden Euro, die der Bund und die Deutsche Bahn in den nächsten zehn Jahren in das Schienennetz investieren wollen, weitere Maßnahmen zur Modernisierung vor. Wie zuversichtlich sind Sie, dass dadurch bald mehr Güter auf der Schiene fahren?

S. Kühn: Die 86 Milliarden Euro sind für den Erhalt und die nachholende Sanierung der Schienenwege vorgesehen. Die Bahn erhält von 2020 bis 2030 zudem jährlich eine Milliarde Euro zusätzliches Eigenkapital. Das Geld darf nicht unkonditioniert fließen, sonst verschwindet es im schwarzen Loch namens Stuttgart 21. Wir brauchen eine massive Erhöhung des Marktanteils der Schiene im deutschen Güterverkehr. Die Deutsche Bahn selbst will ihn von heute 18 auf 25 Prozent im Jahr 2030 steigern. Das ist sehr sportlich und nur zu erreichen, wenn jetzt wirklich die Engpässe im Netz angepackt werden.

Was halten Sie von den Eckpunkten des Klimaschutzprogramms 2030?

S. Kühn: Mit dem mutlosen Klimapaket verabschiedet sich die Bundesregierung vom Pariser Abkommen. Gerade im Verkehrssektor wird es so nicht gelingen, 40 Prozent CO2 bis 2030 einzusparen. Das fängt beim CO2-Preis an, der ab 2021 lediglich zehn Euro pro Tonne CO2 betragen soll. Der Aufschlag auf die Kraftstoffpreise wäre geringer als die täglichen Preisschwankungen an den Tankstellen. Dazu kommt die geplante Erhöhung der Pendlerpauschale. Die ökologische Lenkungswirkung ist damit null.

Wie hoch müsste der CO2-Preis sein, um eine Wirkung zu zeigen?

S. Kühn: Wissenschaftler sagen, man müsste bei 40 bis 50 Euro pro Tonne CO2 beginnen, um Anreize für klimafreundliche Technologien zu schaffen. Nach den Plänen der Bundesregierung erreichen wir diesen Preis nicht mal im Jahr 2025. Es geht nicht um zusätzliche Steuereinnahmen, sondern darum, CO2 zu vermeiden. Die Einnahmen der CO2-Bepreisung würden wir über ein Energiegeld und eine Senkung der Stromsteuer an die Bürger zurückzahlen. Das generelle Problem ist aus meiner Sicht allerdings, dass immer noch die alten Technologien steuerlich stärker subventioniert werden, als die neuen Technologien gefördert werden. Deshalb funktioniert der Umstieg auf umweltfreundlichere Alternativen im Straßenverkehr nicht.

Sie meinen damit auch den Steuerrabatt für den Diesel?

S. Kühn: Genau. Deutschland hat den Dieselkraftstoff in den vergangenen zehn Jahren mit 76 Milliarden Euro steuerlich subventioniert. Im gleichen Zeitraum sind für alternative Kraftstoffe, Elektromobilität und Brennstoffzellen-Technologie aus Bundesmitteln nur fünf Milliarden Euro investiert worden. Die Bundesregierung setzt auf Anreize durch Förderprogramme, was an verschiedenen Stellen richtig ist. Aber ohne ein Preissignal auf der anderen Seite, bei den klimaschädlichen Technologien, wird niemand dazu bewegt, umzusteigen.

Das heißt, ohne Verbote geht es also auch nicht voran?

S. Kühn: Jedenfalls wird es ohne klare Preissignale nicht gehen. Wir brauchen ein Bonus-Malus-System, damit zum Beispiel Spritschlucker wie SUV und Geländewagen bei der Kfz-Steuer für ihre Umweltschäden geradestehen. Nur alles zu verbilligen und bezuschussen, das wird mit einer schwarzen Null im Bundeshaushalt nicht funktionieren. Die Bundesregierung rechnet wegen der abflachenden Konjunktur mit weniger Steuereinnahmen und will gleichzeitig Milliarden in den Klimaschutz investieren und den Solidaritätszuschlag abschaffen. Diese Rechnung geht nicht auf.

Die Bundesregierung wählt einen technologieoffenen Ansatz und will im Straßenverkehr alle alternativen Antriebsarten fördern. Sie gelten als Befürworter der Elektromobilität. Warum?

S. Kühn: Wenn wir unsere Klimaschutzziele im Verkehrssektor erreichen wollen, werden wir sowohl die Elektromobilität als auch biogene oder synthetische Kraftstoffe auf Basis von Wasserstoff brauchen. Brennstoffzellen-Fahrzeuge sind allerdings noch nicht serienreif im Markt verfügbar und teurer. Bei E-Fuels gibt es nur Pilotanlagen, aber keine industrielle Produktion. Mit der batterieelektrischen Mobilität haben wir jedoch heute schon eine Technologie, mit der die Autohersteller in großen Stückzahlen produzieren können. Aus meiner Sicht ist es ohnehin am effizientesten, Strom direkt zu nutzen, also in Elektrofahrzeugen.

Eine größere Bandbreite könnte es aber bei der Maut geben. Wenn diese für große Lkw teurer werden soll, wäre dann nicht eine Ausweitung auf Klein-Lkw und 3,5-Tonner fair und sinnvoll?

S. Kühn: Absolut! Auf der A 4 bei Dresden sehe ich regelmäßig, dass der Trend im Straßengüterverkehr zu kleineren Fahrzeugen geht, die bisher keine Lkw-Maut zahlen. Deshalb wäre ich für eine Mautausweitung auf die Kategorie zwischen 3,5 und 7,5 Tonnen. Zudem müssen wir verhindern, dass Sozialstandards missachtet werden, und ungleichen Wettbewerbsbedingungen vorbeugen.

Herr Kühn, herzlichen Dank für das Interview.

Zur Person

Stephan Kühn, geboren am 6. September 1979 in Dresden, ist seit 1998 Mitglied bei Bündnis 90/Die Grünen. Nach einem Soziologiestudium an der Technischen Universität Dresden und einem Abschluss als Diplomsoziologe wurde er 2008 Referent der Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag. Dort arbeitete er bis zu seiner Wahl in den Deutschen Bundestag im Jahr darauf. Seither engagiert sich der Vater von zwei Kindern als verkehrspolitischer Sprecher der Partei für umweltfreundliche Mobilität - egal, ob auf der Straße oder Schiene. ag

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