_ Wie beeinflussen moderne Fahrerassistenzsysteme aus Ihrer Erfahrung das Fahrerverhalten?
Ralph Feldbauer: Für den Pkw-Bereich sehen wir nach statistischen Auswertungen zwar einen erfreulichen Anstieg des Ausstattungsgrads bei Neufahrzeugen, allerdings liegt dieser immer noch erst im Bereich von unter 20 Prozent, mit nochmals unterschiedlicher Gewichtung innerhalb der verschiedenen Sicherheitssysteme. Für uns als Riskmanager - mit dem klaren Ziel der Schadenprävention - dürfte dieser Wert durchaus noch weiter und schneller ansteigen. Selbstverständlich auch deshalb, weil wir grundsätzlich alle präventiven Sicherheitsthemen forcieren und die positiven Wirkungswerte der Fahrerassistenzsysteme erkennen.
Ohne hier auf Einzelanalysen der jeweiligen Verhaltensauswirkung eingehen zu können, lässt sich aus meiner Erfahrung als Riskmanager belegen, dass die Fahrerassistenzsysteme einen positiven Einfluss auf das Fahrverhalten der Dienstwagenfahrer im Flottenbereich haben. Alleine schon deshalb, weil solche Systeme im Fahrzeug verbaut und damit unmittelbar bei jedem Fahrvorgang für den Fahrer zumindest präsent sind. Die Wahrnehmung technischer Systeme, die auf Risiken und Gefahren hinweisen, wirken schon auf eine Bewusstseins- und oftmals auf eine Verhaltensänderung hin.
_ Können Sie Auswirkungen auf das Unfallrisiko beziehungsweise die Unfallhäufigkeit durch Fahrerassistenzsysteme beobachten?
R. Feldbauer: In der Breite kann ich Ihnen dazu aktuell keine fundierten Zahlen liefern. Dafür müssten die einzelnen Fahrerassistenzsysteme getrennt betrachtet werden. Wie Sie aber wissen, ergab die gezielte Allianz-Studie für den Bereich der warnenden Parkassistenzsysteme überraschende Ergebnisse. So konnte man im Rahmen der fundierten Studie eine ähnliche Häufigkeit bei Park- und Rangierschäden feststellen, unabhängig davon, ob die Fahrzeuge mit einem warnenden System für den Fahrer ausgestattet waren oder nicht. In diesem Segment scheint dieses konkrete technische Assistenzsystem also noch nicht als Wunderwaffe gegen die Unfallhäufigkeit zu wirken.
Als Riskmanager können wir in der Praxis, insbesondere mit Bezug aus der intensiven Flottenerfahrung, immer wieder feststellen, dass ein wesentlicher Fakt zu den Wirkungswerten der Fahrerassistenzsysteme die Technik-Mensch-Schnittstelle ist. Wir sehen, dass der Fahrer die unterstützenden Systeme zwar inhaltlich verstehen, deren konkrete Bedienungs- und Anwendungsbereiche aber immer wieder trainieren muss, damit er diese während des Fahralltags effektiv nutzen kann.
Um das volle Technikpotenzial aus Sicht des Riskmanagements zu heben, ist es erforderlich, dass der Faktor Mensch mindestens gleichwertig im Fokus wie die Technik steht. Fundierte Informationen für den Fahrer, eine praxisorientierte Einweisung im Rahmen der Fahrzeugübergabe sowie eine laufende Unterweisung - beispielsweise im Rahmen der UVV - sind dafür ausgezeichnete Wege. Auch die Investition in spezielle Einzeltrainings - durchaus eingebettet im Fahreralltag - ist aus unserer Einschätzung hier immer lohnend. Spezielle Konzepte werden von uns gerade erarbeitet. Nur so kann die moderne Technik aus meiner Sicht menschliches Fahrfehlverhalten relativieren und im besten Fall dann auch optimieren.
_ Welche Rolle spielt die Ablenkung des Fahrers?
R. Feldbauer: Als eine der Hauptursachen für Verkehrsunfälle ist die Ablenkung am Steuer erst in den letzten Jahren in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gelangt. Wir haben hier mit einer Studie aus dem Allianz Zentrum für Technik meines Erachtens wesentlich zum Problembewusstsein beigetragen, eine umfassende zweite Untersuchung dazu werden wir im Herbst dieses Jahres veröffentlichen.
Grundsätzlich können wir festhalten, dass Ablenkung nun eine identifizierte Unfallursache ist, deren Entdeckungswahrscheinlichkeit aber noch sehr gering ist. Dies liegt auch daran, dass bedauerlicherweise in Deutschland das Merkmal bei der polizeilichen Unfallaufnahme nicht im Unfallursachenverzeichnis geführt wird.
Im Rahmen des professionellen Riskmanagements sprechen wir nach einem Unfall mit den Dienstwagenfahrern. Durch eine konkrete Unfallanalyse sind wir auf der Suche nach der eigentlichen Ursache hinter der eher kategorisierenden Schadensartenmeldung wie beispielsweise "Auffahren" oder "Spurwechsel". Verstärkt findet sich dann als Ergebnis die Ablenkung des Fahrers als wirklichen Grund für die Unaufmerksamkeit und dem daraus folgenden Unfallschaden. Insofern spielt die Ablenkung am Steuer - insbesondere beim Dienstwagenfahrer als Vielnutzer - eine wesentliche Rolle und gewinnt in unseren Präventionsberatungsansätzen im Firmenflottenbereich zwischenzeitlich ein hohes Gewicht.
_ Was sind die Hauptablenkungsfaktoren im Auto?
R. Feldbauer: Hier gibt es viele Faktoren, durch deren Einwirkungen der Fahrer unterschiedlich stark vom eigentlichen Fahren abgelenkt wird. Ein wesentlicher Aspekt, den ich immer wieder feststelle, ist die Nutzung der zwischenzeitlich vielfältig angebotenen Kommunikationsmedien während der Fahrt. So zeigen alle Studien, dass weit mehr als die Hälfte der Fahrer ihre Navigationseinstellungen erst während der Fahrt vornehmen. Dass dies in jedem Fall stark ablenkend und äußerst gefährlich ist, liegt auf der Hand. Als Riskmanager nehme ich zudem verstärkt wahr, dass von Dienstwagenfahrern - aber auch von deren Vorgesetzten - immer noch der Grundgedanke im Vordergrund steht, dass die Fahrzeit auch als effektive Arbeitszeit zu nutzen ist. Die Folge sind deswegen durchaus anstrengende Telefonate mit dem Chef oder einem wichtigen Kunden, die auf der langen Autobahnfahrt zum nächsten Termin gelegt, ein enormes Potenzial zur Ablenkung haben. Solche - auch über die Freisprecheinrichtung geführten Telefonate - lassen die Aufmerksamkeit für das risikoreiche Verkehrsumfeld im Straßengeschehen nicht im Fokus der eigentlichen Tätigkeit des Fahrens stehen. Wir kennen den Fachbegriff der "Unaufmerksamkeitsblindheit". Es beschreibt den Umstand, dass beispielsweise der Fahrer zwar mit dem Blick beim Vordermann ist, die Gedanken aber vollends im Telefongespräch sind. Dass sich in solchen Fällen die Wahrnehmungsqualität beim Fahrer verändert und sich die Informationsverarbeitungszeit auf die Verkehrsgeschehnisse beim Fahrer verlängert, dürfte nachvollziehbar sein - die Folgen daraus auch.
_ Gibt es Fahrergruppen, die besonders anfällig sind für Ablenkung im Straßenverkehr?
R. Feldbauer: Diese Frage kann ich Ihnen mit Bezug auf die Firmenflotten aus meinem persönlichen Erfahrungsschatz beantworten. Je häufiger die Nutzung des Dienstwagens, desto höher die Anfälligkeit für den Faktor Ablenkung. Bei Vielfahrern, welche zwischen 40.000 und 60.000 Kilometer und mehr im Jahr unterwegs sind, stelle ich in den Gesprächen häufig eine vorhandene Selbstüberschätzung fest. Diese begründet sich damit, gewisse geschilderte gefährliche Routinen wie die Mail- oder SMS-Checks während der Fahrt mit der gefühlten trainierten Fähigkeit zum Multitasking während der Fahrt zu erklären. Nach dem Motto, "Es muss an meinen besonderen Aufmerksamkeits- und Fahrfähigkeiten liegen", wird die Ablenkungsgefahr deutlich unterschätzt und damit steigt dann auch die Eintrittswahrscheinlichkeit an. Die Vielfahrer als vermeintlich "echte Fahrprofis" erkenne ich im Ursachenbereich Ablenkung in den Fahrergruppen durchaus als führend.
_ Welche Maßnahmen können Fuhrparkleiter ergreifen, um das Unfallrisiko durch Ablenkung im Auto zu minimieren?
R. Feldbauer: Ich kann nur empfehlen, das Thema Sicherheit im Firmenwagen zur Chefsache zu machen. Informieren Sie Mitarbeiter, aber auch Führungskräfte regelmäßig und gezielt über die Risiken der Ablenkung im Straßenverkehr. Zum Beispiel im Rahmen interner Veranstaltungen, lassen Sie sich aber auch Vortragszeit in Führungskräfte-Meetings zuteilen und zeigen Sie Fälle aus der Tagespraxis. Und dass bereits in der Dienstwagenrichtlinie zielgruppendefinierte Maßnahmen zur Vermeidung von Ablenkung enthalten sein sollten, versteht sich fast von selbst - ebenso wie die entsprechende technische Ausrüstung der Fahrzeuge zum Beispiel mit Freisprecheinrichtungen und Aufmerksamkeitsassistenten.
_ Herr Feldbauer, herzlichen Dank für das Gespräch.
Interview: Christian F. Merten
- Ausgabe 10/2016 Seite 34 (208.7 KB, PDF)