Streit um den Winterdienstvertrag
Verkehrssicherungspflicht | Wie jeden Winter stellen sich wieder Rechtsfragen zur Räum- und Streupflicht, auch im Zusammenhang mit den vertraglichen Pflichten eines beauftragten Winterdienstes.
— Wird ein Winterdienst mit der Räumung beauftragt, geht es auch um die Frage, welche Art von Vertrag vorliegt. Vereinbaren die Parteien lediglich eine Dienstleistung oder ein konkretes Arbeitsergebnis? Und wer bleibt für die Einhaltung der Verkehrssicherungspflicht verantwortlich?
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat am 6. Juni 2013 (Aktenzeichen VII ZR 355/12) eine Entscheidung zum „Winterdienstvertrag“ getroffen und damit geklärt, ob es sich dabei um einen Dienst- oder Werkvertrag handelt. Damit wurde auch die keineswegs bloß akademische Frage nach einem eventuell geschuldeten konkreten Arbeitsergebnis beantwortet. Diese Frage wurde von Instanzgerichten bisher unterschiedlich beurteilt und beantwortet.
Der beauftragte Winterdienst verlangt in dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall von dem Eigentümer eines Hausgrundstücks Restvergütung aufgrund eines sogenannten „Reinigungsvertrages Winterdienst“. Der Winterdienst hatte sich vertraglich verpflichtet, während der Zeit vom 1. November des Jahres bis zum 30. April des Folgejahres die vereinbarten Flächen gemäß den Pflichten des Straßenreinigungsgesetzes des Bundeslandes beziehungsweise der kommunalen Satzung von Schnee freizuhalten und bei Glätte zu bestreuen. Der Hauseigentümer und Auftraggeber hat eingewandt, dass die vereinbarte Leistung an näher bezeichneten Tagen nicht vollständig erbracht wurde, und einen Teil der vereinbarten Vergütung einbehalten.
Vertragswortlaut | Der Auftrag war wie folgt formuliert: „Der Auftragnehmer übernimmt die öffentlich-rechtliche Verpflichtung während des winterlichen Reinigungszeitraumes vom 1. November bis zum 30. April, … die vertraglich vereinbarten Reinigungsflächen … gemäß den Pflichten des Straßenreinigungsgesetzes des jeweiligen Bundeslandes bzw. der jeweiligen kommunalen Satzung von Schnee- und Eisglätte freizuhalten und bei Winterglätte mit abstumpfenden Stoffen zu bestreuen …“
„Der Auftragnehmer erklärt, dass er aufgrund des jeweils gültigen Straßenreinigungsgesetzes … die öffentlich-rechtliche Verpflichtung zur Schnee- und Eisglättebekämpfung auf den vertraglich vereinbarten Reinigungsflächen übernimmt …“
„Die Gewährleistungsansprüche der Auftraggeber werden dahingehend beschränkt, dass sie zunächst nur Nachbesserung verlangen können. Lediglich im Fall des wiederholten Fehlschlagens der Nachbesserung kann der Auftraggeber nach seiner Wahl Herabsetzung der Vergütung oder Rückgängigmachung des Vertrages verlangen.“
Nach Ansicht des BGH haben die Parteien damit einen Werkvertrag geschlossen. Gemäß § 631 Abs. 2 BGB kann Gegenstand eines Werkvertrages auch ein durch Arbeit oder Dienstleistung herbeizuführender Erfolg sein. Für die Abgrenzung von Dienst- und Werkvertrag ist der im Vertrag zum Ausdruck kommende Wille der Parteien entscheidend. Es kommt darauf an, ob eine Dienstleistung als solche oder ein konkretes Arbeitsergebnis geschuldet wird.
Vorliegend schuldet der Auftragnehmer (Winterdienstanbieter) damit einen Erfolg. Nach der getroffenen Vereinbarung hatte er unter Übernahme der Pflichten des Straßenreinigungsgesetzes die vereinbarten Flächen von Schnee- und Eisglätte „freizuhalten“. Er schuldete danach ein bestimmtes Arbeitsergebnis. Es kam den Vertragsparteien gerade darauf an, dass die vereinbarten Flächen in der Wintersaison gefahrlos benutzt werden konnten. Vertragsgegenstand war die erfolgreiche Bekämpfung von Schnee- und Eisglätte.
Übergang der Verkehrssicherungspflicht | Damit hat der Auftragnehmer als ganz entscheidenden Aspekt auch die Verkehrssicherungspflicht des Auftraggebers übernommen. Diese ist also durch den Werkvertrag übergegangen.
Bei privaten Kundenparkplätzen dürfen aber – ebenso wie im Bereich öffentlich-rechtlicher Verkehrsflächen – keine zu hohen Anforderungen an den Verkehrssicherungspflichtigen gestellt werden, auch wenn grundsätzlich eine stärkere Verpflichtung zur Erfüllung der Räum- und Streupflicht als auf öffentlichen Parkplätzen besteht. Es genügt, wenn einzelne Zugänge zu den Gebäuden und Parkflächen bestreut werden. An einer wichtigen Stelle des Parkplatzes, die zur Ausfahrt des Parkplatzes führt, muss der Verkehrssicherungspflichtige streuen und räumen.
Die allgemeine innerörtliche Streupflicht beginnt auch hier grundsätzlich um 7.00 Uhr und endet um 20.00 Uhr. In Einzelfällen sind hiervon Abweichungen denkbar.
Der Kraftfahrer darf allerdings nicht erwarten, dass nach einem Schneefall sofort überall geräumt oder gestreut ist. Vielmehr ist den beauftragten Räumdiensten eine Reaktionszeit zuzubilligen. Auch vorbeugendes Streuen oder wenig wirkungsvolles Streuen, beispielsweise während eines Eisregens, sind nicht erforderlich.
Um den übernommenen Pflichten nachzukommen, so hatte die Vorinstanz gemeint, schulde die Auftragnehmerin in erster Linie nur die Überwachung der Wetterlage und vereinbarten Fläche, sodass der Vertrag überwiegend dienstvertraglichen Charakter habe (ebenso LG Hamburg, WuM 1989, 622; LG Berlin, GE 2011, 201; LG Berlin, GE 2011, 953; LG Potsdam, GE 2012, 347). Das ist nach Auffassung des BGH nicht richtig.
Die Übernahme der Verkehrssicherungspflicht ändert nichts an der Rechtsnatur des Vertrages. Diese wird maßgeblich durch den Werkerfolg geprägt, der darin besteht, dass die Gefahrenquelle beseitigt wird. Wetterbeobachtungen und -prognosen dienen lediglich dazu, den Zeitpunkt zu bestimmen, zu dem ein Winterdienst notwendig ist.
Was aber, wenn der Auftragnehmer die Fläche nicht frei von Eis und Schnee hält? Eine etwaige Minderung richtet sich im Streitfall nach dem werkvertraglichen Sachmängelrecht (§§ 634 ff. BGB), nicht nach dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht (§ 326 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2, § 441 Abs. 3 BGB).
Minderungsrecht für den Auftraggeber | Im Grundsatz markiert die Abnahme des Werkes den maßgebenden Zeitpunkt, von dem an die Mängelrechte des Auftraggebers eingreifen. Eine Abnahme des geschuldeten Winterdienstes scheidet seiner Natur nach jedoch aus. Denn Sinn und Zweck des Winterdienstvertrages ist es, dass der Auftragnehmer den Winterdienst versieht, ohne dass der Auftraggeber jedes Einsatzergebnis billigen soll. Der Auftraggeber soll gerade davon freigestellt werden, seinerseits die Witterung im Blick zu behalten und bei Schneefall oder Eisglätte am Ort der Winterdienstleistung zu erscheinen.
In den Fällen, in denen die Abnahme – wie hier – nach der Natur der Sache ausgeschlossen ist und der Unternehmer die Leistung in Erfüllung seiner gesamten Verbindlichkeit erbracht hat, ist es gerechtfertigt, das Mängelrecht der §§ 634 ff. BGB anzuwenden, wenn die Leistung unvollständig ist. Dies bedeutet mangels Nachbesserungsmöglichkeiten ein Minderungsrecht für den Auftraggeber.
Es muss also in derartigen Fällen geklärt werden, in welchem Umfang der geschuldete Winterdienst unterblieben ist.
| Dr. Michael Ludovisy
Grobe Fahrlässigkeit? | Zurücklassen der Fahrzeugpapiere im Fahrzeug
– Die Beweislast für die Herbeiführung eines Versicherungsfalls und die Ursächlichkeit der groben Fahrlässigkeit durch den Versicherungsnehmer obliegt dem Versicherer.
Eine grobe Fahrlässigkeit des Versicherungsnehmers ist nicht nachgewiesen, wenn dieser die Papiere in einem auf öffentlichem Verkehrsgrund geparkten Fahrzeug lässt und die Umstände des Fahrzeugdiebstahls sowie die Verletzung von Sicherungsmaßnahmen unklar bleiben. Die Verwahrung der von außen nicht sichtbaren Fahrzeugpapiere im Wagen begründet keine Gefahrerhöhung nach § 23 I V V G 4.
Auch eine Gefahrerhöhung wegen eines Schlüsselverlusts kann nur dann angenommen werden, wenn dieser zu einem objektiven Risiko einer Zugriffsmöglichkeit von Dritten auf das Fahrzeug führt.
OLG Hamm, Az. 20 U 226/12, R+S 2013, 373
Garantiefrage | Durchrostung „von innen nach außen“
– Weisen die Kanten der Fahrzeugtüren Rostspuren auf, so kann sich der Kfz-Eigentümer nicht auf eine Garantie des Verkäufers berufen, wenn er nicht nachweisen kann, dass ein Fall der Durchrostung der Türen „von innen nach außen“ vorliegt. Diese liegt vor, wenn der Rost eine innere Ursache hatte, nämlich Folge eines unzureichenden Korrosionsschutzes an einem nicht außen liegenden Teil des Fahrzeuges war.
LG Wuppertal, Az. 16 S 2/12,
ADAJUR-Newsletter vom 15.10.2013
Darlegungslast | Vortrag zu einem Vorschaden und dessen Reparatur
– Auch wenn der Geschädigte die Vermutung des § 1006 I S. 1 BGB (Eigentumsvermutung für Besitzer) heranzieht, um seine Stellung als Eigentümer zu begründen, trifft ihn auch die Darlegungslast bezüglich der Umstände des Eigentumserwerbs.
OLG Hamm, Az. I-9 U 238/12, VRR 2013, 307
Streifkollision bei Überholvorgang | Haftungsteilung von Pkw und Lkw
– Ist nach einer Streifkollision zwischen einem überholenden Pkw und einem überholten Lkw, verursacht auf der Autobahn im Baustellenbereich, nicht mehr zu ermitteln, welches der beiden Fahrzeuge seine Fahrspur nicht eingehalten hat, so ist eine Haftungsteilung vorzunehmen.
Auch wenn bei einem Lkw-Gespann eine wesentlich größere Masse und Breite vorliegt und dieses vor allem in einem Baustellenbereich der Autobahn ein gesteigertes Gefahrenpotenzial darstellt, ist ihm im Vergleich mit einem überholenden Personenkraftwagen keine höhere Betriebsgefahr anzulasten, wenn dieser sich auf der schmaleren Überholspur befindet und mit höherer Geschwindigkeit als das Lkw-Gespann geführt wird.
OLG Oldenburg, Az. 6 U 64/12, NZV 2013, 344
Längere Fahrtstrecke | Kein versicherter Wegeunfall
– Ein nach § 8 II Nr.1 SGB VII nicht versicherter Umweg liegt vor, wenn die gewählte Fahrtstrecke den kürzesten Weg jedenfalls um 50 Prozent übersteigt und eine entsprechende Verlängerung der Fahrtdauer hiermit einhergeht, ohne dass Gründe der Verkehrssicherheit oder der Beschaffenheit der Fahrtstrecke den gewählten Weg als vorzugswürdig erscheinen lassen. Rein subjektive Präferenzen bleiben hier außer Betracht.
LSG Stuttgart, Az. L 3 5415/11,
ADAJUR-Newsletter vom 15.10.2013
Unfallersatzwagen | Abweichung des Tarifs um mehr als 50 Prozent
– Eine Nachfrage des geschädigten Unfallgegners nach einem anderen als dem ihm angebotenen konkreten Mietwagentarif für einen Ersatzwagen ist, von besonders gelagerten Fällen abgesehen, regelmäßig nur dann veranlasst, wenn sich der ihm angebotene Tarif mehr als 50 Prozent von dem einschlägigen Tarif der Schwacke-Liste entfernt.
OLG Dresden, Az. 7 U 1952/12, ADAJUR-NL, 8.10.2013
Erheblicher Verkehrsverstoß | Fahrtenbuchauflage droht
– Die Anordnung zur Führung eines Fahrtenbuchs nach einem erheblichen Verkehrsverstoß wird nicht dadurch abgewendet, dass der Halter ein Zeugnisverweigerungsrecht geltend macht. Ein einmaliger Verkehrsverstoß von gewissem Gewicht (hier: Geschwindigkeitsverstoß außerorts um 30 Stundenkilometer) genügt, um die Anordnung einer Fahrtenbuchauflage zu rechtfertigen.
Ein doppeltes „Recht“, nach einem Verkehrsverstoß einerseits im Ordnungswidrigkeitenverfahren die Aussage verweigern zu dürfen und trotz fehlender Mitwirkung bei der Feststellung des Kfz-Führers zudem auch noch von einer Fahrtenbuchauflage verschont zu bleiben, besteht nicht, da das dem Zweck des § 31 a StVZO widerspräche, der Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs zu dienen.
VGH München, Az. 11 CS 05/1980,
ADAJUR-Newsletter vom 8.10.2013
Unzureichende Belehrung | Versicherer muss nicht zwangsweise zahlen
– Hat ein Versicherer es unterlassen, seinen Versicherungsnehmer ordnungsgemäß über die Rechtsfolgen der Verletzung einer Auskunftsobliegenheit zu belehren, so folgt daraus nicht die Verpflichtung zur Leistung des Versicherers, wenn sich der Versicherte im Schadenfall arglistig hinsichtlich der Information über das Vorliegen von Vorerkrankungen verhalten hat.
Ein arglistig handelnder Versicherungsnehmer kann sich nicht darauf berufen, dass eine tatsächlich erfolgte Belehrung formal unzureichend ist.
OLG Köln, Az. 20 U 224/12, SP 2013, 344
- Ausgabe 12/2013 Seite 72 (4.7 MB, PDF)