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"Das ist ein Gemeinschaftswerk"

01.02.2017 06:00 Uhr

Mobilitätsberater Timo Darr erklärt, wie Fuhrparkbetreiber sich dem interdisziplinären Thema öffnen können, wie sie es umsetzen und was sonst für dessen Erfolg wichtig ist.

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_ Es wird viel über Mobilitätspolicies gesprochen. Viele Fuhrparks wollen sich dem Thema öffnen, es wird aber bislang wenig umgesetzt. Warum tun sich die Unternehmen damit so schwer?

Timo Darr: Ich stelle immer wieder fest, dass die Unternehmen sehr stark gefangen sind in ihren operativen Abläufen, in ihrem Tagesgeschäft. Das ist sicherlich ein Grund, warum sie sagen: Ich gehe jetzt das nicht unbedingt an, weil es auf den ersten Blick auch keinen unmittelbaren persönlichen oder sonstig gearteten Vorteil gibt. Ein Fuhrparkmanager kommt selten groß raus, wenn er über den Tellerrand blickt, sagen wir es mal so. Ganz abgesehen davon, dass er so etwas alleine gar nicht können wird.

Auf der anderen Seite, glaube ich, wird das Thema dennoch zunehmend verbunden. Im Bereich Travel gibt es den wunderbaren Trend-Begriff "Traveler Centricity", also dass sich alles um den Reisenden dreht. Ich muss den Reisenden mit einbeziehen, und das ist eben auch ein wichtiger Aspekt.

Worauf ich hinaus will: Der Mitarbeiter an sich hat einen Mobilitätsbedarf. Er will von A nach B. Und eine organisatorische Trennung in Unternehmen wird dem nicht gerecht. Das heißt, er muss ganz unterschiedliche Stellen, die zum Teil überhaupt nichts miteinander zu tun haben, kontaktieren, um diese Mobilität zu bewerkstelligen. Je mehr ich schaue, was mein interner Kunde, also mein Mitarbeiter, braucht in dem Punkt Mobilität, desto mehr werde ich dazu kommen, dass ich die Bereiche immer schwerer trennen kann. Und dann komme ich eben auch zur Mobilitätspolicy.

_ Wenn Sie sagen, der Fuhrparkmanager selbst hat wenig Interesse daran, über den Tellerrand zu schauen: Es gibt ja auch Unternehmensvorgaben, wo es heißt, CO2 muss reduziert werden in allen Bereichen, auch im Fuhrpark. Da wird er doch zu dem Schluss kommen, dass man mit Verbrennungsmotoren dauerhaft nicht mehr weiterkommt. Dass man die Mitarbeiter dazu bringen muss, mit der Bahn zu fahren, oder im Extremfall ein Jobrad-Projekt ins Leben ruft. Das kann man so attraktiv gestalten, dass sich jeder Mitarbeiter das Angebot wählt, das am besten zu ihm passt, und dann schafft man auch fürs Recruiting einen Mehrwert. Das können ja diese zwei Treiber sein, die auch Fuhrparkverantwortliche dazu bewegen, eine Alternative zum klassischen User-Chooser-Fuhrpark-Konzept zu finden, wo sich jeder sein Traumauto basteln darf.

T. Darr: Absolut. Die Aussage soll auch nicht sein: Das kann er nicht. Typischerweise wird er das nicht machen, weil das üblicherweise in einem größeren Kontext stattfindet.

Sie haben das Beispiel gebracht mit den CO2-Zielen. Ich befinde mich hier als Unternehmen in einem Feld, das sich ständig weiterentwickelt, gesellschaftlich, technologisch, rechtlich und wirtschaftlich. In diesem Spannungsfeld muss meine Strategie so aussehen, dass Unternehmensziele, aber auch die Mitarbeiterinteressen, Stichwort Traveler Centricity oder Driver Centricity, strategisch in das Mobilitätsmanagement einfließen. Die Policy an sich ist ja nur die Dokumentation einer Strategie, einer Zielsetzung, ein Regelwerk, was das manifestieren soll.

_ Manche sagen, dass das Auto bei den Nachwuchskräften von heute nicht mehr so einen hohen Stellenwert hat. Andere sagen: Die Phase, dass man gerne eine hätte, kommt später, mit 30 Jahren, nämlich dann, wenn man eine Familie gründet. Sehen Sie eine Veränderung beim Imagefaktor Auto?

T. Darr: Die Zulassungszahlen sprechen diese Sprache noch nicht. Nach dem, was ich beobachte, würde ich aber das zweite Szenario erst einmal eher unterstützen. Es kann gut sein, dass das Auto am Anfang der beruflichen Karriere vielleicht nicht so wertig ist. Ich bin mir noch nicht sicher, ob man jetzt sagen kann, die nächste Generation ist nicht ganz so von Äußerlichkeiten getrieben. Ich glaube nicht, dass sich das in den nächsten zehn Jahren völlig auflösen wird. Denn das ist ein typisches Phänomen in Deutschland.

_ Wenn sich eine Firma eine Mobilitätspolicy auf die Agenda schreibt, was empfehlen Sie als Berater, wie sie am besten dabei vorgeht?

T. Darr: Auf die Gefahr, dass das jetzt alles sehr profan klingt: Aber Sie müssen alle Beteiligten an einen Tisch holen, die in irgendeiner Form damit zu tun haben. Das ist HR, das ist der Einkauf, die Buchhaltung, die Abrechnung, das ist auch Travelmanagement, Fuhrparkmanagement, Facility Management, Controlling. Und die müssen sich auf ein einheitliches Bild verständigen. Natürlich muss man dabei dann ebenfalls schauen, was will mein interner Kunde, mein Dienstwagennutzer? Was hat er für ein Bedürfnis? Reicht das Auto? Welches Auto? Schränke ich es ein? Wie sieht die Policy aus? Diese Bedarfe und Aspekte werden dann reingetragen in eine solche Runde bis hin zur Mitbestimmung. Und die Leute, die das später umsetzen sollen, müssen von Anfang an dabei sein. Sonst handele ich mir entweder halbfertige Prozesse ein oder ich habe jemanden, der auf die Bremse tritt, weil er sagt: "Das ist mit mir nicht abgestimmt." Um eine reibungslose Umsetzung zu bekommen, muss ich zusehen, dass die Stakeholder im Unternehmen dabei sind und das gleiche Ziel verfolgen. Das ist eine ganz wichtige Grundlage.

Eine Philosophie von mir ist, mal mit Mitarbeitern zu sprechen und zu fragen: In welche Richtung müssen wir gehen? Denn Sie haben sowohl bei Travel- als auch bei Fuhrparkmanagern häufig den Fall, dass die nicht gefragt werden, sodass die Travel- oder Fuhrparkmanager nicht immer wissen, welche Probleme die Mitarbeiter unterwegs haben.

_ Und wer sollte dann final, wenn man so ein Konzept gefunden hat, den Hut aufhaben?

T. Darr: Wenn ich die Konstellation zugrunde lege, die ich eben skizziert habe, wird es keinen einzigen geben, der den Hut aufhat. Aber es wird - und das ist ganz wichtig - eine klare Rollenverteilung geben. Und das ist genauso gut. Wenn ein Anbieter gesucht wird für ein IT-System, mit dem der Mitarbeiter seine Mobilität organisiert, dann ist auch dieser fachliche Kreis der Auftraggeber. Er muss sagen, was dieses System können muss, immer mit Rücksprache mit den Mitarbeitern, aber jeder für sein Thema: Der Buchhalter oder der Verantwortliche bringt die Buchhaltungsanforderung, Schnittstellen etc. rein. Der, der die Policy macht, muss vorne abbilden können, was das für ein Mensch ist, wo der im Unternehmen steht, was er darf und welchen Workflow er gehen soll. Das ist dann ein Gemeinschaftswerk und wird in eine Spezifikation gegossen, die üblicherweise dann zur Ausschreibung kommt.

_ So wie Sie das beschreiben, würde sich das klassische Aufgabengebiet des Fuhrparkmanagers nicht unbedingt dramatisch ändern.

T. Darr: Muss es nicht. Ich nehme damit auch bestimmte Risiken heraus, wenn ich sage: Der Mobilitätsmanager wird morgen nicht HR-Manager. Der wird auch morgen nicht der Buchhalter sein. Der muss auch nicht zwingend Einkäufer sein. Da gibt es Abgrenzungen. Es wird im Endeffekt dadurch definiert, wo er organisatorisch hängt. Ich schalte bestimmte Zielkonflikte aus, wenn ich das unter ein Dach hänge. Aber es ist keine Voraussetzung, beides fachlich in eine Abteilung reinzupacken. Viel wichtiger ist das Miteinanderreden, die Kommunikation im Unternehmen. Es läuft viel unabgestimmt und losgelöst.

_ Von Fuhrparkseite hört man oft, dass ein Angebot fehlt, alle verschiedenen Mobilitätsformen zusammenzubringen. Gibt es Dienstleister, die diese Schnittstellen professionell harmonisieren oder muss sich ein Unternehmen selbst eine IT-Lösung basteln?

T. Darr: Das muss das Unternehmen leider selber machen. Und auf Anbieterseite ist das Thema interessanterweise noch weniger angekommen als bei den Unternehmen, weil sie auch dort sehr viel weniger Überschneidungen haben.

Ich kenne Fälle, wo zum Beispiel Geschäftsreiseanbieter mehr oder weniger integriert - sage ich mal vorsichtig -auch die Flottenmanagementthematik übernommen haben und da ein Konstrukt geschaffen wurde. Nach meinem Wissen ist aber die Operationalisierung weiterhin schwierig, weil es einfach auf Anbieterseite unterschiedliche Themen sind.

Es gibt also nicht dieses eine System, denn das ist hochkomplex. Und das ist bei jeder Firma anders. Deswegen gibt es diese Integration erstmal nur firmenintern.

_ Und die Richtlinien selbst? Tragen sie dazu bei, dass im Fuhrpark und bei Dienstreisen alles rundläuft?

T. Darr: In Gesprächen mit manchen Kunden in Projekten ist mir aufgefallen, dass, wenn es eine Richtlinie gibt, die Frage aufkommt, welchen Stellenwert diese dann hat. Halten sich die Leute daran? Häufig sagen die Firmen: "Wir haben etwas, aber es macht im Prinzip jeder, was er will." Und dagegen tut auch keiner was. Und dann kommt häufig so eine Bemerkung wie: "Wir wollen hier auch nicht die interne Polizei sein" oder so etwas. Und dann komme ich wieder zu dem Konstrukt zurück, von dem ich vorhin sprach: Wenn es eine Abstimmung gibt und eine klare Rollenverteilung der Beteiligten, dann haben Sie als Prozessverantwortlicher ein vitales Interesse daran, dass die Richtlinien auch eingehalten werden.

_ Also muss es eine interne Polizei geben?

T. Darr: Ich finde es interessant, weil der Begriff Polizei öfter fällt. Ich persönlich vertrete die Ansicht: Ich vereinbare nur Dinge, die ich brauche und die mir wichtig sind. Ich schreibe nichts in einen Vertrag hinein, was ich nicht messen kann oder vielleicht nicht messen will. Dann ist der Vertrag einfach nur sehr umfangreich und macht aber keinen echten Sinn. So sehe ich es auch bei der Policy. Wenn ich sage: Es gibt CO2-Werte, die müssen eingehalten werden, denn davon hängt eine Förderung im Pkw-Budget ab, wenn es heißt, ich möchte, dass der Normverbrauch nicht über 20 Prozent überschritten wird oder dass es keine Mischbetankung gibt, dann muss ich das auch anschauen, sonst brauche ich es nicht hineinzuschreiben.

Die Einhaltung einer Car Policy ist auch Führungssache des nächsten Vorgesetzten. Wenn ich als Vorgesetzter sehe, dass der Mitarbeiter nicht im Sinne dieser Regeln mit den Dingen umgeht, dann muss ich eingreifen. Der Betriebsleiter vor Ort in einem Werk muss dafür sorgen, dass seine Leute pfleglich mit den Autos umgehen. Und wenn die dauernd verbeult da herumstehen, dann wäre es als Unternehmer mein Anspruch, dass der Betriebsleiter mal hinterfragt, warum das so ist und wie das sein kann, dass sich zum Beispiel Schäden häufen. Das ist bei Reiserichtlinien nicht anders. Und dann brauche ich auch nicht die zentrale Polizei. Aber das machen auch nicht alle, weil es natürlich auch wieder eine zusätzliche Konfliktsituation ist.

Wenn ich aber sage: Ich will nicht alles festhalten und ich will nicht alles regeln, dann regele ich es halt nicht. Dann ist es aber gelebte Offenheit und Freiheit für den Mitarbeiter, was auch positiv ist. Ich tue mich nur immer schwer, wenn es 20-seitige Fuhrparkrichtlinien gibt und dann vom Verantwortlichen höre: "Die Leute machen eh, was sie wollen."

_ Herr Darr, vielen Dank für das Gespräch.

Interview: Mireille Pruvost

Zur Person

Timo Darr

_ Der Mobilitätsberater ist Gründer der 2014 gegründeten Darr Mobility Concepts mit Sitz in Frankfurt am Main. Nach 25-jähriger Tätigkeit in der Reise- und Automobilbranche und mehr als zehn Jahren als Head of Global Travel Management & Mobility Services im Lufthansa-Konzern hat er sich mit seiner Beratungsgesellschaft auf passgenaue Mobilitätskonzepte für Unternehmen und deren Umsetzung spezialisiert.

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