Rücknahme in Echtzeit
Fahrzeugbewertung | Wie geht ein Sachverständiger bei der Begutachtung vor? Welche Schäden werden erfasst und dem Leasingnehmer belastet? Autoflotte war live dabei und hat zwei Rücknahmen bei GE Capital begleitet.
— Bei Vertragsende kommt die Stunde der Wahrheit: Wie teuer war das Auto wirklich?
Am besten, der Fahrer ist vor Ort dabei, dann können alle Schäden im Detail mit dem Gutachter besprochen werden und der Nutzer versteht, wie die Abrechnung zustande kommt. So verläuft die Rücknahme in der Regel bei GE Capital Fleet Services, wo Fahrzeuge in drei eigenen und drei Partner-Logistikzentren zurückgegeben werden können. „Nutzer geben im Durchschnitt alle drei Jahre ihr Fahrzeug zurück. Der Rückgabetermin dauert dann schon mal eine Dreiviertelstunde – die Zeit muss sich der Nutzer nehmen“, sagt Josef Trax, Teamleiter Logistik bei GE Capital. Diese 45 Minuten erweisen sich als gute Investition – für beide Seiten: Die Zahl der Beanstandungen liegt bei GE Capital nach eigenen Angaben seit Jahren konstant unter fünf Prozent. „Schenken tut keiner was, das können wir auch nicht. Aber wir rechnen sauber ab. Die Reklamationsquote ist minimal. Das spricht für sich“, sagt Andreas Lackner, Mitglied der Geschäftsführung.
Audi Q5 und BMW 5er | Am Standort Garching bei München werden pro Tag etwa fünf bis sechs Leasingfahrzeuge zurückgenommen. Rund die Hälfte der Kunden fahren sie persönlich hierher, die andere lässt abholen. Bei einem Audi Q5, Erstzulassung 08/2010 und rund 107.000 Kilometer Laufleistung, und einem BMW 5er, seit 03/2011 auf der Straße und gut 104.000 Kilometer auf dem Tacho, war Autoflotte Mitte April live dabei.
Zunächst ist der Gutachter gefragt: Er notiert den Kilometerstand, überprüft, ob vom Reifen-Pannenset oder Reserverad über zweite Reifensätze bis hin zu Papieren und Schlüsseln alles dabei ist. Danach geht es an die Prüfung des Innenraums und das Exterieurs.
Neutrale Inventur | GE Capital arbeitet bei den Gutachten mit Macadam und dem TÜV-Rheinland-Partner FSP zusammen. Zum vereinbarten Termin ist der Sachverständige Herbert Geier von FSP vor Ort. Routiniert geht er um die Fahrzeuge, tastet sie ab und klebt, wo immer sich auch kleinste Schäden befinden, kleine Pfeile hin. Das heißt jedoch nicht, dass jeder eine Berechnung nach sich zieht.
Seine Aufgabe ist, alle Schäden neutral festzuhalten – unabhängig davon, ob sie in Rechnung gestellt werden oder nicht. Denn sein Gutachten dient auch dem zukünftigen Käufer als Nachweis über den Gebrauchten.
Er kennt auch keine Vertragsdetails, etwa ob der Kunde Full-Service-Leasing oder Finanzleasing abgeschlossen hat oder ob er das Schadenmanagement des Leasinggebers nutzt. „Der Gutachter arbeitet wie auch für jeden anderen Kunden neutral. Er wird nicht nach Höhe der festgestellten Mängel bezahlt, was man immer mal wieder hört“, sagt Peter Kiermeyr, Teamleiter Rücknahmeschäden bei GE Capital Fleet Services.
Der Q5 wird zum zweiten Mal in Augenschein genommen – er kam am Tag zuvor regennass und verschmutzt im Logistikcenter an. Neben dem HU-Bericht fehlte das Dichtmittel des Reifenpannensets. Fünf Tage hat ein Kunde Zeit, Fehlteile nachzureichen. Erst dann werden sie in Rechnung gestellt.
Die zweite Begutachtung bringt einen Hagelschaden ans Licht und viele kleinere Dellen und Kratzer. Bis zu zwei Zentimeter groß, werden sie laut VMF-Schadenkatalog nicht berechnet, auch bei 2,5 Zentimetern sei laut Kiermeyr nichts zu befürchten. Im Zweifel hilft der Dellenreflektor Schäden sichtbar zu machen – auch für den Kunden. Alles wird mit Digitalfotos dokumentiert. Je nach Zustand macht der Gutachter zwischen 50 und 120 Aufnahmen pro Wagen.
Auch Herstellervorgaben entscheiden | Der ein halbes Jahr kürzer genutzte 5er BMW ist mit ähnlicher Laufleistung in einem besseren Zustand. Im Wesentlichen fallen neben einem erhöhten Lackdichtewert über 200 Mikrometer an einem Bauteil – ein Indiz dafür, dass nachlackiert wurde – nur ein Schaden am Stoßfänger auf. Dieser muss nach Herstellervorgaben ausgetauscht werden, weil bei einer Reparatur die Gefahr bestünde, dass der eingebaute Sensor des Fußgänger-Aufprallschutzes sonst nicht mehr richtig reagieren würde. „Da kann man nicht sagen, das ist eine Gebrauchsspur“, sagt Lackner.
Hält Geier den Schaden im Gutachten fest, prüft Kiermeyr im Nachgang, ob dieser gemeldet wurde und ob er über eine Vollkasko-Police abgedeckt ist. Der Teamleiter Rücknahmeschäden bearbeitet jedes Gutachten im System nach und geht Schaden für Schaden durch, ob und wie er berechnet wird. „Wir können nichts wegdiskutieren, wir wollen nichts hinzudiskutieren – wir halten ganz neutral den Istzustand fest“, sagt er. „Wir hätten auch nichts davon, wenn wir jedes Mal 50 bis 100 Euro mehr in Rechnung stellen würden. Wir wollen, dass der Kunde zufrieden ist und uns vertraut“, so Kiermeyr weiter. Er kennt seine Kunden, die Vertragsdetails und Absprachen. Ist die Zeit für die Nachsendung von Fehlteilen verstrichen, wird die Rücknahmeabrechnung erstellt.
Der Kunde kann das Ergebnis der Bewertung im Internet nachverfolgen. Über einen persönlichen Code erhält er Zugang zum Gutachten und kann bei Gesprächsbedarf hierzu mit Kiermeyr telefonieren und dabei die Fotos ansehen. In den meisten Fällen aber bleibt das Telefon ruhig. Und nur drei Fälle seien in den letzten 15 Jahren vor Gericht verhandelt worden. | Mireille Pruvost