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Wann haftet man mit?

04.10.2021 06:00 Uhr
Ausgabe 10/2021 Seite 69

Im Straßenverkehr wird zwischen der Verschuldenshaftung des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) und der Gefährdungshaftung - geregelt im Straßenverkehrsrecht (StVG) - unterschieden.

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Der Autofahrer merkt den Unterschied zwischen Verschuldungshaftung und Gefährdungshaftung in der Regel im Rahmen einer Unfallregulierung meist nur dann, wenn ihn zwar kein Verschulden am Verkehrsunfall trifft, er aber dennoch auf einigen Prozent bei der Schadenquotelung mit dem Unfallgegner sitzen bleibt. Warum ist dies oft so?

Bei der Verschuldenshaftung nach §§ 823-826, 839 BGB ist das Verschulden eine Voraussetzung für den Schadensersatzanspruch. Der Anspruchsteller muss dem Gegner somit das Verschulden nachweisen. Dagegen haftet bei der Gefährdungshaftung der Schädiger ohne jegliches Verschulden für einen Schadenserfolg, schlicht, weil er eine besondere Gefahrenquelle (das Fahrzeug) nutzt.

So weit die Aussagen des Gesetzes. Bei der Verschuldenshaftung sind in der Praxis der Verkehrsunfallregulierung in der Regel nur fahrlässig verursachte Schäden relevant. Bei Fahrlässigkeit haftet der Schädiger dem Geschädigten - wie sich aus § 276 BGB ergibt - nur dann, wenn er die "im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt". Hierfür genügt schon leichte Fahrlässigkeit. Allerdings ist die Fahrlässigkeit durch den Geschädigten darzulegen und auch im Streitfall (zumeist mit der gegnerischen Haftpflichtversicherung) zu beweisen. Dies ist Ausfluss des Systems der Verschuldenshaftung. Die hierzu bestehende Rechtsprechung ist streng, wenn es zu diesem Thema um die Anforderungen an das Wissen des Kraftfahrers geht. Er muss nach ihrer Ansicht mit den Regeln des Straßenverkehrs vertraut sein, in gewissem Umfang auch mit den Grundsätzen der Haftung.

Ist bei einem Verkehrsunfall beiden beteiligten Kraftfahrzeugführern ein (Verschuldens-)Vorwurf zu machen, spricht man von einem Mitverschulden. Dies führt zu §254 BGB.

§ 254 BGB

Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Geschädigten mitgewirkt, so hängt die Verpflichtung zum Ersatze sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teile verursacht worden ist. Neben der Verschuldenshaftung des BGB hat der Gesetzgeber im StVG die Gefährdungshaftung verankert.

§ 7 Abs.1 StVG

Wird bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges oder eines Anhängers, der dazu bestimmt ist, von einem Kraftfahrzeug mitgeführt zu werden, ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der Halter verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstandenen Schaden zu ersetzen.

Die Gefährdungshaftung spielt nur dann keine Rolle, wenn ein Verschulden tatsächlich auch gegeben, festgestellt und bewiesen wurde.

Fazit: Ohne Verschulden keine Haftung. Ohne Verschulden kein Schadensersatz für den Geschädigten. Daher das Konstrukt der Gefährdungshaftung. Dies ergibt Sinn. Kommt es zum Beispiel zu einem folgenschweren Verkehrsunfall zwischen zwei Kraftfahrzeugen, der einzig darauf zurückzuführen ist, dass an einem der beiden Fahrzeuge unerwartet ein Reifen platzt, trifft keinen der beiden Fahrzeugführer an dieser Folge ein Schuldvorwurf. Ohne "Gefährdungshaftung" ginge der geschädigte Fahrzeugführer völlig leer aus. Der nicht seltene Satz in den Unfallakten "Den Unfallgegner trifft kein Verschulden" verliert so ein wenig vom Schrecken für den Geschädigten. Auch wenn ein Unfall nicht auf das Verschulden einer Person zurückzuführen ist, haben Geschädigte Anspruch auf Entschädigung.

Hintergrund ist, dass nach der Gesetzessystematik bereits die bloße Inbetriebnahme eines Fahrzeuges allein eine besondere Gefahrenquelle für die Umwelt darstellt. Für daraus entstehende Schäden muss der Fahrer bzw. der Halter die (Risiko-)Verantwortung übernehmen. Das Unfallereignis muss sich lediglich "beim Betrieb" des Fahrzeuges ereignet haben, der nach juristischer Umschreibung alle Vorgänge umfasst, die in einem örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Eigenschaft des Fahrzeugs als einer fahrenden bzw. dem Verkehr dienenden Maschine stehen.

Der springende Hund

Ein überdeutliches Beispiel zeigt eine ältere Entscheidung des BGH, Az. VI ZR 168/87 (VersR 1988, 640). Hier ging es um einen aus einem Unfallfahrzeug entlaufenen Hund. Dieser wurde von einem zweiten Fahrzeug erfasst und gegen ein drittes Kfz geschleudert. Der Schaden am dritten Fahrzeug ist immer noch dem Betrieb des Fahrzeuges zuzurechnen, aus dem der Hund entlaufen ist. Dessen Halter haftet für die entstandenen Schäden. Das Beispiel zeigt eindrücklich, wie weit die Gefährdungshaftung geht.

Der Zurechnungszusammenhang zwischen der Betriebsgefahr eines Kfz und dem Schadenseintritt wird nicht dadurch unterbrochen, dass außer dem Betrieb des Kfz auch das Verhalten eines Tieres mitgewirkt hat, das in dem Unfallfahrzeug befördert worden ist. Der Halter eines Fahrzeugs haftet für sämtliche Personen- und Sachschäden, die bei dem Betrieb (also durch den Betrieb und nicht nur bei Gelegenheit des Betriebs) entstanden sind. Damit für die Kfz-Haftpflichtversicherer die Haftungsfälle kalkulierbar bleiben, ist die Haftung nach § 12 StVG auf Höchstsummen begrenzt.

Die Gefährdungshaftung greift nur dann nicht, wenn ein Unfall durch höhere Gewalt oder ein unabwendbares Ereignis ausgelöst wird.

Ein unabwendbares Ereignis liegt vor, wenn ein Fahrer auch bei höchster Sorgfalt bzw. absolut korrekter, fehlerfreier Fahrweise den Unfall nicht hätte voraussehen und verhindern können. Höhere Gewalt kommt definitionsgemäß "nur dann in Betracht, wenn ein betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis hervorgerufen wurde, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar war und auch mit durch äußerste nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartender Sorgfalt nicht hätte verhütet werden können". Höhere Gewalt ist in der Regulierungspraxis daher ein eher theoretisches Thema, da Autofahrer selbst mit umstürzenden Bäumen rechnen müssen.

Wichtig: Nicht motorisierte Verkehrsteilnehmer wie Fußgänger und Radfahrer sind immer, bei einem unabwendbaren Ereignis und auch in Fällen höherer Gewalt, durch die Gefährdungshaftung abgesichert.

Risiko Schnellfahren

Ein weiteres den Gedanken der Gefährdungshaftung verdeutlichendes Beispiel ist die Rechtsprechung zur sogenannten Richtgeschwindigkeit von 130 km/h auf Autobahnen (BGH, Ensch. v. 17.03.1992, Az VI ZR 62/91), deren Konsequenz vielen Autofahrern vielleicht tatsächlich nicht so präsent ist. Demnach begründet die Nichteinhaltung der Richtgeschwindigkeit zwar keinen (Mit-)Verschuldensvorwurf. Allerdings kann derjenige, der sich nicht an die Richtgeschwindigkeit gehalten hat, auch nicht den Unabwendbarkeitsbeweis im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG alte Fassung (jetzt § 17 Abs. 3 StVG) führen.

Wird ein Kraftfahrer, der die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h überschritten hat, in einen Unfall verwickelt, so kann er sich, wenn er auf Ersatz des Unfallschadens in Anspruch genommen wird, nicht auf die Unabwendbarkeit des Unfalls i. S. v. StVG § 7 Abs 2 berufen, es sei denn, er weist nach, dass es auch bei einer Geschwindigkeit von 130 km/h zu dem Unfall mit vergleichbar schweren Folgen gekommen wäre. Dies ist nichts anderes als ein "rechtliches" Tempolimit, das die Risiken dem Schnellfahrer auferlegt. Er trägt die Gefährdungshaftung.

Dr. Michael Ludovisy, Rechtsanwalt und Rechtsexperte der Autoflotte

§823 BGB Verschuldenshaftung(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.§276 BGB gilt für Fälle, in denen mindestens einfache Fahrlässigkeit vorliegt.(1) Der Schuldner hat Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten, wenn eine strengere oder mildere Haftung weder bestimmt noch aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses, insbesondere aus der Übernahme einer Garantie oder eines Beschaffungsrisikos, zu entnehmen ist. Die Vorschriften der §§ 827 und 828 finden entsprechende Anwendung.(2) Fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt.

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