Autonomes Fahren mit QCraft: Und sie rollen doch

01.10.2025 09:33 Uhr | Lesezeit: 3 min
QCraft
Qcraft bietet autonome Fahrlösungen für Automobilhersteller.
© Foto: QCraft

Autonomes Fahren gehört zu jenen Mobilitätsversprechen, die schneller Realität werden, als bislang gedacht. Nur nicht bei uns. Das soll sich ändern.

Die großen (fast übergroßen) Fortschritte bei den selbst fahrenden Mobilen liegen vor allem an den großen Investitionen und einem anderen Umgang mit Daten in den USA und in China. Wir sprachen mit Dr. James Yu, Mitgründer und CEO von QCraft. Yu gilt als Experte für maschinelles Lernen. Seine Laufbahn führte ihn als Tech-Lead für ML- (maschinelles Lernen)Algorithmen zu Waymo, als technische Führungskraft zu Google Street View und als Kernmitglied zum Stanford International R&D Center.

QCraft wurde 2019 im Silicon Valley gegründet, inzwischen sind Sie in China einer der größten Player im autonomen Fahren. Wie würden Sie Ihr Unternehmen jemandem in Europa beschreiben, der Sie noch nicht kennt?

James Yu:  QCraft ist ein globaler Marktführer für L2++ bis L4 autonome Fahrlösungen für Automobilhersteller. Seit unserer Gründung 2019 im Silicon Valley haben wir bewährte AD-Lösungen (autonomes Fahren) in über 600.000 Fahrzeugen durch OEM-Partnerschaften implementiert. Unser L4-Transportservice ist in 26 chinesischen Städten aktiv und hat bereits mehr als 650.000 Passagierfahrten durchgeführt.

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Wie sieht das Team aus und welche Rolle spielt Europa?

Yu: Über 80 Prozent unserer Mitarbeiter arbeiten in der Forschung und Entwicklung, viele kommen von Waymo, Tesla, NVIDIA, Meta, Microsoft und anderen Technologieunternehmen. Gestützt auf ein erstklassiges F&E-Team und Partnerschaften mit führenden OEMs und Technologieunternehmen verbindet QCraft bewährte Großserienlösungen mit branchenführender Sicherheit und Effizienz, um autonomes Fahren in die Realität umzusetzen. Auf der IAA MOBILITY 2025 haben wir unsere Globalisierungsstrategie angekündigt: Wir errichten unsere Europazentrale in Deutschland und gehen eine Partnerschaft mit Qualcomm ein, um offiziell in die EU- und Weltmärkte einzutreten.

Warum haben Sie gerade Deutschland als Standort für Ihre Europazentrale gewählt? Welche Stadt wird es werden?

Yu: Die Hauptgründe sind die Nähe zu wichtigen europäischen OEM-Partnern für eine engere Zusammenarbeit sowie die Notwendigkeit, die strenge Regulierungs- und Sicherheitszertifizierungslandschaft der EU von einem Schlüsselmitgliedstaat aus zu navigieren. Diese lokale Präsenz ist entscheidend, um unsere autonome Fahrlösung an regionale Fahrbedingungen und Marktanforderungen anzupassen. Mit der Zentrale in Deutschland erhält QCraft ein Tor, um den gesamten europäischen Markt effektiv zu bedienen und lokalisierte Betriebsabläufe, F&E und Support sicherzustellen. Wir können noch nicht preisgeben, wo sich unser Hauptstandort in Deutschland befinden wird. Wir rechnen damit, dass er in einem der großen Automobilzentren liegen wird, da dort unsere Partner ansässig sind.

Sie sprachen die über 600.000 Fahrzeuge mit Ihrem System an. Was unterscheidet Ihre Lösung von den Angeboten anderer Anbieter wie Waymo oder Mobileye?

Yu: Aufgrund der immensen Marktgröße und des Potenzials in China konnten wir dort ein rasantes Wachstum erzielen. Wir haben bewiesene Massenproduktion und Skalierung erreicht. Heute sind bereits über 600.000 Fahrzeuge mit unserer AD-Technologie auf den Straßen unterwegs. Wir erwarten, dass Anfang 2026 über eine Million Fahrzeuge mit AD-Features auf den Straßen fahren werden. Wir arbeiten bereits mit 5 der Top-10-OEMs Chinas zusammen und liefern für deren meistverkaufte Modelle. Nur wenige globale Akteure kombinieren dieses Maß an realer Marktdurchdringung und OEM-Vertrauen.

Das alles geht nur mit immenser Rechenpower.

Yu: Wir haben einen Durchbruch bei der Rechenleistungseffizienz erzielt. QCraft maximiert die Compute-Effizienz und erreicht bessere Leistung mit weniger Hardware. Das ermöglicht es OEMs, autonome Features auf Premium-Niveau effizienter zu liefern. Sicherheit und Compliance sind unser Fundament. Wir haben über sechs Milliarden Kilometer Sicherheitstestkilometer absolviert, validiert über Millionen von Fahrzeugen. Wir entsprechen vollständig internationalen Sicherheits- und Datenstandards (ISO, Euro NCAP, DSGVO etc.). Sicherheit ist die Grundlage – was QCraft unterscheidet, ist die Bereitstellung von Sicherheit in Kombination mit Skalierung und Effizienz.

Sie geben an, dass ein Eingriff nur alle 400.000 Kilometer nötig ist. Wie haben Sie diese Zuverlässigkeit erreicht? 

Yu: Unsere AEB-Fehlauslösungsrate (Automatisches Notbremssystem) liegt bei weniger als 1 pro 400.000 Kilometer. Zum Vergleich: der Branchendurchschnitt liegt bei 1 pro 10.000 bis 100.000 Kilometer. Wir haben das erreicht, indem wir traditionelle regelbasierte Systeme durch einen KI-gesteuerten Ansatz der nächsten Generation ersetzt haben. Diese Methode nutzt massive reale Daten, um unser sicheres End-to-End-Large-Model zu trainieren und ihm zu ermöglichen, echte Bedrohungen von Fehlalarmen mit beispielloser Präzision zu unterscheiden.

Welche Anpassungen braucht Ihre Technologie, um in Europa zu funktionieren – Stichwort Infrastruktur, Verkehrskultur, Regulatorik, Handynetz?

Yu: Für jede Region, in der wir arbeiten, gibt es einzigartige Bedingungen und Herausforderungen beim Fahren. In Europa bauen wir auf unsere Erfahrungen in anderen Regionen auf und nutzen unsere Kerntechnologie und starke Grundlage, um Lösungen für europäische Fahrbedingungen zu entwickeln. Wir werden lokal Lösungen basierend auf unseren Kernkompetenzen entwickeln, die auf lokale Markt- und Kundenbedürfnisse zugeschnitten sind. Wir sind in Europa, für Europa: Wir bieten unseren Partnern maßgeschneiderte und gemeinsam entwickelte Lösungen.

In 26 chinesischen Städten sind bereits über 200 autonome Busse mit QCraft-Technik im Einsatz. Ist ein ähnlicher Einsatz im europäischen ÖPNV denkbar?

Yu: Ja, ein ähnlicher Einsatz ist absolut denkbar und Teil unserer globalen Strategie. Unsere bewährte Technologie aus China dient als Grundlage. Für Europa ist jedoch unser erster kritischer Schritt eine europäische Zentrale für lokale F&E und vor allem die Navigation durch die strengen Sicherheits- und Datenvorschriften der EU. Der Zeitrahmen hängt vom Aufbau von Vertrauen bei europäischen Kunden und Partnern ab.

Wie schauen Sie auf die europäischen Entwicklungen beim autonomen Fahren?

Yu: Wir betrachten Europa als einen kritischen und strategischen Markt für die Zukunft des autonomen Fahrens. Unser Ansatz ist nicht reaktiv, sondern proaktiv und engagiert. Wir legen das Fundament für langfristigen Erfolg durch zwei Schlüsselmaßnahmen.

Aufbau einer lokalen Präsenz: Wir gründen Ende 2025 unsere Europazentrale in Deutschland, um die strengen EU-Vorschriften tiefgreifend zu verstehen und zu erfüllen und sicherzustellen, dass unsere Technologie von Anfang an für europäische Straßen und Standards maßgeschneidert ist.

Strategische Partnerschaften schmieden: Unsere Zusammenarbeit mit globalen Marktführern wie Qualcomm zielt speziell darauf ab, eine Fahrplattform der nächsten Generation für internationale OEMs zu entwickeln, mit Massenproduktion ab 2026. Obwohl wir das komplexe regulatorische Umfeld und die starke Konkurrenz respektieren, sind wir zuversichtlich, dass unsere bewährte Technologie und Sicherheitsbilanz eine solide Grundlage bieten. Unser Ziel ist es, ein vertrauensvoller, langfristiger Partner bei der Gestaltung von Europas autonomer Verkehrszukunft zu werden.

Vertrauen ist ein Schlüsselthema. Wie wollen Sie die europäische Bevölkerung von der Sicherheit und Zuverlässigkeit autonomer Systeme überzeugen?

Yu: Wir werden das auf drei Schlüsselwegen tun.

Unabhängige Validierung: Wir arbeiten mit TÜV Rheinland zusammen, einer vertrauenswürdigen europäischen Sicherheitsbehörde, um unsere Technologie den strengsten unabhängigen Tests und Zertifizierungen nach strikten EU-Vorschriften zu unterziehen.

Datenbasierte Beweise: Wir werden Sicherheit transparent mit überlegenen, messbaren Ergebnissen demonstrieren, wie etwa unserer branchenführenden AEB-Fehlintervention von weniger als einmal pro 400.000 Kilometer.

Lokales Engagement: Wir errichten eine europäische Zentrale und ein F&E-Zentrum, um sicherzustellen, dass unsere Systeme für lokale Straßen konzipiert sind und zu zeigen, dass wir ein langfristiger Partner sind, der in die Gemeinschaft investiert.

Die Eingriffe von teilautonomen Systemen in Pkw sind bisweilen so robust, dass viele Fahrer sich dabei erschrecken, zumal die Systeme in Situationen, in denen kein Fahrer eingreifen würde, oft sehr hart reagieren. Wie stimmen Sie ihre Systeme auf das von einem durchschnittlichen Fahrer gewohnte Fahrverhalten im belegten Straßenverkehr ab?

Yu: ‚Menschenähnliche, aber sicherere‘ Intelligenz: QPilot wird mit Daten erfahrener menschlicher Fahrer trainiert, um geschmeidige, vorhersagbare Beurteilungen und Manöver zu replizieren, nicht nur starre Regeln. Vorausschauend, nicht nur reaktiv: Die KI antizipiert potenzielle Risiken Sekunden im Voraus und ermöglicht frühere, sanftere Eingriffe statt Last-Minute-Schockreaktionen. Und stufenweise Eskalation: Eingriffe beginnen mit subtilen Warnungen und entwickeln sich zu sanftem Lenken oder Bremsen. Vollbremsungen sind ein letztes Mittel nur bei unmittelbar drohenden Kollisionen.

Ihre Systeme sammeln riesige Datenmengen. Wie stellen Sie sicher, dass Sie die europäischen Datenschutzstandards (DSGVO) einhalten?

Yu: Wir befolgen die DSGVO vollständig. EU-Fahrerdaten werden lokal unter EU-Jurisdiktion gespeichert und verarbeitet, mit strenger De-Identifizierung. Keine Regierung außerhalb der EU hat Zugang. Zweitens haben wir lokale Niederlassung: Errichtung einer europäischen Zentrale in Deutschland, um Compliance direkt im EU-Regulierungsumfeld zu verwalten. Drittens gibt es technische Schutzmaßnahmen: Implementierung von Datenminimierung, Verschlüsselung, Zugriffskontrollen und klaren Aufbewahrungsrichtlinien im Einklang mit DSGVO-Prinzipien. Und der Punkt Datensouveränität: Sicherstellung, dass Daten aus europäischen Operationen innerhalb der EU gespeichert und verarbeitet werden, um Datenresidenz-Anforderungen zu erfüllen.

Werden Sie für Europa eigene Datenbestände aufbauen – oder auf die in China gesammelten Milliarden Testkilometer zurückgreifen?

Yu: QCraft wird seine aus chinesischen Daten entwickelten KI-Kernmodelle und technologischen Grundlagen nutzen, sich aber nicht ausschließlich darauf für den europäischen Einsatz verlassen. Um Sicherheit, Leistung und regulatorische Compliance (wie DSGVO) zu gewährleisten, ist es unerlässlich, separate, umfangreiche Datensätze von europäischen Straßen aufzubauen. Die Errichtung einer europäischen Zentrale in Deutschland ist entscheidend und ermöglicht die lokale F&E und Tests, die nötig sind, um europäische Daten zu sammeln und zu verarbeiten.

Planen Sie in Europa eher als Technologie-Partner für OEMs aufzutreten oder auch eigene Flotten zu betreiben? Welche Partner haben Sie schon, welche suchen Sie noch?

Yu: QCraft wird in Europa hauptsächlich als vertrauensvoller Technologiepartner für OEMs agieren und fortschrittliche Fahrlösungen bereitstellen. Der Fokus liegt auf der Integration in Fahrzeuge etablierter Automobilhersteller, nicht auf dem Betrieb eigener kommerzieller Flotten. Qualcomm ist der Grundstein-Technologiepartner für die Entwicklung einer intelligenten Fahrplattform der nächsten Generation für globale Märkte, einschließlich Europa. QCraft wird die Verbindungen zu europäischen Automobilherstellern, Tier-1-Zulieferern und Regierungsbehörden stärken, um ein lokalisiertes Ökosystem aufzubauen.

Wo möchten Sie QCraft in fünf Jahren sehen – als Zulieferer für europäische Hersteller oder als globaler Plattformanbieter?

Yu: QCraft priorisiert immer Kunden- und Nutzerwert. Wir werden flexible und effiziente autonome Fahrlösungen bereitstellen, die auf die Bedürfnisse des europäischen Marktes, unserer OEM-Partner und Endnutzer zugeschnitten sind. Mit unserer europäischen Zentrale in Deutschland als Drehkreuz werden wir lokale F&E-, Test- und Betriebsteams etablieren, um sicherzustellen, dass unsere Produkte den strengen Sicherheits- und Daten-Compliance-Standards der EU entsprechen und direkten Support für unsere europäischen Kunden bieten.

Vielen Dank, Herr Yu, für das Gespräch.

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