Das „unabwendbare Ereignis“
Definitionsfragen | Wer schon mal an einem Unfall beteiligt war, hat diesen Begriff im Zusammenhang mit Haftungsausschlüssen schon gehört. Was verbirgt sich dahinter? Und wann ist man von der Haftung vollständig befreit?
— Der Haftungsausschlusstatbestand des „unabwendbaren Ereignisses“ ist heute nur noch für einen Teilbereich von Verkehrsunfällen relevant. Früher ließ ein „unabwendbares Ereignis“ dagegen jegliche Haftung des Autofahrers – auch gegenüber Kindern und Radfahrern – im Straßenverkehr entfallen (§ 7 Abs. 2 StVG a.F.). Dem ist heute nicht mehr so.
Anwendbar ist dieser Haftungsausschluss jedoch nach wie vor im Verhältnis motorisierter Verkehrsteilnehmer untereinander (§ 17 Abs. 3 Satz 1 StVG), sofern deren Fahrzeuge der Gefährdungshaftung unterliegen, was praktisch immer der Fall ist. Gegenüber einem anderen motorisierten Verkehrsteilnehmer (haftpflichtiger Halter des Fahrzeugs oder Fahrer) kann sich der nach § 7 Abs. 1 StVG (aus Gefährdungshaftung) in Anspruch genommene Kfz-Halter auch heute noch auf ein (für ihn) „unabwendbares Ereignis“ berufen und sich somit von seiner Haftung sogar vollständig befreien.
Exkurs: Begriff der „höheren Gewalt“ | Um den Schutz insbesondere von Kindern zu stärken, hat der Gesetzgeber die Haftung nach § 7 StVG bereits 2002 wesentlich verschärft. Für einen bestimmten Kreis von Verkehrsteilnehmern (zum Beispiel Fußgänger, Radfahrer, Inlineskater, also alle nicht motorisierten Verkehrsteilnehmer) hat der Gesetzgeber den Begriff des „unabwendbaren Ereignisses“ durch den der „höheren Gewalt“ ersetzt.
Seltene Beispiele hierfür sind: Hochschleudern eines unsichtbaren Steines bei Mäharbeiten, grobes Fehlverhalten eines Radfahrers, Tiere auf Bahngleisen, ein von Sturmböen erfasster Anhänger, der am Straßenrand abgestellt war, oder Naturereignisse wie Steinschlag oder Erdrutsch.
Diese Beispiele aus der Rechtsprechung zeigen, dass es noch keine genauere einheitliche Definition des BGH gibt. Kriterium ist jedoch, dass Haftungen ausgeschlossen werden sollen, die nicht mehr dem Verkehrsvorgang alleine zugeordnet werden können, sondern vielmehr auf einem Drittereignis beruhen, das vom Verkehrsvorgang unabhängig ist.
Zurück zum „unabwendbaren Ereignis“. Das den Autofahrer entlastende – und von ihm zu beweisende – Ereignis ist nicht der Verkehrsunfall als solcher. Es ist vielmehr das Ereignis gemeint, das den Unfall verursacht hat. Dies ist ein bedeutender Unterschied. Ein solches Ereignis kann damit auch der Zustand des Fahrzeugs sein (zum Beispiel eine unerkannt defekte Bremsanlage).
In aller Regel steht jedoch bei der Frage nach der Unabwendbarkeit eines Ereignisses die Frage nach der Fahrweise der Unfallbeteiligten im Fokus. Das zu beleuchtende Ereignis ist also in aller Regel die konkrete Fahrweise. Unabwendbar meint in diesem Zusammenhang nicht eine absolute objektive Unvermeidbarkeit des Unfalles, sondern ein zum Schadenseintritt führendes Ereignis, das auch bei der äußersten möglichen Sorgfalt nicht hätte abgewendet werden können.
Betrachtung im Nachhinein | Der mit der Sache befasste Richter hat sich also die Frage zu stellen, wie sich ein alle Sorgfalt beachtender Idealfahrer anstelle des verunfallten Kfz-Fahrers verhalten hätte und ob dieser den Unfall dann hätte vermeiden können. Es geht also um eine Betrachtung im Nachhinein unter optimalen Bedingungen als Maßstab für das richtige Verhalten.
Die Rechtsprechung möchte somit sicherstellen, dass der Schädiger von der Haftung für Schäden im Straßenverkehr freigestellt wird, die sich auch bei vorsichtigem Verhalten nicht vermeiden lassen.
Die geforderte und nach den Umständen des Einzelfalles gebotene Sorgfalt bedeutet ein sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln erheblich über dem Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt im Sinne des § 276 BGB. Im Laufe der letzten Jahre hat sich in diesem Zusammenhang der Begriff des „Idealfahrers“ auch in der Rechtsprechung eingebürgert.
Der Halter, der mit Erfolg die Unabwendbarkeit eines Unfalles geltend machen möchte, muss nachweisen, dass er respektive sein Fahrer sich wie ein solcher Idealfahrer verhalten hat. Die Prüfung darf sich nicht auf die Frage beschränken, ob der Fahrer in der konkreten Situation wie ein Idealfahrer gefahren ist und reagiert hat.
Wichtig und deshalb vom Gericht zu prüfen ist auch, ob ein Idealfahrer überhaupt in eine solche Gefahrenlage geraten wäre (BGH, Urt. v. 13.12.2005, Az. VI ZR 68/04; NJW 2006, 896). Dies leuchtet am folgenden Beispiel auch ein: Wenn ein Autofahrer zum Beispiel mit unzulässig überhöhter Geschwindigkeit vor Eintritt der Gefahrensituation unterwegs war, dann kann er sich selbst bei nachweislich idealer Reaktion (beispielsweise Bremsverhalten) im anschließenden Schadenfall nicht mehr entlasten.
In solchen Fällen bleibt dem Unfallfahrer nur noch der Einwand des „idealen Alternativverhaltens“. Trotz nicht durchgängigem Idealverhalten kann die Haftung dennoch entfallen, wenn dem Fahrer der Nachweis gelingt, dass der Unfall mit vergleichbar schweren Folgen auch bei angepasster Geschwindigkeit, mithin regeltreuem Verhalten, geschehen wäre.
Richtgeschwindigkeit | Die Konsequenz dieses Beispiels wird umso deutlicher, wenn man sich die Entscheidung des BGH aus dem Jahre 1992 (Entscheidung vom 17.3.1992, Az. VI ZR 62/91, DAR 1992, 257) zur Autobahn-Richtgeschwindigkeit vor Augen führt. Nur der zuvor auf die Kausalität abzielende Einwand des „idealen Alternativverhaltens“ kann Autofahrern helfen, die die Autobahn-Richtgeschwindigkeit von 130 km/h im Falle eines Unfalles nicht eingehalten haben.
Wer die Richtgeschwindigkeit nicht einhält, verhält sich grundsätzlich nicht wie ein Idealfahrer. Deshalb kann sich derjenige, der unstreitig oder bewiesenermaßen schneller als 130 Stundenkilometer gefahren ist, nicht auf Unabwendbarkeit berufen; ihm bleibt nur der Einwand im Hinblick auf die Kausalität. Eine Freistellung von der Gefährdungshaftung ist nur möglich, wenn der Nachweis gelingt, dass die feststehende Überschreitung der Richtgeschwindigkeit auf den Schadenseintritt und die Schadenfolgen ohne Einfluss geblieben ist. Dieser Beweis wird, wie die wenigsten Autofahrer in entsprechender Situation wahrhaben wollen, nur sehr selten gelingen.
Bei alledem dürfen die Anforderungen an einen Idealfahrer aber auch nicht überzogen werden. Stärker als früher beachtet die Rechtsprechung auch für den geforderten Idealfahrer heute den im Straßenverkehr geltenden Vertrauensgrundsatz zumindest prinzipiell. Wo nach normalen Sorgfaltsregeln nach vertraut werden darf, kann nach dem strengen Maßstab des § 17 Abs. 3 StVG bereits Misstrauen angebracht sein. Aber auf das Unterlassen grober Verstöße anderer Verkehrsteilnehmer darf sich auch ein Idealfahrer verlassen (zum Beispiel das Vertrauen darauf, dass Radfahrer nicht entgegen der Einbahnstraße fahren, sofern dies nicht ausdrücklich durch Verkehrszeichen für zulässig erklärt wurde).
Gespaltener Entlastungsbeweis | Bleibt noch zu klären, was die Rechtsprechung unter einem „gespaltenen Entlastungsbeweis“ versteht: Dieser Begriff wird für diejenigen Fälle verwendet, in denen der Halter eines Kfz respektive dessen Fahrer sowohl einem motorisierten Verkehrsteilnehmer (wiederum Halter, Fahrer) als auch einem nicht motorisierten Verkehrsteilnehmer (Fußgänger, Radfahrer) gegenüber wegen eines einheitlichen Unfallgeschehens ersatzpflichtig ist.
Kritisch ist diese Konstellation unter der Voraussetzung, dass der Unfall für beide Halter (Fahrer) ein unabwendbares Ereignis war, der erschwerte Entlastungsbeweis nach § 7 Abs. 2 StVG („höhere Gewalt“) aber nicht geführt werden kann. Wenn nun nach der Entschädigung des Fußgängers (mangels der Entlastung wegen höherer Gewalt) der eine Halter bei dem anderen Halter Regress nimmt, könnte theoretisch das „unabwendbare Ereignis“ entgegengesetzt werden. Dieses sachwidrige Ergebnis lehnt die Rechtsprechung ab. Der erleichterte Entlastungsbeweis (unabwendbares Ereignis) kommt hier nicht zum Tragen.
Hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast ist davon auszugehen, dass der Halter den Richter davon überzeugen muss, dass das Fahrzeug und seine Vorrichtungen in einwandfreiem Zustand und funktionstüchtig waren und dass er respektive sein Fahrer sich in jeder Beziehung wie dargestellt ideal verhalten haben. Beide Aspekte hat der Halter darzulegen und zu beweisen.
Wirkliche Nutznießer dieser Thematik seit der Reform des Schadensersatzrechts im Jahr 2002 sind Insassen von Kraftfahrzeugen (Bei- und Mitfahrer). Mussten sie früher bei unentgeltlicher Mitfahrt im Falle eines Unfalles ein Verschulden des Fahrers (Halters) nachweisen, so haben sie nun Ersatzansprüche (aus Gefährdungshaftung) und die Halterhaftung ihnen gegenüber entfällt erst bei so gut wie nie vorliegender „höherer Gewalt“.
Das Zusammentreffen derart hoher Sorgfaltsmaßstäbe mit der Verpflichtung zum Entlastungsbeweis heißt de facto: Der Haftungsausschluss „unabwendbares Ereignis“ kommt nur höchst selten zum Tragen. Eine Erklärung dafür, warum – für den Laien meist nicht nachvollziehbar – bei Verkehrsunfällen die Schäden so häufig gequotelt werden.
| Dr. Michael Ludovisy
Restwertabrechnung | Unwirksamkeit kurzer Frist
– In AGB von Leasingverträgen mit Restwertabrechnung ist eine Frist in einer Andienungsklausel von zwei Wochen zur Benennung eines Käufers und zur vollständigen Abwicklung des Ankaufs einschließlich Barzahlung und Auskehr an die Leasinggesellschaft zu kurz. Der Leasingnehmer wird hierdurch benachteiligt und unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1 BGB behandelt. Eine solche Regelung ist daher auch im kaufmännischen Verkehr unwirksam.
OLG Frankfurt, Az. 12 U 211/11; DAR 2014, 271
Ein-Prozent-Regel | Reichweite des Anscheinsbeweises
– Über die Frage, ob und welches betriebliche Fahrzeug dem Arbeitnehmer ausdrücklich oder auch konkludent zur privaten Nutzung überlassen ist, entscheidet das Finanzgericht unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles. Steht nicht fest, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen Dienstwagen zur privaten Nutzung überlassen hat, kann der Beweis des ersten Anscheins diese Feststellungen nicht ersetzen.
BFH, Az. VI R 23/12; NZV 2014, 134
ZF Automatisch Stichmarke Urteile
A
F Elemente - Titel Kasten ohne Einzug
AF Elemente - Grundtext KastenEsti derum audit alibus cusamet urescitat. Cipsa quias dit perspiet re vel maio
AF Elemente - Text Urteil Aktenzeichen
Amtshaftung bei Schäden | Behördlich veranlasstes Abschleppen
– Beauftragt die Straßenverkehrsbehörde zur Vollstreckung einer Verkehrsregelung einen privaten Unternehmer mit dem Abschleppen eines verbotswidrig geparkten Fahrzeugs, so wird dieser Unternehmer bei der Durchführung des Abschleppvorgangs hoheitlich tätig.
Dem Falschparker steht bei einer Beschädigung seines Fahrzeugs gegenüber der Stadtverwaltung neben seinem Amtshaftungsanspruch ein Schadensersatzanspruch aus einem durch den Abschleppvorgang begründeten öffentlich-rechtlichen Verhältnis zu.
BGH, Az. VI ZR 383/12, DAR 2014, 259
Fahrverbot | Gerechtfertigt bei häufiger Handynutzung am Steuer
– Die wiederholte verbotswidrige Benutzung eines Mobiltelefons ist geeignet, die Anordnung eines Fahrverbots wegen „beharrlicher Pflichtverletzung“ zu rechtfertigen. Bei der Verhängung eines Fahrverbots, das kein indiziertes Regelfahrverbot darstellt, muss die richterliche Entscheidung erkennen lassen, dass das Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bei der Bestimmung der Nebenfolge „Fahrverbot“ beachtet worden ist.
Ein solches Fahrverbot kommt in der Regel nur dann in Betracht, wenn eine Geldbuße allein als angemessene Sanktion nicht (mehr) ausreicht. Dies ist vorliegend wegen mangelnder Rechtstreue angesichts wiederholter Verstöße gegen das Handyverbot vom Gericht angenommen worden.
OLG Hamm, Az. 3 RBs 256/13; NZV 2014, 188
ZF Automatisch Stichmarke Urteile
A
-N
F Elemente - Titel Kasten ohne Einzug
AF Elemente - Grundtext KastenEsti derum audit alibus cusamet urescitat. Cipsa quias dit perspiet re vel maio
AF Elemente - Text Urteil Aktenzeichen
Sachverständigenkosten | Keine Verpflichtung zur Marktforschung
– Der Geschädigte eines Verkehrsunfalls muss nicht vor der Beauftragung eines Kfz-Sachverständigen eine Marktforschung betreiben. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die geltend gemachten Honorarsätze deutlich über den in der Branche üblichen Vergleichspreisen liegen.
BGH, Az. VI ZR 225/13; r+s 2014, 2003
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Allgemeines Lebensrisiko | Schaden durch Astbruch
– Ein natürlicher Astbruch, für den zuvor keine besonderen Anzeichen zu erkennen waren, gehört auch bei hierfür grundsätzlich anfälligen Baumarten zu den naturgebundenen und daher hinzunehmenden Lebensrisiken. Eine straßenverkehrssicherungspflichtige Gemeinde muss daher bei gesundem Baumbestand auch dann keine besonderen Schutzmaßnahmen ergreifen, wenn bei diesen – hier eine Pappel, Weichholzart – ein grundsätzlich erhöhtes Bruchrisiko besteht.
BGH, Az. III ZR 352/13, DAR 2014. 261
ss
Befangenheit | Gutachter ablehnen
– Bereits der bei der ablehnenden Partei erweckte Anschein der Parteilichkeit des Sachverständigen rechtfertigt dessen Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit.
Dieser Anschein muss sich allerdings auf Tatsachen oder Umstände gründen, die vom Standpunkt des Ablehnenden und bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung erwecken können, der Sachverständige stehe der zu beurteilenden Sachlage nicht unvoreingenommen gegenüber.
OLG München, Az. 10 W 32/14
Fahrtenbuchauflage | Erfolglose Ermittlung als Voraussetzung?
– Die Auferlegung eines Fahrtenbuches nach § 31 a Abs. 1 Satz 1 StVZO setzt nicht voraus, dass der Fahrzeughalter die Unmöglichkeit der Feststellung des Fahrers nach einem Verkehrsvergehen zu vertreten hat. Die Fahrtenbuchauflage kann daher auch dann erfolgen, wenn der Halter an der Feststellung sogar mitgewirkt hat, die gebotenen Ermittlungsbemühungen der Behörde aber dennoch erfolglos geblieben sind.
OVG Münster, Entscheidung vom 28.10.2013, Az. 8 A 562/13, DAR 2014. 283
n
sversuche
Betriebsgefahr | Schaden durch brennendes Fahrzeug
– Für die Zurechnung der Betriebsgefahr kommt es entscheidend darauf an, dass der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang des Fahrzeugs steht.
Steht der Fahrzeugbrand eines geparkten Kfz in einem solchen örtlichen und zeitnahen Zusammenhang mit dessen Betriebsvorgang, ist der dadurch verursachte Schaden an Rechtsgütern Dritter im Sinne des § 7 Abs. 1 StVG regelmäßig der Betriebsgefahr des Kfz zuzurechnen.
BGH, Az. VI ZR 253/13; r+s 2014, 194
- Ausgabe 6/2014 Seite 62 (3.3 MB, PDF)