Kosten der Beilackierung
Welche Aufwendungen im Schadensfall sind bei fiktiver Abrechnung gegenüber der gegnerischen Kfz-Haftpflichtversicherung erstattungsfähig? Kosten für Beilackierungen werden gern gekürzt – oft zu Unrecht.
Als Geschädigter ist es essenziell wichtig zu wissen, welche Kosten einem zustehen. Wird konkret durch Einreichung einer Rechnung abgerechnet, ist dies meist unproblematisch. Verzwickt wird es, wenn es um die fiktive Abrechnung geht.
Fiktive Abrechnung
Nach § 249 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) hat, wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, den Zustand wieder herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Da dieser Grundsatz der Naturalrestitution im Schadensersatzrecht grundsätzlich nicht zur Anwendung kommt, denn dies hieße, der Schädiger würde die Reparatur durchführen, kann der Geschädigte den Betrag verlangen, den die Reparatur in einer Fachwerkstatt seines Fabrikats kosten würde.
Hierbei bleibt es dem Geschädigten innerhalb seiner Dispositionsfreiheit überlassen, ob überhaupt und, wenn ja, wie er repariert. Er hat keine Rechenschaft über die Verwendung der Mittel abzulegen; insbesondere ist er nicht zur Vorlage einer Rechnung beim Schädiger beziehungsweise dem dahinter stehenden Haftpflichtversicherer verpflichtet. Einen Gesamtüberblick über die Schadenspositionen, die einem Geschädigten zustehen, finden Sie in Autoflotte 09/2007, S. 72, die Sie als Arbeitshilfe nach wie vor zur Hand nehmen können.
Prüfbericht
Im Laufe der letzten Jahre hat sich ein regelrechter Streit entwickelt, welche Reparaturkosten zum „erforderlichen Reparaturumfang“ gehören. Die Rechtsprechung ist strenger geworden. Die meisten Fuhrparkleiter werden es kennen, dass – statt des geltend gemachten Geldbetrages laut Kostenvoranschlag oder Sachverständigengutachten – ein geringerer Betrag und zeitgleich ein Prüfbericht vom Versicherer eingeht. Hintergrund ist, dass nur solche Kosten innerhalb der fiktiven Abrechnung zu erstatten sind, die zum „erforderlichen“ Aufwand gehören und bei einer Reparatur auch tatsächlich anfallen.
Beilackierung
Bei der Streichung dieser Kosten kommt es nach den obigen Grundsätzen darauf an, ob ohne eine flächenübergreifende Lackierung Farbtonunterschiede vermieden werden können. Folglich ist die Beilackierung eine Kompensation des technischen Minderwertes, der sonst anfallen würde.
Technischer Hintergrund
Die Beilackierung ist ein Lackierverfahren mit einem Übergang, bei dem der Lack von der vorgeschriebenen Schichtstärke auslaufend in die angrenzende Fläche (Bauteil) hinein lackiert wird. Dies hat den Hintergrund, dass es sich bei einem Reparaturlack und dem Serienlack um zwei unterschiedliche Farben handelt, auch wenn diese nahezu identisch sein können. Eine Reparaturlackierung soll optisch und qualitativ möglichst dem Originalzustand beziehungsweise dem Zustand der Reparaturstelle vor dem Unfall entsprechen. Dies ist bei circa 50.000 Farbtönen alleine auf dem deutschen Markt bereits eine Herausforderung. Hinzu kommt, dass die Lacke unter Witterungs- respektive Sonneneinfluss nochmals Farbveränderungen unterliegen können. Ferner wird zumeist ein Farbmusterblech erstellt, sodass mithilfe dieser Farbmusterdokumentation die bestmögliche Farbtonrezeptur ausgewählt wird. Mit diesem kann bei den Lackierarbeiten im Reparaturbereich und an den angrenzenden Teilen verglichen werden, ob die Nuance passt und – wenn erforderlich – nachnuanciert werden muss.
Argument gegen die Erstattung bei fiktiver Abrechnung
Hauptargument gegen die Erstattung bei fiktiver Abrechnung ist, dass die Kosten der Beilackierung und damit einhergehend auch die Kosten für die damit verbundene Demontage und Montage der Anbauteile aus lackiertechnischen Gründen nicht zwingend erforderlich ist. Der Lackierer kann nach Herstellerrichtlinien bei der Lackiervorbereitung selbst verbindlich entscheiden, ob eine Beilackierung angrenzender Teile überhaupt erforderlich ist. Damit gehören diese Kosten nicht von vornherein zu den erforderlichen Kosten, solange nicht klar ist, dass diese bei einer Reparatur auch tatsächlich anfallen. Stehen die Kosten nicht von vornherein fest, kann der Unfallgeschädigte sie bei fiktiver Abrechnung vom Unfallgegner nicht verlangen, denn er darf sich nicht auf dessen Kosten bereichern (AG München, Urteil vom 24.02.2011, Aktenzeichen 343 C 23050/10, siehe auch Urteile auf S. 128).
Argumente und Urteile für die Erstattungsfähigkeit bei fiktiver Abrechnung
Die Rechtsprechung geht jedoch überwiegend davon aus, dass die Kosten für eine Beilackierung im Falle einer fiktiven Abrechnung dann zu erstatten sind, wenn sie bei einer Reparatur tatsächlich anfallen würden. Soweit sind sich noch „beide Seiten“ einig. Hier scheiden sich dann jedoch die Geister, wie die Beweislast ist und ob ein gerichtlicher Gutachter zur Frage der Erforderlichkeit eines Sachverständigen hinzugezogen werden muss oder ob das Gericht aus Beweislastgründen ohne weiteres Gutachten entscheidet (siehe Urteile auf Seite 128).
Fazit: Verlass auf die Kalkulation des Gutachters
Dreh- und Angelpunkt ist bei der fiktiven Abrechnung, dass die vom Gutachter kalkulierten Kosten erforderlich sind. Ein einfaches Bestreiten der Schädiger reicht insoweit nicht aus, um diese zu kürzen. Wichtig ist auch – wie bei allen Positionen – dass auf die Ex-ante-Sicht abgestellt wird; das bedeutet, auf die Beurteilung aus früherer Sicht. Doch letztlich ist eine pauschale Antwort nicht möglich, es ist eine Frage des Einzelfalles. Doch im Grundsatz gilt, dass Sie sich auf das verlassen können, was Ihr Gutachter kalkuliert hat und Sie Kürzungen nicht ungeprüft akzeptieren sollten. Inka Pichler
Urteile zur Beilackierung auf Seite 128 VV
In dieser neuen Serie geben wir in sechs Teilen eine Rechtsprechungsübersicht über häufig gekürzte Kosten und liefern Ihnen wertvolle Argumente für die Nachforderung.
Streitpunkte bei fiktiver Abrechnung, Teil 1:
Im nächsten Teil lesen Sie, wie die gegnerische Partei versucht, auf günstigere Stundenverrechnungsätze zu verweisen, und wie Sie dagegen vorgehen können.
Urteile zu Kosten der Beilackierung – so haben Richter bislang entschieden:
Bei Metall-Lackierung ist Beilackierung mehrheitlich erforderlich
Das Amtsgericht (AG) München hat bereits aus rechtlicher Sicht entschieden, dass die Notwendigkeit der Beilackierung vonseiten des Klägers sachlich fundiert und nachvollziehbar dargelegt wurde. Das Gericht folgte dem Vortrag und kam im Wege der richterlichen Schätzung zu dem Ergebnis, dass es zumindest bei Metall-Lackierungen in den meisten Fällen – trotz vorhandener Methoden zur Ermittlung des richtigen Farbtons – letztendlich erforderlich sei, eine Beilackierung durchzuführen, und gab der Klage zu 100 Prozent statt.
Auszüge aus der Urteilsbegründung: „Gemäß § 249 Abs. 2 BGB kann der Geschädigte im Zusammenhang mit der Schadenregulierung die Kosten verlangen, die ein verständiger wirtschaftlich vernünftig denkender Mensch in seiner Lage für zweckmäßig und notwendig halten darf. Bei der hier vorgenommenen fiktiven Abrechnung sind die Beilackierungskosten dann zu erstatten, wenn sie bei einer Reparatur tatsächlich anfallen würden. (…) Dadurch soll sichergestellt werden, dass nach Eingang der Reparaturkostenrechnung Abweichungen zur Kalkulation des Sachverständigen vermieden werden. (…) Das Gericht nimmt deshalb die Bewertung nach § 287 ZPO anhand der vorgelegten Unterlagen und einer eigenen Internetrecherche zu diesem Thema vor. Dabei war zu berücksichtigen, dass die vorgelegten Quellen und die im Internet verfügbaren Unterlagen größtenteils von gewissen Interessenverbänden oder Betroffenen veröffentlicht werden. Deshalb waren die Ausführungen entsprechend kritisch zu würdigen und die Begründung besonders zu beachten. (…) Unter Berücksichtigung der oben genannten Unterlagen geht das Gericht davon aus, dass es zumindest bei Metall-Lackierungen in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle erforderlich ist, trotz der beschriebenen Methoden zur Ermittlung des richtigen Farbtons letztendlich doch eine Beilackierung durchzuführen.“
AG München, Urteil vom 24.02.2011 –
Aktenzeichen 343 C 23050/10
Zwei Entscheidungen für den Kläger nach Gutachten
Ebenfalls das AG München hat innerhalb von zwei Monaten zwei weitere Male zugunsten des Geschädigten entschieden und ebenfalls die Beilackierungskosten zugesprochen. In beiden Fällen aufgrund gerichtlich eingeholter Gutachten.
Zitat: „Gemäß § 249 Abs. 2 S. 1 BGB kann der Geschädigte im Zusammenhang mit der Schadenregulierung die Kosten verlangen, die ein verständiger wirtschaftlich denkender Mensch in seiner Lage für zweckmäßig und notwendig halten darf. (…) Hier hat der Sachverständige eindrucksvoll beschrieben, durch wie viele unterschiedliche Parameter das Erscheinungsbild des Reparaturlacks im Verhältnis zum Originallack beeinflusst werden kann. (…) Das Gericht versteht das Gutachten des Sachverständigen so, dass daher jeder vernünftige Lackierer von vorneherein eine größere Menge Lack anmischt und in den allermeisten Fällen auch verbraucht, um angrenzende Flächen zu lackieren. Aus diesem Grund kann die Klagepartei die hierfür erforderlichen Kosten auch schon vorab bei fiktiver Abrechnung verlangen.“
AG München, Urteil vom 04.07.2011 – Aktenzeichen 343 C 24475/10; AG München, Urteil vom 10.05.2011 – Aktenzeichen 343 C 25356/10
Farbtonunterschied bei Sonneneinstrahlung
„Dem Kläger steht gegen die Beklagte nach § 249 BGB auch ein Anspruch auf Erstattung der Kosten der Beilackierung der Tür hinten links und der damit verbundenen De- und Montage der Anbauteile zu, sodass die insoweit erfolgten Abzüge der Beklagten nicht berechtigt sind.“ Das Gericht befindet, (…) „dass nicht auf Stoß lackiert werden kann, da ansonsten ein Farbtonunterscheid, insbesondere bei Sonneneinstrahlung auftreten würde.“
AG Bad Schwalbach, Urteil vom 23.02.2010 – Aktenzeichen 3 C 240/09
Richtigkeit des Gutachtens nicht in Frage zu stellen
„Notwendig sind (…) auch die Beilackierung angrenzender Lackteile und das Polieren. Zwar wendet die Beklagte sich gegen diese Annahme. (…) Ein einfaches Bestreiten einzelner vom Gutachter aufgeführter Positionen, die er aufgrund seiner Sachkunde seiner Schadensschätzung zugrunde gelegt hat, reicht jedoch nicht aus, um die Richtigkeit des Gutachtens in Frage zu stellen. (…)“
LG Kiel, Hinweisbeschluss vom 15.02.2010 – Aktenzeichen 1 S 107/09
Vom Sachverständigen für erforderlich gehaltene Beilackierung muss in Kostenberechnung einfließen
„Alle weiteren, von der Beklagten als nicht unfallbedingt gerügten Reparaturmaßnahmen hat der Sachverständige für erforderlich gehalten, sodass sie (…) einschließlich Beilackierung in die Reparaturkostenberechnung einzufließen haben. (…)“
AG Gießen, Urteil vom 28.10.2008 –
Aktenzeichen 43 C 141/08
Unwirtschaftlichkeit der Abrechnung und Verstoß gegen Schadenminderungspflicht ist zu beweisen
„Dasselbe gilt für die geltend gemachten Kosten der Beilackierung und der Positionen ,Farbmusterblech‘ und ,Mischanlage‘. (…) Rechnet der Geschädigte die Kosten der Reparatur ab und weist er die Erforderlichkeit der Mittel durch ein ordnungsgemäßes Gutachten eines Sachverständigen nach, hat der Schädiger die konkreten Tatsachen darzulegen und zu beweisen, aus denen sich die Unwirtschaftlichkeit der Abrechnung und damit ein Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht ergeben soll. (…).“
AG Aachen, Urteil vom 15.09.2008 – Aktenzeichen 120 C 225/08;
AG Aachen, Urteil vom 18.09.2008 – Aktenzeichen 85 C 580/07
Fiktive Abrechung erfordert Bestimmung der Reparaturarbeiten aus Ex-ante-Sicht
„Auch die Einwendungen der Beklagten gegen die Beilackierungskosten sind nicht geeignet, der Klägerin die geltend gemachten Reparaturkosten abzusprechen. Denn die Beklagten haben nicht die grundsätzliche Erforderlichkeit der Beilackierungsarbeiten abgestritten und insoweit einen Mangel des Gutachtens geltend gemacht, sondern lediglich ein-gewendet, dass sich im Rahmen der konkreten Lackiervorbereitung herausstellen könne, dass eine Beilackierung der angrenzenden Teile doch nicht erforderlich sei. Diese Einwendungen können jedoch im Rahmen der fiktiven Abrechnung nicht durchgreifen. Denn diese beruht gerade darauf, dass die Reparaturkosten durch eine Bestimmung der aus Ex-ante-Sicht erforderlichen Reparaturarbeiten festgestellt werden. (…)“
AG Wuppertal, Urteil vom 13.07.2007 – Aktenzeichen 32 C 392/06
- Ausgabe 10/2011 Seite 126 (815.2 KB, PDF)