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Vier Milliarden Kilometer

02.11.2020 06:00 Uhr
Vier Milliarden Kilometer

Geotab und Webfleet Solutions bringen Bewegungsdaten zusammen und analysieren damit die Auswirkungen der Corona-Maßnahmen für die Wirtschaft, wie die beiden Firmen-Chefs erklären.

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Wenn die Verkehre über die engverzweigten Straßennetze strömen, ist das wirtschaftliche System meist vital. Fließt es langsamer, dann hat dies Gründe. Der Verkehrsstrom dient also durchaus als Pulsmesser für die Wirtschaft. Das sehen auch der zu Bridgestone gehörende Telematikdienst Webfleet Soltuions und Geotab so. Seit Mai bringen beide Dienste ihre Flottendaten zusammen und ziehen Schlüsse daraus in Form des Commercial Mobility Recovery Dashboard. Die Bewegungen von mehr als drei Millionen Nutzfahrzeugen in Nord-(Mittel-)Amerika (USA und Kanada, Mexico) und Europa (Deutschland, Großbritannien, den Niederlanden, Polen, Frankreich, Italien und Spanien) werden anonymisiert zusammengefasst und ausgewertet. Wir sprachen mit Thomas Schmidt, CEO und Managing Director Webfleet Solutions, und Neil Cawse, Gründer und CEO Geotab, über die Ziele der Kooperation.

Für wen ist das gemeinsame Analyse-Tool gedacht?

Thomas Schmidt, CEO, Webfleet Solutions: Um zu verstehen, wie unsere Wirtschaft aufgrund der aktuellen Lage beeinträchtigt ist, ist der Zugriff auf konkrete Daten unerlässlich. Webfleet Solutions und Geotab sind zwei führende Telematikunternehmen mit mehr als drei Millionen vernetzten Fahrzeugen in ganz Europa und Nordamerika. Wir haben diese gemeinsame Initiative ins Leben gerufen, weil wir davon überzeugt sind, dass die Analyse der anonymisierten und aggregierten Daten sehr nützlich ist. Sie veranschaulichen eindrücklich die Auswirkungen von COVID-19 auf die Nutzfahrzeugaktivitäten. Wir glauben, dass die Daten sowohl unseren gemeinsamen Kunden als auch der Allgemeinheit helfen, um zu verstehen, wie sie in Anbetracht der Umstände ihre Ressourcen effizient planen und managen können. Ebenso sind die Daten hilfreich für regionale und kommunale Regierungen, die Maßnahmen zu einer Konjunkturbelebung nach COVID-19 treffen müssen.

Der Report erscheint momentan jede Woche. Soll diese Taktung beibehalten werden?

Neil Cawse, Gründer und CEO von Geotab: Ja, auf jeden Fall. Da COVID-19 nach wie vor große wirtschaftliche Auswirkungen hat und sich die entsprechenden Maßnahmen der Regierungen auch sehr schnell ändern können, wird dieses Instrument sowohl für die Kunden als auch für die Gemeinden im Allgemeinen weiterhin äußerst wertvoll sein. Wir werden daher den Bericht im wöchentlichen Zyklus fortsetzen.

Werden die Daten an Dritte (NGO, Wirtschaftsverbände, Politik etc.) gegeben, die diese für ihre Einschätzungen nutzen?

T. Schmidt: Nicht direkt, aber die Informationen des Dashboards sind öffentlich zugänglich. Jeder, der ein Interesse daran hat - seien es Regierungsstellen, NGOs oder Unternehmen -, hat freien Zugang zu den Daten über das wöchentlich aktualisierte Dashboard.

Und welche Reaktionen haben Sie sich erhofft?

N. Cawse: Mit dem Dashboard wollten wir möglichst vielen unserer Kunden, aber auch anderen Institutionen und Personen dabei helfen, die eigene Situation einzuschätzen und Vergleiche mit anderen Branchen und Ländern zu ziehen.

Welche Reaktionen gab es bisher?

T. Schmidt: Das Dashboard hilft Unternehmen und Kunden beispielsweise dabei zu verstehen, wie ihr geschäftliches Aktivitätsniveau im Vergleich zu regionalen Normen ist, so dass sie ihre eigenen Sanierungspläne mit mehr Vertrauen gestalten können. Darüber hinaus sehen wir, dass Regierungen die Daten nutzen, um unmittelbare Auswirkungen besser zu verstehen und politische Entscheidungen zu treffen.

N. Cawse: Wir sehen bisher, dass viele Menschen nicht einmal wussten, dass solche Daten existieren. Die Telematik wird immer noch oft als ein Werkzeug zur Produktivitätssteigerung angesehen - was sie ja auch ist. Aber darüber hinaus kann die Technologie noch viel mehr leisten. Wir haben gesehen, wie Menschen aus den verschiedensten Branchen auf das Dashboard zugreifen, darunter auch Beratungsfirmen, die beispielsweise Regierungen und Bildungseinrichtungen beraten. Für diese Institutionen sind die Daten eine gute Ergänzung zu ihren eigenen Analysen. Es ist wichtig zu betonen, dass die im Dashboard zur Verfügung gestellten Daten aus mehr als drei Millionen mit Geotab und Webfleet Solutions verbundenen Fahrzeugen aggregiert und anonymisiert wurden. Beide Unternehmen legen höchste Priorität darauf, dass Kundendaten geschützt werden und keine sensiblen Daten offengelegt werden.

Was hat Sie bisher überrascht?

T. Schmidt: Ein Grund, dieses Dashboard zu starten, war es daher, verstehen zu wollen, wie die gewerbliche Flottentätigkeit aktuell beeinflusst wird. Es hat uns überrascht zu sehen, wie groß die Unterschiede zwischen den verschiedenen Ländern waren, obwohl die Maßnahmen gegen COVID-19 sich doch sehr ähnelten. Außerdem war es interessant zu beobachten, wie sich einige Länder schneller erholten als andere. So konnten wir beispielsweise feststellen, dass Deutschland in der zweiten Maihälfte bereits wieder auf das Aktivitätsniveau vor COVID-19 zurückkam, wogegen Spanien unter 70 Prozent des üblichen Aktivitätsniveaus lag. Heute, wo die meisten Länder wieder ein Aktivitätsniveau von nahezu 100 Prozent erreicht haben, liegt Spanien immer noch bei etwa 85 Prozent.

Die Daten stammen aus Fahrzeugen, welche für die Transport-, Dienstleistungs- und Bauindustrie unterwegs sind. Warum wurden diese drei Branchen ausgewählt?

N. Cawse: Diese drei Sektoren sind gleichermaßen repräsentativ sowohl für Geotab als auch für Webfleet. Wir haben beide unterschiedliche Ansätze zur Definition von Branchen im Allgemeinen. Wir sind jedoch in der Lage, in den drei ausgewählten Sektoren einen guten Konsens zu erzielen.

T. Schmidt: Darüber hinaus sind diese Branchen bei unseren vernetzten Fahrzeugen bei weitem die größten und für das Gesamtbild des professionellen Transports am wichtigsten. Das gab uns die Möglichkeit, ein vertrauenswürdiges Wirtschaftsbarometer zu erstellen und die Auswirkungen von COVID-19 auf die Flottenaktivität zu veranschaulichen.

Welche Daten liefern Webfleet und Geotab und wie werden diese Daten zusammengefasst?

N. Cawse: Die Aufteilung ist relativ einfach, die Daten für Nordamerika stammen von Geotab, die Daten für Europa von Webfleet Solutions. Aufgrund der unterschiedlichen Daten für den Lockdown in Europa und den USA wurden für die Bestimmung des Normals unterschiedliche Zeiträume verwendet.

T. Schmidt: In Vorbereitung auf die Erstellung des Dashboards haben wir uns gemeinsame Kennzahlen angeschaut, die beide Unternehmen erheben. Nach umfangreichen Analysen konnten wir letztlich feststellen, dass die Zählung der Fahrten, die Messung der insgesamt gefahrenen Kilometer oder die Messung der Gesamtbetriebszeit zu ähnlichen Schlussfolgerungen hinsichtlich der Beschreibung der Gesamtaktivität führten. Alle Daten wurden aggregiert, anonymisiert und anschließend mit den Daten vor COVID-19 verglichen. Die Daten werden auf drei Arten aggregiert: täglich nach Land, täglich nach Land und Branche und wöchentlich für neun Länder und Gebiete (Großbritannien, Deutschland, Niederlande, Spanien, Italien, Frankreich, Kanada, Vereinigte Staaten und Mexiko). Darüber hinaus zeigt das Dashboard, wie bestimmte Branchen, wie das Baugewerbe, gewerbliche Dienstleister und die Transportlogistik, von den Entwicklungen beeinflusst worden sind.

Zahlen müssen interpretiert werden: Wie passiert dies, ohne dass die Wertung polarisiert?

N. Cawse: Um Fehlinterpretationen der Daten zu vermeiden, ist es entscheidend zu verstehen, woher die Daten stammen und wie sie analysiert wurden. Von größter Bedeutung ist dabei das Verständnis, dass die Daten ausschließlich von Nutzfahrzeugen stammen, aber auch das Verständnis, dass die repräsentative Mischung nach Branchen von Stadt zu Stadt und von Land zu Land unterschiedlich sein kann. Die Aggregation auf Länderebene hilft, einen Teil dieser Verzerrung zu beseitigen, dennoch werden zwei Länder nie dieselbe Gewichtung der Daten nach Branchen aufweisen.

Was passiert, wenn Flotten pleitegehen und nicht mehr in der Grundgesamtheit dabei sind? Rücken dann neue Flotten nach?

T. Schmidt: Derzeit wird die Änderung der Anzahl unserer Kunden oder ihrer Flottengröße nicht im Dashboard abgebildet. Einerseits wurde das Dashboard für den mittelfristigen Einsatz konzipiert, wo dieser Aspekt nur einen geringen Einfluss hätte. Andererseits können der Konkurs von Flotten und das Entstehen neuer Unternehmen selbst als direkte Auswirkung von COVID-19 angesehen werden.

Sind in diesen Berechnungen die Effekte der diesjährigen Feiertage rausgerechnet?

N. Cawse: Die Berechnungen werden mit dem gleichen Wochentag im Januar und Februar verglichen. Im Detail schließen die Metriken auf hoher Ebene, die eine Zunahme oder Abnahme auf Wochenbasis zeigen, Wochenenden und Feiertage in den Daten aus. In den Längsschnittdiagrammen nach Ländern und Branchen sind jedoch Wochenenden und Feiertage enthalten (wie aus dem Einbruch ersichtlich ist). Die Daten sind nach Wochentagen normalisiert, so dass Feiertage immer einen Einbruch aufweisen.

Sie erwähnten die Nutzfahrzeuge als Datenspender. Wie hoch ist der Transporter-Anteil (Vans) an der Flotte? Spielen Pkw eine Rolle?

T. Schmidt: Da das Dashboard die Auswirkungen auf die Nutzfahrzeugaktivitäten aufzeigen soll, spielen Pkw in den zusammengestellten Daten nur eine untergeordnete Rolle. Daten sind nur auf Länder- und Branchenebene verfügbar. Ziel des Dashboards ist es, einen Überblick über die Auswirkungen der gesamten Flottenaktivität in den jeweiligen Ländern zu erhalten.

Wie viele Kilometer werden dabei einbezogen?

N. Cawse: Natürlich variiert die Anzahl der Kilometer leicht. Derzeit umfassen wir etwa 4,1 Milliarden Kilometer pro Monat.

Von wie vielen Fahrzeugen nutzen Sie die Daten?

T. Schmidt: Die Daten werden von mehr als drei Millionen vernetzten Nutzfahrzeugen verarbeitet, die von Personenkraftwagen bis hin zu Lastkraftwagen der Klasse 8 reichen sowie Busse, leichte, mittlere und schwere Lastkraftwagen, aber auch emissionsfreie Fahrzeuge umfassen. Darüber hinaus sind branchenspezifische Aktivitäten für vernetzte Kraftfahrzeuge im Baugewerbe, bei gewerblichen Dienstleistern und in der Transportlogistik im Dashboard enthalten.

Womit erheben Sie die Daten (Datenbox, Dongle, Navigationssystem, Mobiltelefon ...)?

T. Schmidt: Die in Europa ausgewerteten Daten stammen von unseren Telematikgeräten. Diese Geräte liefern wesentliche Erkenntnisse über das Fahrzeug und das Fahrverhalten, da sie wahlweise an den OBD-II-Port, die FMS-Schnittstelle oder den CAN-Bus des Fahrzeugs angeschlossen sind. Die LINK-Box erfasst Daten zu Fahrzeugkilometerstand, Motorstatus, Wartungsbedarf und Flottenleistung. Für das Dashboard nutzen wir die Daten von allen unseren LINK- und PRO-Geräten, die in Fahrzeugen unserer Flottenkunden in ganz Europa installiert sind.

N. Cawse: Die Daten werden über ein Telematikgerät verarbeitet, das entweder fest verdrahtet oder direkt an den OBDII-Port ( Datenschnittstelle) eines Fahrzeugs angeschlossen ist.

Gibt es weitere Projekte an denen Geotab und Webfleet Solutions zusammenarbeiten werden?

T. Schmidt: Zum jetzigen Zeitpunkt sind keine weiteren Projekte geplant. Unsere Priorität ist aktuell, unseren Kunden, Gemeinschaften und wichtigen Interessenvertretern bei der Bewältigung des Wiederaufbauprozesses zu helfen.

N. Cawse: Im Moment ist nichts Konkretes geplant. Aber beide Seiten waren sehr zufrieden mit der Zusammenarbeit.

Herr Schmidt, Herr Cawse, herzlichen Dank für das Gespräch!

Hintergrund

Webfleet Solutions hat mit Geotab das "Commercial Mobility Recovery Dashboard" veröffentlicht. Darin abgebildet: Daten von mehr als drei Millionen vernetzten Nutzfahrzeugen in Nordamerika sowie Europa. Das Dashboard analysiert und zeigt die Auswirkungen von COVID-19 auf die Nutzfahrzeugaktivitäten in der Transport-, Dienstleistungs- und Bauindustrie. Durch die Zusammenführung ihrer Datenanalysen möchten beide Unternehmen Entscheidern in Wirtschaft, Regierung und Verwaltung einen tieferen Einblick in Zusammenhänge bieten und ihnen dabei helfen, die Auswirkungen von COVID-19 damit besser zu bewältigen.

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