Von Autoflotte getestet: Den Luxus gönn ich mir

01.10.2019 06:00 Uhr

Auch Volvo transformiert sich zur SUV-Marke. Dennoch haben die Schweden die vielleicht eleganteste Limousine im Portfolio. Ein Hoch aufs Stufenheck, ein Hoch auf den Verbrenner, ein Hoch auf den S60.

Stufenheck: ist tot. Verbrenner: ist tot. Frontantrieb: ist auch tot. So zumindest kommt es einem vor, wenn man in den Citys den Verkehr genauer betrachtet. In den Nebenstraßen versuchen sich die fetten SUV aneinander vorbeizuquetschen und die Damen und Herren am Volant sind genervt - von sich, von anderen, von ihrem dicken SUV. Am Heck prangen fett die Quattro-4matic-Xdrive-Schriftzüge und wer genau hinhört, hört nichts. Denn Hybrid muss ja sein: Der Umwelt zuliebe geht's nämlich elektrisch zum Bio-Discounter. Das ist kein Zukunftsszenario, sondern längst Realität. Die SUV-Verkaufszahlen klettern in fröhliche Höhen und die Dickschiffe versperren einem die Sicht auf der Autobahn, auf der Landstraße und in der Stadt - zumindest dann, wenn man in einer flachen, eleganten, klassischen Limousine hinterherfahren muss.

Die Limousine, das einstige Statussymbol der aufstrebenden Gesellschaft, hat längst ausgedient. Zuerst kamen die Kombis, dann die Vans. Jetzt geht es auch ihnen an den Kragen und die SUV und CUV übernehmen das Steuer. Vielleicht dreht sich das Blatt in zehn Jahren wieder und die Limousine kommt zurück? Doch Stopp: Die Limousine ist - warum auch immer - irgendwie nur in Mittel- und Nordeuropa tot. In anderen Ländern stellt sie nach wie vor die beliebteste Karosserieform dar, wenngleich das SUV überall von hinten drängelt. Warum aber wollen vor allem die Deutschen unbedingt immer "das Meiste/ Beste aus einem Fahrzeug rausholen", was vermeintlich das SUV in sich vereint? Geht es beim Autokauf nicht um Eleganz, Design und Ästhetik? Ein Vergleich: Sie hätten die Wahl zwischen einem wirklich hässlichen Einfamilienhaus mit 250 perfekt geschnittenen Quadratmetern und nebendran steht ein Design-Traum mit nur noch 150 Quadratmetern - ebenfalls gut geschnittenen - zum selben Preis. Würden Sie trotzdem den hässlichen Klotz wählen? Warum dann beim Automobil?

Lang lebe das Stufenheck

Lang lebe das Stufenheck, lang lebe schönes Design, lang lebe die Ästhetik, die unseren Augen und den Sinnen schmeichelt. So wie der Volvo S60. Perfekte Proportionen treffen bei ihm auf eine knackig-elegante Hülle, die durchaus Blicke auf sich zieht. Auf 4,76 Metern haben die Schweden eines der schönsten Automobile auf die Räder gestellt. Der S60 strahlt wahren Luxus aus, ohne dass dieser im Protz oder Überfluss entschwindet. 36.300 Euro kostet der Einstieg in Volvos Limousinen-Welt. Nicht billig, aber günstiger als jeder XC60. Ins Gesamtpaket passt beim S60, dass es keinen Diesel gibt und die Leistungsspanne bei frivolen 190 PS im T4 überhaupt erst beginnt. Darüber rangiert der T5 (250 PS) und der Plug-in-Hybrid (390 PS). Ob der PHEV Verschwendung ist, lesen Sie auf Seite 47, der mittlere ist überflüssig, der T4 irgendwie perfekt.

Der Vierzylinder ist extrem laufruhig, solange man im Drehzahlbereich unter 4.000 Touren bleibt. Darüber hält sich der Direkteinspritzer selten auf, denn die Kraft von 300 Newtonmetern und die sehr passend agierende Aisin-Achtgang-Automatik harmonieren mit dem nicht eben leichten 1,7-Tonnen-Gesamtpaket. Wer möchte, hastet in sieben Sekunden auf Tempo 100 - aus dem Stand. Bei 220 km/h wird eingebremst, das muss ausreichen. Und einstimmen auf nächstes Jahr. Dann ist bei Volvo bei 180 km/h Schluss mit lustig. Wer im Bereich der Richtgeschwindigkeit und bis 160 km/h unterwegs ist, wird auch beim Zweiliter-Benziner, der Partikelfilter-gereinigt ist, mit etwas mehr als sieben Litern auskommen. 7,4 lautet der WLTP-Wert.

Zu straff und poltrig

Die Domäne des S60 T4 ist zwar auch die schnelle Autobahn-Fahrt, denn da liegt er sportlich satt und gibt ein sicheres Gefühl beim Durchfahren langgezogener Kurven. Dieses Fahrgefühl kostet aber Komfort. Nun ist klar, dass der Zusatz R-Design in der Modellbezeichnung keine Sänfte erwarten lässt. Aber da der Test-S60 für 756 Euro mit dem Adaptivfahrwerk ausgerüstet ist, wäre mehr zu erwarten und bekommt daher von uns kein "Daumenhoch" für die dargebotene Komfort-Performance. Denn vor allem die unnachgiebige Hinterachse poltert recht häufig über Unebenheiten und die Insassen merken, dass 19-Zoll-Bereifung weder bei den Abrollgeräuschen noch beim Federn Maßstäbe setzt.

Sportsitze vielfältig verstellbar

Ein Komfort-Detail sollte eigentlich auch der Abstandsregler ACC sein. Doch beim S60 regelt dieser so hart und ruppig, dass sensible Piloten lieber selbst Herr der Dinge bleiben - zumindest auf deutschen Autobahnen. Da wird auch wieder ein Nachteil des Matrix-Lichts deutlich, den weder Premium- noch Volumenhersteller ausmerzen können. Gegenüber fahrende Lkw werden oft von den LED-Segmenten geblendet. Denn die Fahrzeug-Kamera erkennt den Laster auf der anderen Seite nicht zuverlässig, da die oberen Begrenzungsleuchten zu schwach und die Scheinwerfer oft von Leitplanken verdeckt sind. Zudem fällt beim S60 auf, dass das LED-Licht vor allem im Vorfeld ungewöhnlich fleckig ist und das Kurvenlicht nicht mittels Hauptscheinwerfer umgesetzt wird, sondern, wie bei Fiat, per Nebellampen. Den Komfort erhöhen eher die vielfach einstellbaren Sportsitze, auf denen fast jeder eine passende Sitzposition finden müsste. Auch die Gesamtintegration in die Limousine ist geglückt. Und wer vom Außendesign beglückt hereinspaziert, wird sich auch innen über das gelungene Ambiente freuen. Die Materialien sind fein, die Verarbeitung exzellent. Audiophile Menschen werden das Geräusch der Schließanlage beim Öffnen und Absperren bemängeln. Und das, das zehn Sekunden nach dem Verriegeln abermals folgt. Harman/Kardons Soundsystem ist wiederum eine Empfehlung für die Ohren. Die Made-in-China-Prägung auf dem 12-Volt-Blindstecker werden lediglich Pedanten bemerken. Das war's aber auch.

Beim Infotainment könnte es hingegen eher Beschwerden geben. Denn die Bedienung ist kompliziert, lenkt vom Verkehr ab und ist auch nach vier Wochen noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen. Zum Glück, könnte man denken, hat der in den USA produzierte S60 alle Helferlein an Bord, die Wagen und Insassen auf dem rechten Pfad halten. Vieles ist serienmäßig, einiges als Option. Wer was benötigt, entscheiden die individuellen Bedürfnisse. Genau wie beim Thema Platzangebot. Sind 442 Liter Kofferraumvolumen ausreichend? Fast immer wahrscheinlich ja. Notfalls lassen sich auch bei dieser Limousine die Lehnen umklappen und lange Gegenstände durchladen. Ein Rennrad, mit ausgebauten Rädern, passt in jedem Fall hinten rein.

So zeigt auch dieses Stufenheck mal wieder, dass Schönsein nichts mit Leiden zu tun haben muss und vermeintlich Unpraktisches durchaus oft attraktiver ist. Vielleicht wird das Stufenheck irgendwann mal wieder rational, wenn man merkt, dass ein SUV aus ästhetischen Gesichtspunkten nicht schön sein kann und aus praktischen Gründen oft viel zu fett ist. Oder man wählt einfach mal so ein schönes Automobil. Weil man es kann.

Volvo S60 T4 R-Design

Preis: 36.303 Euro R4/1.969 cm³ | 140 kW/190 PS 300 Nm/ 1.700 - 4.000 U/min 8-Gang-AT 7,1 s | 220 km/h WLTP 7,4 B | 168 g/km 4.761 x 1.850 x 1.431 mm | 442 LiterEffizienzklasse: CKH: 15 | TK: 20 | VK: 24Wartung: 30.000 km/jährlichGarantie: 2 Jahre

Autoflotte-Empfehlung

Volvo S60 T4: 36.303 EuroLicht-Paket inkl. Matrix: 924 EuroAkustikverglasung: 681 EuroRückfahrkamera: 588 EuroMetallic-Lackierung: 756 EuroIntellisafe-Pro-Paket: 1.471 EuroAlle Preise netto zzgl. Umsatzsteuer

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