Schüsse peitschen, Polizisten hechten hinter den Einsatzwagen. Was man aus Krimis kennt, hat allerdings wenig mit der Realität zu tun. Die offene Autotür bietet kaum mehr Schutz als eine Einkaufstasche, selbst Patronen einer kleinen Handfeuerwaffe durchschlagen locker das dünne Blech einer Fahrzeugkarosserie.
Jetzt wäre ein gepanzerter Polizeiwagen hilfreich. Doch zumindest in Europa bleiben Schutzfahrzeuge in erster Linie hochgestellten Politikern, Staatschefs und Unternehmensvorständen vorbehalten – kurz: Menschen, die sich vor Anschlägen und Entführungen schützen wollen. Ihr Dienstwagen sollte den Beschuss aus einer Schnellfeuerwaffe aushalten und sich im besten Fall auch nicht von einer Handgranate stoppen lassen.
Gepanzerte Autos

The Beast – der Trump-Panzer
Es muss ja nicht gleich ein rollender Panzer im Stil der sieben Meter langen Limousine des US-Präsidenten sein, im Volksmund „The Beast“ genannt. Details des Cadillacs werden zwar gehütet wie ein Staatsgeheimnis, auch der Preis. Aber so viel ist bekannt: Die rund sieben Tonnen schwere und fast sieben Meter lange Limousine basiert auf einer Lkw-Plattform und ihre bis zu 20 Zentimeter dicken Stahlplatten sollen selbst panzerbrechenden Waffen standhalten.
Auf anderen Kontinenten sind Schutzfahrzeuge oft einfach gestrickt und weiter verbreitet. In Südafrika und Brasilien trauen sich viele Menschen wegen der hohen Straßenkriminalität nur noch im geschützten Pkw auf die Straße. Wer nachts in Rio de Janeiro unterwegs ist, weiß: niemals bei Rot stoppen, niemals die Fenster öffnen. Zu groß ist die Gefahr, an der Ampel in den Lauf einer Pistole zu blicken und nicht nur das Bargeld, sondern gleich das Leben zu verlieren. In solchen Situationen kann bereits eine leichte Panzerung Leben retten.
Sieben Schutzklassen – alle kugelsicher
Die Automobilindustrie hat sich darauf eingestellt. Sie bietet jede Menge Modelle in unterschiedlichsten Schutzklassen, für Selbstfahrer ebenso wie für Chauffeurs-Limousinen und -SUV. Die wenigsten Modelle werden bei den Fahrzeugherstellern gebaut. Das Gros der Schutzfahrzeuge stammt von spezialisierten Unternehmen wie Trasco in Bremen, Klassen in Minden oder Stoof in Brandenburg. Dort bekommen Kunden entweder bereits fertige Fahrzeuge oder sie lassen ihren eigenen Pkw nachrüsten. Über ihre Kundschaft gibt sich die Branche allerdings ebenso wortkarg wie über die Sicherheitstechnik. Aber alle definieren den Schutzfaktor ihrer Fahrzeuge nach Beschussklassen. Je höher die Stufe, desto höher der Schutz. Als Basis dient die europäische Norm EN 1063, die den Schutz in sieben Stufen von BR1 bis BR7 regelt.
Weiter gehen jedoch die Zertifikate der Vereinigung der Prüfstellen für angriffshemmende Materialien und Konstruktionen (VPAM). Diese VR-Klassen, das Kürzel steht für Vehicle Resistance, also die Schutzfähigkeit des Fahrzeugs, bewerten die Fähigkeit des gesamten Fahrzeugs, Angriffen mit Schusswaffen, Sprengstoffen, Brechstangen, Äxten und Brandbomben zu widerstehen.
In der niedrigsten Stufe VR1 wehrt die Karosserie nur das Geschoss eines aus zehn Meter Entfernung abgeschossenen Kleinkalibergewehrs ab, also einem typischen Sportgewehr. In den nächsten Stufen geht’s ernsthafter zur Sache: Je höher die VR-Klasse, umso stärker und professioneller die Waffen, mit denen im Test auf die Panzerplatten und Scheiben geballert wird. Und desto größer der Rundumschutz, der wie beim Mercedes S 680 Guard sogar so weit geht, dass der Fahrgastraum wie eine Kapsel rundum gepanzert wird. Mercedes ist nach eigenen Angaben der einzige Pkw-Hersteller, dessen Schutzfahrzeuge in allen Bereichen die höchste zivile Sicherheitsnorm VR10 erfüllen. Alles darüber hinaus entspräche militärischen Standards.

Mercedes S-Klasse mit 4,2 Tonnen
Im Mercedes S 680 Guard ersetzt fast 15 Zentimeter dickes Panzerglas die Fenster, mehrere Zentimeter dicke Platten aus gehärtetem Spezialstahl umschließen die selbsttragende Fahrgast-Schutzzelle rundum, auch am Dach und am Boden. Wie ein Kleid ist die Aluminiumkarosserie über den kugelsicheren Panzer gestülpt. Gut 4,2 Tonnen wiegt die gepanzerte S-Klasse, rund 1,5 Tonnen mehr als sein ziviles Pendant. Schon die Türen bringen je 240 Kilogramm auf die Waage. Deshalb helfen E-Motoren beim Öffnen und Schließen. Am Berg halten sie die schwere Tür in ihrer Position, damit sie nicht plötzlich zufällt und womöglich beim Ein- oder Aussteigen das Bein zerquetscht. Außerdem haben die Personenschützer so immer eine Hand frei, beispielsweise für den schnellen Griff zur Waffe. Trotz der gepanzerten Karosserie unterscheiden sich die Innenmaße nicht von denen einer herkömmlichen S-Klasse. Lediglich die dicken Fenster ragen ein wenig in den Innenraum.
Selbst die Reifen sind Teil des Sicherheitskonzepts. Ein dickes Stahlgürtelgeflecht sowie ein Hartgummikern stellen sicher, dass der Wagen mit platten Reifen noch fit für die Flucht ist. 30 Kilometer mit bis zu 80 km/h sind im Notfall drin.

Wie im James-Bond-Mobil
Entdecken Sensoren einen Gasangriff, schließen sofort die Lüftungsklappen. Gleichzeitig wird aus einer Flasche Luft in den Innenraum gepumpt, um einen Überdruck zu erzeugen. Wie in den James-Bond-Autos befindet sich neben dem Fahrersitz ein ganzes Sammelsurium an Zusatzschaltern. Damit lassen sich beispielsweise Löschmittel unter dem Boden versprühen, eine Außensprechanlage aktivieren und ein Umgebungsmikrofon einschalten, um zu hören, was rund ums Auto vor sich geht. Denn wegen der Panzerung dringen praktisch keine Geräusche ins Innere.
Unter der Motorhaube sitzt der gleiche 612-PS-Motor wie im Maybach-Modell der S-Klasse. Mit seinem 12-Zylindermotor ist der S 680 also noch konventionell angetrieben. Wer dagegen hohen Schutz mit einem E-Antrieb verbinden will, wird bei BMW fündig. Der BMW 7er Protection ist das bisher einzige Elektroauto mit Widerstandsklasse VR9. Schon 2021 zeigte BMW mit dem Concept iX5 Hydrogen Protection VR6 das weltweit erste zertifizierte Sonderschutzfahrzeug mit Brennstoffzellen-Antrieb.
Beim 7er Protection besteht die gesamte Trägerstruktur der Karosserie aus Panzerstahl. Wie Mercedes kombinieren auch die Ingenieure von BMW eine selbsttragende Schutzzelle mit geschützten Türen, einer Unterbodenpanzerung sowie einer Sicherheitsverglasung. Das soll die Insassen sogar vor Drohnenangriffen sowie den Splittern von Handgranaten schützen. Entsprechend hoch sind die Kosten. Der Mercedes S 680 Guard dürfte in Komplettausstattung die Millionen-Grenze knacken.

Erhältlich über den Flottenverkauf
In Deutschland ordern die meisten Kunden Autos mit einer mittleren Schutzstufe VR6, berichtet Sergiy Lizun, Geschäftsführer von Trasco. Mit rund 200.000 bis 300.000 Euro müsse man für eine solche Panzerung rechnen. „Es ist ja nicht einfach damit getan, ein paar Platten in die Türen zu bauen.“ Jedes Auto werde fast komplett zerlegt, Scharniere verstärkt, das Fahrwerk ans Gewicht adaptiert und das Interieur dezent angepasst.
Trasco entwickelt seit 40 Jahren Schutzfahrzeuge und arbeitet wie eine kleine Autofabrik, mit eigenen Fahrwerksingenieuren und einer Sattlerei. Bei jedem neuen Modell müssen Fahrwerk und Innenraum an Panzerung und Fahrzeuggewicht angepasst werden – das kostet Entwicklungszeit. Fertige Fahrzeuge werden sowohl für eigene Kunden, als auch im Auftrag von Volvo, Audi und Land Rover gebaut. Für die Briten beispielsweise produziert Trasco gepanzerte Versionen des Defender, die sowohl über die Flottenabteilung von Land Rover als auch über Trasco direkt vertrieben werden.
Günstig, aber ohne Zertifikat
Ein Aufwand, den sich viele kleinere Unternehmen nicht leisten können und die deshalb ihre Autos ohne VR-Zertifikat verkaufen. In Südamerika beispielsweise gibt es jede Menge Werkstätten, die einen einfachen Schutz bereits ab 20.000 Euro anbieten. Dort werden meist unauffällige Modelle wie VW Golf und Tiguan oder Mercedes C-Klasse mit minimalem Aufwand aufgerüstet. Statt mit Stahlplatten werden die Türen mit hochfesten Aramid-Verbundwerkstoffen verstärkt. Und fest installierte Panzerglasscheiben ersetzen die sonst versenkbaren Fenster. Selbst als Gebrauchtwagen sind Schutzfahrzeuge zu bekommen. Auf Plattformen wie mobile.de finden sich gepanzerte Modelle der deutschen Premiumhersteller, aber auch Exoten wie Mitsubishi Pajero, Nissan Patrol und Lancia Thema. Billig sind sie nicht. Für einen knapp 20 Jahre alten Mercedes E320 mit B4-Schutz und 245.000 Kilometern Laufleistung werden da schon Mal 30.000 Euro aufgerufen.
Sogar ein sechs Jahre alter, gepanzerter Smart Fortwo Brabus mit lediglich 412 Kilometern auf der Uhr und ein neuer Abarth 500 findet sich im Portal. Kostenpunkt: 39.900 Euro bzw. 73.000 Euro. Die kleinen Panzer-Flitzer werden von Armoured German Cars in Ritterhude beispielsweise für Botschaftsangehörige oder französische Ordnungsämter gebaut. Scheinbar leben Strafzettel-Verteiler in manchen Regionen unserer Nachbarländer gefährlich.
