Ständig irgendein Bimmeln oder Fiepen und immer wieder ein nervöses Zucken im Lenkrad – die erste Fahrt im Leapmotor C10 war eine schwere Geduldsprobe. Denn so elegant das SUV für die gehobene Mittelklasse auch aussehen mag, so komfortabel die Chinesen es bestückt und so attraktiv sie es eingepreist haben, so konkurrenzlos der Elektroantrieb mit Range Extender auch ist – bei all den hypernervösen Assistenzsystemen kann einem die Lust schnell vergehen. Eher nervig als nützlich und dann auch noch nur ganz tief in den Menüs zu deaktivieren: Da lernt man Demut und freut sich aufs Aussteigen.
Leapmotor: "Update heißt die Lösung"
Das hat auch Tianyue Zhong begriffen. Er ist eine Art Verbindungsoffizier zwischen Europa und China, spiegelt die Kritik zurück in die Entwicklung und kann es kaum erwarten, Skeptiker doch noch mal hinters Steuer zu bekommen. Während solche Ärgernisse früher meist erst nach ein paar Jahren beim Facelift abgestellt werden konnten, haben die Chinesen ihre Autos schon nach wenigen Wochen geändert. Und zwar nicht nur die, die frisch aus der Fabrik rollen, sondern auch die, die sie bereits ausgeliefert haben.
„Update heißt die Lösung“, sagt Zhong und verweist auf ein Datenpaket von 3,7 GB, das in diesen Tagen an jeden C10 geschickt wird. Binnen einer halben Stunde heruntergeladen und installiert, macht es der leidigen Peepshow ein Ende, lässt die Assistenten spürbar gelassener und großzügiger sein, minimiert die Lenkeingriffe und ändert die Menüs so, dass man die Systeme jetzt auch leichter ganz abschalten kann. Und ein paar neue Features gibt es obendrein. So läuft die Kamera für die Verkehrszeichenerkennung jetzt auch als Dashcam. Wer mit dem SUV in einen Unfall verwickelt wird, hat deshalb immer Beweismaterial an Bord.
Natürlich ist die Idee vom Over-the-Air-Update nicht neu, räumt Zhong ein. Smartphone- und Computerhersteller benutzen sie seit vielen Jahren, und auch in der Autoindustrie ist sie unter dem Kürzel OTA längst weit verbreitet. Aber kaum jemand nutzt sie so konsequent wie die Chinesen, die sich damit den schnellen Weg etwa zu uns nach Europa ebnen. Statt lange Marktforschungs- oder Entwicklungsschleifen zu fahren, bringen sie die Autos möglichst rasch auf die Straße. Und wenn sie damit jemanden verärgern sollten, ändern sie es halt danach mit ein paar Klicks wieder. Nicht umsonst hat Zhong zwei Software-Releases pro Jahr auf dem Kalender. „So sparen wir Zeit und können uns peu à peu an die lokalen Gegebenheiten und den Geschmack herantasten.“
Und die Chinesen beweisen eine ungeahnte Kundenorientierung. „Das Over-the-Air-Update belegt die Fähigkeit, sich auf den jeweiligen Zielmarkt zu adaptieren“, sagt Deutschlandchef Martin Resch. Ohne in die Werkstatt zu müssen, könnten die Kunden einfach über WLAN oder mobilen Hotspot und ein paar selbsterklärende Klicks ihr Auto selbst auf den neuesten Stand bringen. „Das gibt uns die Möglichkeit, unsere Autos dauerhaft im Sinne des Kunden zu verbessern und frisch zu halten.“
Leapmotor C10 REEV

Damit liegt Leapmotor im Trend: „Over-the-Air-(OTA)-Updates sind entscheidend für die schnelle Reaktionsfähigkeit bei Fehlerbehebungen – Fixes können teils innerhalb weniger Tage im Feld ausgerollt werden“, sagt Marcel Friebel, Associate Partner beim Strategieberater Berylls by AlixPartners in München. „Gleichzeitig reduzieren sie Garantie- und Rückrufkosten erheblich, da teure Werkstattbesuche entfallen.“ Und zu guter Letzt rühmt auch Friebel die kontinuierliche Weiterentwicklung des Produkts, sodass Kunden stets ein aktuelles und verbessertes Nutzererlebnis erhalten.
Herausforderungen für traditionelle Hersteller
Das sei für junge und agile Firmen zweifelsohne ein Wettbewerbsvorteil: „Die bestehende Fahrzeugarchitektur und veraltete IT-Infrastrukturen sind erhebliche Hürden für traditionelle Hersteller“, sagt Friebel. Ein von Grund auf neu gedachtes Konzept – orientiert an IT-Unternehmen wie Apple oder Google – würde dagegen einen entscheidenden Hebel für Geschwindigkeit und Effizienz im OTA-Prozess bieten.
Leapmotor T03 (Test)

Natürlich haben das längst auch die deutschen Hersteller begriffen. Nicht umsonst haben etwa Mercedes beim neuen CLA und BMW bei der Neuen Klasse neben den nächsten Akku- und Antriebsgenerationen auch neue Elektronikarchitekturen eingeführt, auf denen Dutzende Steuergeräte in wenigen Zentralrechnern gebündelt werden und zum ersten Mal eigene Betriebssysteme laufen. „Damit werden unsere Autos nicht mehr älter, sondern über die Jahre immer besser“, rühmt Mercedes-Chef Ola Källenius die neuen Möglichkeiten.
Und stößt dabei genau wie seine Kollegen immer wieder an die Grenzen des Machbaren – und der heimischen Infrastruktur. Denn viele Updates sind schlicht zu groß, als dass sie im deutschen Mobilfunknetz überhaupt übertragen werden können. Und als VW endlich die Softwareprobleme seiner ID-Modelle mit einem XXL-Update in den Griff bekommen wollte, sind bisweilen sogar die Batterien der Autos während des Downloads in die Knie gegangen, war vor zwei, drei Jahren aus den Werkstätten zu hören.
Nio und Leapmotor testen Nutzer-Feedback
Aber während die Europäer so langsam aufholen, gehen die Chinesen schon den nächsten Schritt und wollen die Kunden bei ihren Updates besser ins Boot holen. Nio zum Beispiel hat eigens eine Feedback-Funktion ins Betriebssystem programmiert, über die Fahrer aktuelle Wünsche und Befindlichkeiten an den Hersteller zurückspielen können. Auch Leapmotor findet durchaus Gefallen an solchen direkten Rückmeldungen, kann die aber wie fast alle Chinesen noch nicht wirklich sinnvoll nutzen: Es gibt bis dato einfach zu wenige Kunden, als dass es viel Feedback geben würde.
Max