Nicht alle Träume zur künftigen Mobilität hängen so hoch wie in La Paz. Die Bewohner der bolivianischen Hauptstadt pendeln per Seilbahn über ihrer Stadt in der Altiplano-Hochebene (siehe S. 18). Mit der zehnten Linie der "Mi Teleférico" wurden im März dieses Jahres drei weitere Stationen ans Gondelnetz angebunden.
Gegenüber La Paz, das auf über 3.500 Metern Höhe liegt, mutiert München (519 Meter Höhe) zur norddeutschen Tiefebene, dennoch sinniert man auch hier darüber, wie der Verkehr in neue Bahnen gelenkt werden kann. So gibt es beispielsweise im dichtbebauten Gewerbegebiet im Norden der Isar-Metropole deutlich mehr Arbeitsals Parkplätze. Wenn das Start-up Evum Motors nun seine steigende Zahl an Mitarbeitern mobil halten will, gehen diese einfach schräg gegenüber in die Tiefgarage des Nachbarn. Der Mobilitätsanbieter Vispiron hat hier seine Parkplätze (und einige Außenstellplätze) für den eigenen Pool von 20 Fahrzeugen. Die Mitarbeiter von Evum Motors - ein Spin-off der Technischen Universität München - können per App Stromer, konventionelle Fahrzeuge, Pedelec oder E-Scooter kilometer- oder zeitbasierend buchen und abrechnen.
E-Transporter Made in Bavaria
Der Aufwand für den Bereich "Flotte" wird damit für die Jungunternehmer geringer. Denn neben dem Kapital, dass Evum Motors in der ersten Finanzierungsrunde über drei Mittelständler aufgenommen hat, ist die Umsetzungsgeschwindigkeit das große Plus des Produzenten eines E-Transporters, der in Deutschland heimisch werden soll, aber vor allem in Afrika für Mobilität und Beschäftigung sorgen wird - doch dazu später mehr.
Die schlanken Evum-Strukturen sollen sich damit auch im Fuhrpark niederschlagen. Also wurde man Teil des Corporate Carsharings von Vispiron. Der Flottendienstleister ist gleichzeitig der Vermieter der Evum-Büros im Münchener Norden. Vispiron, das selbst mit der Marke Carsync Flottendienstleistungen wie Führerscheinprüfung oder Telematik anbietet, wurde von Amir Roughani gegründet, der selbst vor Ideen sprüht und auch jenseits der Mobilität unterwegs ist, zum Beispiel in der Energieversorgung. Über diesen Pfad gab es die ersten Kontakte zu den Evum-Gründern Martin Soltés und Sascha Koberstaedt, die mit ihrer Philosophie nachhaltiger Mobilität in die Welt des Vispiron-Chefs passen. Zumal Vispiron die eigene Flotte künftig rein elektrisch betreiben will. Was die Tür auch für den Evum-Kleinlaster namens "aCar" öffnen würde - einem E-Lastesel, allerdings kein klassischer Transporter. Bewusst simpel im Aufbau, robust im Handling und nahezu wartungsfrei beziehungsweise selbst-zu-wartend soll dieser ab Ende März 2020 in Deutschland als Kleinserie gefertigt und auf Straßen, Baustellen oder in Weinbergen touren. Später soll das ganze Konzept samt Produktion nach Afrika exportiert werden. Dann zu einem deutlich geringeren Preis als die 22.000 Euro, die in Deutschland aufgerufen werden - wohl eher 10.000 Euro.
Simpel, stark, im Selbstservice
Zwei E-Motoren treiben jeweils eine Achse des "aCar" an. Damit ist er stets ein Allradler. Langfristig ist ein günstigerer Fronttriebler denkbar. Als N1-Zulassung ist die Europa-Version maximal 60 km/h schnell und vor allem immer eins: robust. So könnte auch der lateinische Begriff "Evum" interpretiert werden, der "Unsterblichkeit" bedeutet. Der "aCar" ist mit 3,70 Metern Länge und 1,50 Metern Breite kompakt genug, um auch auf Gehwegen, Friedhöfen oder Zoos fahren zu können. Gleichzeitig bietet er viel Platz für Mensch und Transportgüter. Es wird verschiedene Versionen geben: mit Türen, ohne Türen, mit Zusatzscheinwerfern, Musikanlage (laut Evum ein Muss in Afrika), diverse Aufbauten für Passagiere, Transport, Kipper etc. Nach dem Start im nächsten Jahr in Europa sollen im zweiten Schritt vorgefertigte CKD-Pakete (Completely-Knocked-Down) in Afrika zusammengebaut werden, bevor - im finalen Schritt - die lokale Wertschöpfung organisiert und in einem eigenen Werk umgesetzt wird. Die Fahrzeugtechnik müsse deshalb so simpel sein. Zum einen, um schnell Personal für die Produktion zu finden, und zum anderen damit im Idealfall eine zweistündige Technik-Schulung ausreicht, um den"aCar" selbst warten zu können. Simples Chassis und eine Batterietechnik, die bewusst auf 48 Volt ausgelegt ist, machen dies möglich - was natürlich in Afrika viele Probleme lösen würde, aber laut den Evum-Gründern auch in Europa ein Vorteil sein kann, da vor allem B2B-Kunden meist technisch versiert seien und die Fahrzeuge bisweilen auch selbst warten möchten.
Stromspender für jeden
In der nächsten Ausbaustufe soll der Mini-Laster bidirektional werden, also auch Strom abgeben können und damit ein weiteres Mal zum Problemlöser werden - sowohl für abgelegene Regionen in Afrika, aber auch für Nutzer hierzulande, die ihre Elektrogeräte mit dem Transporter betreiben können. Bis dahin gilt es aber noch einige Hürden zu nehmen. "Ein Fahrzeug zu industrialisieren ist eine riesige Herausforderung. Die Entwicklung ist dabei relativ easy, schwierig ist jedoch die Produktion in Serie", beschreibt Geschäftsführer Koberstaedt die Herausforderung, wenn Aufbauhilfe vor Ort stattfinden soll. "Unsere Musterfabrik im bayerischen Ergoldsbach bietet die Grundlage, um danach beispielsweise in Ägypten mit Vor-Ort-Partnern in eine Großserie gehen zu können. Mittelfristig sind unsere Hauptmärkte in den Entwicklungs- und Schwellenländern zu sehen. In konkreten Gesprächen sind wir bereits in Nord- (Ägypten) und Südafrika (Namibia) sowie in West- (Ghana) und Ostafrika (Kenia). Dort ist riesiges Potenzial für moderne Fahrzeuge." Während der Osten des afrikanischen Kontinents die Vor-Ort-Mobilität mit asiatischen Neufahrzeugen bestreitet, sind im Westen Gebrauchtfahrzeuge aus Europa angesagt. Berührungsängste zu E-Fahrzeugen gibt es weniger als vielerorts in Europa.
Servicepartner gesucht
So ist die mitschwingende Do-it-yourself-Mentalität des Evum Mobils ein bewusstes Kalkül. Wartungsarm sind E-Modelle per se. Einen Service- und damit vor allem Ersatzteil-Vertriebspartner für Europa sucht man gerade. "Wir denken dabei auch an Baumärkte, Werkstattketten oder Multidienstleister, die unter anderem ein Werkstattnetz haben, beispielsweise aus dem Landmaschinenbereich", konkretisiert der Geschäftsführer die neuen Wege auch in puncto Servicenetz.
Generell will Evum Motors mit Denkmustern brechen. "Wir haben oft einen falschen Eindruck von Afrika", berichtet Koberstaedt,"Ampeln, Mobiltelefon, Bezahlsystem, das sind nur einige Beispiele, bei denen einige Länder in Afrika bereits viel weiter sind als wir in Deutschland. Daher sehen wir Potenzial, dass Mobilitätsanbieter sich auch in Afrika etablieren können." Der Anfang ist gemacht - zumindest im Gewerbegebiet in München.
Corporate Carsharing bei Vispiron
- Gestartet: 2007- Anzahl der Nutzer: >10.000- Anzahl der Fahrzeuge: >1.000- Modelle: antriebs-, hersteller- und typunabhängig- Abrechnung: datengeschützte Abrechnungsmöglichkeiten auf Zeit-, Kilometer- oder gemischter Basis zur individuellen Verrechnung- Vispiron-Pool (Zentrale in München): etwa 20 Einheiten (inklusive Roller, Fahrräder, ÖPNV-Karten)
Evum Motors "aCar"
Seit 2013 haben rund 200 Wissenschaftler, Professoren, Doktoranden und Studenten der Technischen Universität München im Rahmen des Forschungsprojekts "aCar mobility" vier Jahre lang an der Entstehung das Fahrzeugs gearbeitet. Im Juli 2016 wurde ein Prototyp des "aCar" in Afrika getestet. Im August 2017 gründeten Martin Soltés und Sascha Koberstaedt dann Evum Motors. AF