Der Zeuge im Verkehrsunfallrecht
Ohne Zeugenaussagen kann ein Unfallhergang oft nicht nachgewiesen werden. Doch wann gilt ein Zeuge als unabhängig? Gerade wenn es sich um Firmenangehörige oder Fahrzeuginsassen handelt, werden sie von der gegnerischen Versicherung immer seltener anerkannt.
Der Zeugenbeweis gilt im Verkehrsunfallrecht zwar als schwaches Beweismittel, dennoch sind Zeugen nicht zu unterschätzen. Insbesondere sind ihre Aussagen – zumindest außergerichtlich – oftmals die einzige Möglichkeit, den Unfallhergang nachzuweisen. Wie oft regulieren die Versicherer aufgrund der Tatsache, dass man einen unabhängigen Zeugen benennen kann. Doch wann gilt ein Zeuge als unabhängig? Immer häufiger werden Zeugenberichte nicht anerkannt, da es sich um Fahrzeuginsassen oder um Firmenangehörige handelt.
Hat zum Beispiel ein Mitarbeiter einen Unfall zwischen einem Firmenfahrzeug und einem Unternehmensfremden auf dem firmeneigenen Parkplatz beobachtet, wird diese Aussage oftmals nicht von der gegnerischen Versicherung anerkannt. Häufig kommt dann die Antwort, dass die Zeugenaussage nicht verwertbar sei, da der Zeuge als Mitarbeiter des geschädigten Unternehmens als parteiisch angesehen wird.
Stärkung der Zeugenaussage durch KG Berlin
Genauso verhält es sich mit Aussagen von Fahrzeuginsassen oder Familienangehörigen. Doch einer derartigen Beweisregel über die Unbrauchbarkeit von Aussagen hat das Kammergericht Berlin mit Urteil vom 24. November 2008 (Aktenzeichen 12 U 157/08) eine Absage erteilt. In dem zugrunde liegenden Fall ging es um Zeugenaussagen von Mitfahrern. Das Gericht hat folgende Leitsätze aufgestellt:
1. Es gibt keine auf einem entsprechenden Erfahrungssatz gestützte Beweisregel, dass die Aussagen von Insassen unfallbeteiligter Kraftfahrzeuge stets von einem „Solidarisierungseffekt“ beeinflusst und deshalb grundsätzlich unbrauchbar sind.
2. Ebenso wenig können Aussagen von Unfallzeugen, die am Prozessausgang wirtschaftlich interessiert sind oder mit einem Unfallbeteiligten verwandt oder verschwägert, stets als von vornherein parteiisch oder unzuverlässig eingestuft werden.
Beifahrerrechtsprechung des BGH
Hierdurch wurde erneut die höchstrichterliche Rechtsprechung durch die Instanzgerichte bestätigt. Bereits 1987 hat der Bundesgerichtshof (BGH) in seinem Urteil vom 3. November 1987 (Aktenzeichen VI ZR 95/87) folgende Beweisregel aufgestellt: „Es verstößt gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung, den Aussagen Unfallbeteiligter („Beifahrerrechtsprechung“) oder von Verwandten oder Freunden der Unfallbeteiligten nur für den Fall Beweiswert zuzuerkennen, dass sonstige objektive Gesichtspunkte für die Richtigkeit der Aussagen sprechen.“
Grundsatz der freien Beweiswürdigung
Der Zivilprozess wird vom Grundsatz der „freien Beweiswürdigung“ bestimmt. Das bedeutet, dass der Richter sich – innerhalb der Denkgesetze der Logik und der naturgesetzlichen Gegebenheiten – in freier Überzeugungsbildung ein Bild davon machen darf, was er für seine Urteilsfindung als feststehend annimmt.
Hier hat beispielsweise das LG Saarbrücken mit Urteil vom 4. Januar 2008 (Aktenzeichen 13 A S 31/07) sehr schön formuliert: „... hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht wahr zu erachten ist; die nach § 286 ZPO erforderliche Überzeugung des Richters erfordert ... keine absolute oder unumstößliche Gewissheit und auch keine „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“, sondern nur einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet.“
Demzufolge verbietet es sich, Zeugenaussagen von vornherein keinen Glauben zu schenken. Denn es gibt keine auf einen entsprechenden Erfahrungsgrundsatz gestützte Beweisregel, dass der Aussage eines Mitfahrers, eines wirtschaftlich Interessierten, eines Firmenangehörigen oder von Freunden oder Verwandten überhaupt nicht oder nur bei Bestätigung durch objektive Beweismittel geglaubt werden darf.
Folgerichtig muss dies auch für Fälle gelten, in denen firmenangehörige Zeugen benannt werden, die einen Unfallhergang beobachtet haben. Haftungsablehnungen der Gegenseite, die sich darauf stützen, dass Sie keine unabhängigen Zeugen benennen können, sollten daher vor dem Hintergrund der Rechtsprechung nicht ungeprüft akzeptiert werden. Die Glaubwürdigkeit der Zeugen kann und darf sich nicht nach Firmenangehörigkeit richten, sondern nach ihrer objektiven Stimmigkeit und der persönlichen Glaubwürdigkeit. Inka Pichler
- Ausgabe 10/2009 Seite 81 (124.8 KB, PDF)