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"Die Symbiose ist geschädigt"

01.02.2022 06:00 Uhr

Jens Erik Hilgerloh erklärt, warum künftig Mietwagen mit 50.000 km auf dem Tacho nichts ungewöhnliches sein werden und wie sich das Geschäft mit den Herstellern massiv verändert hat.

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Jens Erik Hilgerloh ist Vorstandsvorsitzender der Starcar Europa Service Group AG, was allein schon einem Zusammenschluss von mehr als 250 Autovermietern bundesweit bedeutet, die wiederum auch Aktivitäten außerhalb von Deutschland führen. Das Netzwerk reicht von Schweden bis in die Türkei. Zudem sitzt Hilgerloh dem Bundesverband der Autovermieter Deutschlands vor, der laut den eigenen Angaben rund zwei Drittel der deutschen Vermieter als Mitglieder zählt.

Herr Hilgerloh, Sie hatten sich vor Kurzem mit der Prognose, dass viele Fahrzeuge in der Vermietung fehlen und es deshalb zu deutlichen Preissteigerungen für die Mieter kommen wird, Gehör verschafft. Was treibt diesen Mangel an Fahrzeugen an?

Jens Erik Hilgerloh: Alle Automobilhersteller versuchen, aufgrund der Lieferengpässe das für sie margenträchtigste Geschäft zu realisieren. Im Umkehrschluss heißt dies, dass Geschäfte, die teuer sind, eher nicht stattfinden. Das Geschäft der Autovermieter ist traditionell ein teures für die Hersteller. Aktuell steuern die Hersteller dies über niedrigere Konditionen im Verkauf und geringere Liefermengen an die Vermieter. Das führt dazu, dass bis ins Jahr 2022 weit über 100.000 Fahrzeuge in der deutschen Vermietbranche fehlen werden und zum Teil jetzt schon fehlen. Damit bleibt die Preissituation weiterhin sehr angespannt.

Diesen Malus an schlechteren Konditionen gegenüber früher geben die Vermieter nun an die Kunden weiter?

J. Hilgerloh: Wir müssen diese realen Kosten an den Kunden weitergeben, keine Frage. Gerade die Vielzahl der mittelständischen Vermieter hat keinen Spielraum, das anderswo auszugleichen.

Diese Volatilität zeigte sich vor allem an den internationalen Großkonzernen, die auch im Verband organisiert sind.

J. Hilgerloh: Während der Corona-Situation gab es lange Phasen mit so gut wie keiner Auslastung. Das führte dazu, das gerade für die multinationalen Unternehmen die Luft extra dünn geworden ist. So brauchte unter anderem Hertz staatliche Hilfe, um überleben zu können.

Dafür lesen sich die aktuellen Bilanzen der großen Vermieter aber extrem positiv. Wie kommt das?

J. Hilgerloh: Das Stichwort lautet hier Preis-Nachfrage-Elastizitäten. Kurzum haben einige Anbieter sehr stark an der Preisschraube gedreht, was gerade im Sommer in den Urlaubsregionen spürbar war.

So groß die Nachfrage- und damit die Preissprünge im Sommer, so abrupt waren die Order-Stopps der Vermieter bereits im April 2020. Wie kommt es dazu, dass man langfristige Bestellungen einfach auslaufen lassen kann, also die georderten Fahrzeuge nicht einflottet?

J. Hilgerloh: Die Corona-Zeit hat die Symbiose von Autoherstellern und den Vermietern nachhaltig geschädigt. Die Autovermieter bestellen seit Jahrzehnten nach der gleichen Logik im Vorjahr gewisse Kontingente, die in festgelegten Kalenderwochen ausgeliefert werden. Plötzlich wurde der erste Lockdown verhängt und es war klar, dass sich die Mobilität einschränken wird. Wir also viele Fahrzeuge nicht an den Kunden bringen können. Also hat die Branche die Lieferungen storniert. Einige Hersteller konnten damit besser leben, andere nicht. So dass einige Vermieter Autos zulassen mussten, obwohl der Lockdown im Raum stand. Andere Vermieter haben sich schlichtweg geweigert, neue Fahrzeuge zuzulassen auch auf die Gefahr hin, dafür verklagt zu werden. Die Beziehungen haben hier natürlich Schäden erlitten.

Wie ging es nach dem ersten Lockdown weiter?

J. Hilgerloh: Der erste Lockdown dauerte nicht allzu lange, plötzlich wendete sich das Blatt und die Vermieter, die keine Neufahrzeuge abgenommen hatten, wollten nachlegen, wurden aber von den Autoherstellern ausgebremst. So dauerte es, bis die Flotten wieder aufgerüstet worden sind, und dann kam der zweite Lockdown. Das gleiche Spiel begann von vorn. Innerhalb dieser Phasen gab es Vermieter, Händler und Hersteller, die fair miteinander umgegangen sind, und jene, die das Ganze konfrontativer angingen. So gibt es heute große Vermieter, die von ihren ehemaligen Top-Lieferanten kein einziges Fahrzeug erhalten.

Wer damals notgedrungen Fahrzeuge übernehmen musste, kann sich heute zumindest über einen sehr guten Wiederverkaufswert freuen. Wie lang hält ein Vermieter im Schnitt ein Fahrzeug?

J. Hilgerloh: Alle Vermieter haben bislang die Fahrzeuge sechs Monate gehalten und dann wieder abgegeben. Das ändert sich nun drastisch. Der Automieter wird sich künftig daran gewöhnen müssen, dass das Mietfahrzeug auch mal 30.000, 40.000 oder 50.000 Kilometer auf dem Tacho stehen hat und eineinhalb bis zwei Jahre alt ist.

Gibt es denn für solch relativ hohe Laufleistungen noch gute Verkaufserlöse?

J. Hilgerloh: Beim Remarketing hat sich in der letzten Zeit sehr viel getan. Früher verlor das Fahrzeug bei der Zulassung auf einen Schlag 25 Prozent an Wert. Wenn ich heute eine Tageszulassung bekommen würde, läge der Wertverlust vielleicht bei zwei bis drei Prozent. Mehr nicht. Nach einem halben Jahr liegen die meisten Restwerte immer noch bei über 80 Prozent - abhängig von der Marke und dem Modell natürlich. So ist es momentan super interessant, gebrauchte Fahrzeuge selbst zu vermarkten.

Apropos Erlöse. Wie ist die Kostenstruktur bei einem Vermieter generell? Was sind die größten Kostenblöcke?

J. Hilgerloh: Über 50 Prozent der Kosten entfallen auf den Fuhrpark und das ist mit den längeren Haltedauern der Fahrzeuge noch mehr geworden.

Das sind dann die Kosten für Servicetermine, Reifen etc. ...

J. Hilgerloh: Ganz genau. Wer zwei Jahre ein Fahrzeug in der Vermietung hat, braucht definitiv einen neuen Reifensatz, unter Umständen auch einen Satz Winterreifen. Das gab es bislang kaum. Generell steigen damit die Fuhrparkkosten sehr stark an und man läuft nach zwei Jahren Haltedauer sogar oftmals aus der Herstellergarantie raus. Es gab Stationen, die hatten früher 300 Autos in der Vermietung und heute sind es 150 Einheiten mit dem gleichen Fixkostenaufkommen. Das ist für die Branche eine Riesenherausforderung.

Ein neuer Weg sind E-Modelle, die man sehr vereinzelt bei Vermietern schon sieht. Wie steht der Verband zum Thema Elektromobilität?

J. Hilgerloh: Das Gros unserer Fahrzeuge wird sehr schnell gedreht. Das Auto kommt zurück vom Kunden, geht in die Wäsche, wird getankt und geht direkt an den nächsten Kunden. Dieses Szenario geht mit den E-Fahrzeugen im großen Stil nicht. Denn neben der Ladezeit fehlt schlicht die Ladeinfrastruktur etwa an den Flughäfen. Auch sind die meisten Vermieter selbst nicht Eigentümer ihrer Immobilie, so dass das Installieren von geleasten Wallboxen viel zu aufwendig ist, da niemand garantieren kann, dass die Firma zehn oder 15 Jahre am Standort bleiben wird. Es ist also recht kompliziert, zu einem hohen Volumen und einer sehr kurzen Vorbereitungszeit viele E-Autos anbieten zu können. Denkt man zum Beispiel an Wasserstofffahrzeuge, dann sieht das schon anders aus. Elektromobilität funktioniert noch nicht in der Kurzzeitmiete, aber in der Langzeitmiete schon. Das beweisen einige Auto-Abo-Modelle bereits.

Ist das Auto-Abo mehr als nur ein Hype?

J. Hilgerloh: Auto-Abo ist für uns ein alter Hut. Früher hieß das Ganze halt Langzeitmiete. Die Bedingungen und Preise für die Abos sind nicht unbedingt besser oder niedriger als für die Langzeitmiete, ganz im Gegenteil. Im Moment legt das Auto-Abo-Geschäft aber eine Vollbremsung hin. Denn viele Anbieter von Auto-Abos, die nicht direkt als Vertriebskanal von einem Autohersteller genutzt werden, bekommen gerade so gut wie keine neuen Fahrzeuge, weshalb sie bei den Vermietern anfragen. Wenn sich die Lieferengpässe wieder verflüchtigt haben, glaube ich schon an das Modell des Auto-Abos, gerade für Großstädte, in denen es definitiv zu viele Fahrzeuge gibt, die nicht oder kaum bewegt werden.

Sie sprachen von über 100.000 Fahrzeugen, die deutschlandweit in der Vermietung fehlen werden. Was bedeutet das für die Ausstattung der Fahrzeuge und wie sieht es mit dem Netz an Vermietstationen generell aus?

J. Hilgerloh: Es gibt Autovermieter, die seit der Pandemie kurz- und mittelfristig Standorte geschlossen haben. Auf der anderen Seite haben andere Vermieter diese dann direkt übernommen. So sehen zwar die Netze der einzelnen Vermieter mittlerweile etwas anders aus, die Zahl der Vermietstationen generell ist aber ungefähr gleich geblieben.

Welche Autos kann ich dann dort beziehen?

J. Hilgerloh: Die Fahrzeuge, die wir einkaufen möchten, sollen immer recht preiswert, aber restwertstabil sein. Wir wollen deshalb als Branche auch künftig gut ausgestattete - gern auch Premium- - Fahrzeuge in die Vermietung bringen. Im Moment wird das gekauft und vermietet, was verfügbar ist. Das wird sich aber auch wieder ändern.

Wie lang wird es diesen Zustand noch geben, dass man nehmen muss, was man bekommt?

J. Hilgerloh: Wenn wir von über 100.000 fehlenden Fahrzeugen reden, meinen wir auch sehr viele Transporter und Lkw. Der größte Kunde für alle Autovermieter ist ab Oktober immer die Deutsche Post, die für ihr Weihnachtsgeschäft zusätzliche Kapazitäten benötigt. Das zog sich im vergangenen Jahr übrigens bis in den März hinein.

Die Corona-Lage führte speziell bei Starcar dazu, dass man für die dauerhafte Desinfektion der Fahrzeuginnenräume eine Innovation nutzte. Ein spezielles Wischtuch, das die Kontaktflächen für ein Jahr lang bakterien- und virenfrei hält, worüber wir in der Autoflotte bereits berichtet haben. Wie sind die Erfahrungen nach gut einem Jahr?

J. Hilgerloh: Da es für die Innenreinigung keine strikten Vorgaben gibt, kann man das nicht mit anderen Vermietern vergleichen. Wir haben aber mit der einmaligen Anwendung des Reinigungstuchs für die Kontaktflächen im Fahrzeug rund 85 Prozent an Material und Arbeitszeit eingespart. Um dem Kunden immer ein gutes Gefühl zu geben, machen wir neben der Erstanwendung weitere Reinigungsmaßnahmen, aber eben sehr viel weniger als ohne die Lösung. Ansonsten wird das Reinigungstuch in einigen öffentlichen Verkehrsmitteln eingesetzt und auch der Williams Formel-1-Rennstall verwendet es nicht nur für seine öffentlichen und nicht öffentlichen Bereiche, sondern ist auch Partner des Herstellers geworden.

Herzlichen Dank, Herr Hilgerloh, für das Gespräch.

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