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Die Vergangenheit entscheidet

15.12.2017 06:00 Uhr
Die Vergangenheit entscheidet

Darf ein Geschädigter auch bei fiktiver Abrechnung seines Unfallschadens die errechneten Kosten und Stundenlöhne einer markengebundenen Fachwerkstatt in Ansatz bringen?

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_ Ein in letzter Zeit häufiger Streitpunkt zwischen Unfallgeschädigtem und gegnerischer Haftpflichtversicherung: Darf der Geschädigte - anders als bei einer tatsächlich durchgeführten Unfallreparatur - auch bei der fiktiven Abrechnung seines Schadens die errechneten Kosten und Stundenlöhne einer markengebundenen Fachwerkstatt in Ansatz bringen? Oder ist ihm bei der fiktiven Abrechnung der Verweis durch den Schädiger und dessen Haftpflichtversicherer auf eine kostengünstigere (freie) Fachwerkstatt zumutbar?

Zur Frage der Erstattungsfähigkeit der Stundensätze markengebundener Fachwerkstätten hatte der BGH bereits in seinem "Porsche-Urteil" (BGH, NJW 2003, 2086) grundsätzlich Stellung bezogen. Nach damaliger Ansicht des Gerichts waren sie auch bei fiktiver Abrechnung erstattungsfähig, eine Verweisung auf den abstrakten Mittelwert der Stundenverrechnungssätze der Markenwerkstätten einer Region, wie damals von den Versicherern versucht, war nicht ausreichend. Damals reagierten die Versicherer auf diese Entscheidung des BGH zumeist damit, dem Geschädigten konkret günstigere (nicht selten eigene Vertragswerkstätten) zu benennen.

Die Instanzgerichte gingen diesen Weg nicht mit und sprachen sich für das Recht des Geschädigten aus, sich an eine markengebundene Werkstatt zu wenden. Begründet wurde dies mit durchgeführten Arbeiten nach Herstellervorgabe mit Spezialwerkzeug und Originalteilen.

Diese Argumente verloren jedoch mit der Fortentwicklung des Werkstattwesens zunehmend an Bedeutung und wurden dann auch vom BGH eingeschränkt. Eine Verweisung auf eine freie Werkstatt wurde dem Schädiger dann zugestanden, wenn er darlegen und beweisen konnte, dass die Qualitätsstandards in der freien Werkstatt mit denen einer markengebundenen Werkstatt vergleichbar sind.

Rechtsprechung konkretisiert

Zuletzt hat sich der BGH nun Anfang des Jahres mit dieser Frage erneut auseinandergesetzt und seine bisherige Rechtsprechung in weiten Teilen bestätigt und konkretisiert. Ergänzend hat er dargelegt, unter welchen Voraussetzungen bei der fiktiven Abrechnung der Verweis des Schädigers auf eine kostengünstigere Fachwerkstatt möglich ist (BGH, Entscheidung vom 7.2.2017, Az. VI ZR 182/16).

Im der Entscheidung zugrundeliegenden Fall wurde ein neun Jahre altes Fahrzeug des Klägers, bei dem Reparaturen seit dem Jahr 2006 stets in einer markengebundenen Fachwerkstatt durchgeführt wurden, durch ein Unfallereignis leicht beschädigt. Lediglich in den letzten fünf Jahren vor dem Unfall wurden keine Inspektionen und Wartungen mehr durchgeführt. Nach dem vom Kläger eingeholten Sachverständigengutachten beliefen sich die erforderlichen Reparaturkosten unter Zugrundelegung der Verrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt auf netto 3.546,48 Euro. Die mitverklagte Kfz-Haftpflichtversicherung legte ihrer Schadensabrechnung lediglich die günstigeren Reparaturkosten einer freien Fachwerkstatt in Höhe von 2.872,12 Euro zugrunde.

Der Geschädigte vertrat die Auffassung, dass es ihm unzumutbar sei, sich auf die preisgünstigere freie Werkstatt verweisen zu lassen. Er habe - wie bei einer konkreten Abrechnung nach erfolgter Reparatur - auch bei dem gewählten Weg einer fiktiven Abrechnung das Recht, eine markengebundene Werkstatt seiner Wahl auszusuchen, wenn sich die Kosten im Rahmen des von ihm beauftragten Gutachtens halten. Seine Annahme, dass eine Verweisung auf eine günstigere freie Werkstatt unzumutbar sei, setze nicht zwingend voraus, dass eine lückenlose Wartung gemäß Scheckheft und gelegentliche Wartungsarbeiten ausschließlich in der markengebundenen Fachwerkstatt erfolgt sein müssen. Bei der sach- und fachgerechten Beseitigung eines Unfallschadens komme es maßgeblich darauf an, wem der Geschädigte in der Vergangenheit sein Fahrzeug für Reparaturarbeiten anvertraut habe, so die weitere Argumentation des Geschädigten.

Frage der (Un-)Zumutbarkeit

Der BGH erklärt die Zumutbarkeitsfrage, indem er zunächst grundlegend darlegt, wann eine Unzumutbarkeit vorliegt. Eine Reparatur in einer "freien" Fachwerkstatt ist im Allgemeinen, so der BGH, dann unzumutbar, wenn das Fahrzeug im Unfallzeitpunkt nicht älter als drei Jahre war. Dies ist der Grundsatz.

Aber auch bei Fahrzeugen, die älter als drei Jahre sind, kann es für den Geschädigten unzumutbar sein, sich auf eine technisch gleichwertige Reparaturmöglichkeit außerhalb der markengebundenen Fachwerkstatt verweisen zu lassen. Auch bei älteren Fahrzeugen kann die Frage Bedeutung haben, wo das Fahrzeug regelmäßig gewartet, "scheckheftgepflegt" oder gegebenenfalls nach einem Unfall repariert worden ist.

Der BGH stellt bei der Beurteilung auf die Einschätzung des Marktes ab. Danach besteht bei einem großen Teil des Marktes beziehungsweise des Publikums die Einschätzung, dass bei einer regelmäßigen Wartung und Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt eine höhere Wahrscheinlichkeit besteht, dass dies ordnungsgemäß und fachgerecht erfolgt ist. Den in Markenwerkstätten durchgeführten Arbeiten haftet in gewissem Maße ein werterhaltender Faktor an.

In einer solchen Fallkonstellation kann es für den Geschädigten unzumutbar sein, sich auf eine günstigere gleichwertige und ohne Weiteres zugängliche Reparaturmöglichkeit in einer freien Fachwerkstatt verweisen zu lassen, wenn er beispielsweise unter Vorlage des "Scheckheftes", der Rechnungen oder durch Mitteilung der Reparatur- und Wartungstermine konkret darlegt, dass er sein Fahrzeug bisher stets in einer markengebundenen Fachwerkstatt hat warten und reparieren lassen, und dies vom Schädiger nicht widerlegt wird.

Grundsatz von "Treu und Glauben"

Für die Beurteilung der Unzumutbarkeit kommt es allerdings nicht nur auf die subjektive Sicht des Geschädigten an. § 254 BGB enthält eine Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben. Bei den Abwägungen des § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB geht es um diejenigen (Reparatur-)Maßnahmen, die ein ordentlicher und verständiger Mensch an der Stelle des Geschädigten zur Schadensabwehr oder -minderung ergreifen würde.

Auch wenn bei § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB die Sicht des Geschädigten zu berücksichtigen sei, sei es nicht allein diese, die die Grenzen der Zumutbarkeit und damit den Umfang der Schadenminderungspflicht bestimmt.

Der BGH betont in seiner Entscheidung, dass im Vordergrund der Überlegungen zur Zumutbarkeit der Verweisung auf eine günstigere freie Werkstatt richtigerweise darauf abzustellen ist, ob es für einen "ordentlichen und verständigen Menschen" an der Stelle des geschädigten Klägers unzumutbar wäre, ein etwa neuneinhalb Jahre altes Fahrzeug mit einer Laufleistung von mehr als 120.000 Kilometern für eine Reparatur in eine freie Fachwerkstatt zu geben, die vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Werkstatt entspricht. Dabei könne es nach Ansicht des BGH dahinstehen, ob die Durchführung nicht "scheckheftrelevanter" Arbeiten am Fahrzeug wie ein Reifenwechsel oder Austausch der Scheibenwischblätter in einer nicht markengebunden Fachwerkstatt im Schadenfall eine Verweisung auf eine freie Fachwerkstatt ermöglichen würde.

Im vorliegenden Fall geht es, wie der BGH betont, nicht nur um Arbeiten dieser Art, sondern vielmehr um schlicht nicht nachgewiesene Inspektionen über einen Zeitraum von fünf Jahren vor dem Unfall.

Der BGH kommt zu dem Schluss, dass es dem Geschädigten bislang mehr oder weniger gleichgültig war, wo er sein Fahrzeug warten ließ. Vielmehr habe der Geschädigte bisher ersichtlich keinen Wert darauf gelegt, dass eine markengebundene Fachwerkstatt sein Fahrzeug regelmäßig wartet. Dann aber müsse der Geschädigte sich auch die Verweisung an eine günstigere freie Werkstatt gefallen lassen.

Keine Gewinnoptimierung

Der unausgesprochene Gedanke hinter dem Argument des Gerichts mag vereinfacht ausgedrückt lauten: Wer jahrelang an Wartungs-und Reparaturkosten spart, kann später von einem Schädiger nicht verlangen, mehr auszugeben, als man selber bereit war zu zahlen. Nur weil ein anderer zahlt, darf man nicht die teurere Variante wählen; zumal hier nicht einmal eine tatsächliche Reparatur, sondern ein fiktiver Geldersatz im Raum steht. Das Schadensersatzrecht deckt keine "Gewinnoptimierung" des Geschädigten.

Für die Zukunft bedeutet die Entscheidung des BGH, dass die Versicherer auf Schädigerseite bei ihrer Schadenregulierung verstärkt auf die regelmäßige Durchführung von Wartungs- und Reparaturarbeiten in markengebundenen Fachwerkstätten achten werden, wenn der Geschädigte deren Stundenverrechnungssätze versucht, fiktiv in Ansatz zu bringen.

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