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Diskussion um Abgastests: Manipulation oder "Natur der Sache"

01.04.2016 11:07 Uhr
Neue Abgasmessverfahren: "Der Ball liegt beim Gesetzgeber."

Müssen Ergebnisse von Abgastests ganz der Realität entsprechen – oder nur Vergleichswerte liefern? Der VW-Skandal hat die Debatte über die Messverfahren erneut befeuert. Das sagen Vertreter von Umwelt- und Autoverbänden.

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Volkswagens Abgas-Affäre hat die Diskussion über Schadstoffmessungen neu angefacht. "Die Tests haben nichts damit zu tun, was tatsächlich auf der Straße geschieht", kritisiert Daniel Moser, Greenpeace-Experte für Mobilität und Transport. "Abweichungen liegen in der Natur der Sache", hält Kay Lindemann, Geschäftsführer des Autoverbands VDA, dagegen. Was sollen die Abgastests eigentlich bringen? Ein Streitgespräch:

Woher kommen die hohen Abweichungen zwischen den auf dem Prüfstand gemessenen Abgaswerten und der Realität auf der Straße?

Lindemann: Abweichungen liegen in der Natur der Sache. Die offiziellen Werte werden unter streng genormten, nahezu klinischen Bedingungen im Labor ermittelt. Demgegenüber unterliegen die Werte auf der Straße vielfältigen Einflüssen wie der Fahrweise, Verkehrslage und Witterung. Es kann nicht überraschen, dass ein sportlicher Fahrer in den bayerischen Bergen andere Verbrauchswerte hat als ein defensiver Fahrer in der niedersächsischen Tiefebene.

Moser: Diese Erklärung greift nicht. Es ist noch nie ein Straßentest bekannt geworden, dessen Ergebnis unter dem Laborwert liegt. Die Abweichungen steigen seit Jahren. Hier müssen Autohersteller, aber auch die Politik in die Pflicht genommen werden, damit Abgastests realistischer werden und Manipulation – egal ob legal oder illegal – unterbunden wird.

Was meinen Sie mit "legal" oder "illegal"?

Moser: Bei der illegalen Manipulation im VW-Abgas-Skandal sorgt eine Software dafür, dass Autos auf dem Prüfstand die Grenzwerte einhalten, auf der Straße aber um ein Vielfaches darüber liegen. Die offiziellen Abgastests sind zwar legal, aber sie haben nichts mehr mit der Realität auf der Straße zu tun. Das ist eine Manipulation, die mit realitätsfremden Testbedingungen suggerieren will, dass Autos weniger Schadstoffe ausstoßen. Dabei reden wir nicht über Lappalien: Durch das gefährliche Reizgas Stickstoffdioxid etwa sterben allein in Deutschland 10.000 Menschen im Jahr. Das macht wirksame Abgasgrenzwerte zu einer Frage von Leben und Tod.

Lindemann: Darf ich an der Stelle einhaken? Konkrete Berechnungen zu einer erhöhten Sterblichkeit durch Stickoxide aus dem Straßenverkehr gibt es nicht. Daten des Umweltbundesamts zeigen, dass die Gesamtemissionen in Deutschland seit 1990 um mehr als die Hälfte zurückgegangen sind. Zur Frage des Tests: Es ist aus unserer Sicht ein Scheinargument zu behaupten, dass der offizielle Verbrauchswert mit der Realität nicht übereinstimmt. Der Prüfzyklus soll den Verbrauch unterschiedlicher Pkw transparent machen, und das unter identischen, stetig reproduzierbaren Bedingungen. So müssen die Hersteller etwa das Tagfahrlicht anschalten und Sommerreifen verwenden. Und obwohl der Test veraltet ist, zeigt sich, dass man die Werte mit einer sehr defensiven Fahrweise unterschreiten kann.

"Veraltet" soll konkret heißen?

Lindemann: Der Test wurde vor über 30 Jahren entwickelt. Die Durchschnittsgeschwindigkeit ist zu niedrig. Außerdem ist das Verhältnis von Stadtfahrten und Überlandfahrten nicht mehr zeitgemäß und vieles mehr. Trotz aller Kritik, das Messverfahren ist geltendes Recht. Ich kann auch einer Fußballmannschaft nicht vorwerfen, dass sie ihr Spiel innerhalb gezogener Grenzen gestaltet.

Herr Moser, halten Sie das Ganze für Verbrauchertäuschung?

Moser: Die Kunden müssen wissen, dass diese Tests nicht die Realität abbilden. Und die Politik darf die Prüfverfahren nicht weiter vom kontinuierlichen Lobbyismus der Autoindustrie verwässern lassen.

Lindemann: Verbrauchertäuschung liegt vor, wenn Recht und Gesetz missachtet werden. Das ist im Fall von Volkswagen geschehen, was von uns wiederholt klar kritisiert worden ist. Wir bestreiten nicht, dass es Unterschiede gibt. Im Gegenteil: Wir haben selbst ein Interesse an realistischeren Messverfahren und unterstützen alles, was die Integrität des Systems stärkt. Der Ball liegt beim Gesetzgeber.

Der neue WLTP-Messzyklus ("Worldwide Harmonized Light-Duty Test Procedure") löst das bisherige Verfahren NEFZ 2017 ab, dazu kommen realistischere "Real Driving Emissions"-Tests (RDE) für Dieselautos. Welche Verbesserung bringen die beiden?

Lindemann: Die Abweichungen werden deutlich weniger. Wir werden beim Übergang vom NEFZ zum WLTP eine Verringerung sehen, weil die Bedingungen realistischer sind. Es werden höhere Geschwindigkeiten gefahren und stärker beschleunigt. Das Verhältnis zwischen kurzen und langen Fahrten wird austariert. Nach bisheriger Gesetzeslage gibt es keine Grenzwerte für die Messung von Emissionen auf der Straße. Das ändert sich 2017 mit RDE. Die Vorgaben sind sehr anspruchsvoll.

Moser: Diese neuen Testmethoden enthalten weiter diverse Schlupflöcher für die Industrie. Sie schützen werden die Verbraucher noch die Umwelt. Ein Beispiel sind so genannte Abschalt-Einrichtungen, die bislang von der Politik akzeptiert werden. Es ist ein Skandal, dass Hersteller mit Verweis auf Motorschutz die Abgasreinigung ausschalten dürfen. Da könnte man ja auch sagen: Um die Beläge zu schonen, schalte ich jetzt mal die Bremse ab!

Aber das Herunterregeln der Abgas-Nachbereitung bei kälteren Temperaturen zum Schutz von Bauteilen bewegt sich doch im Legalen?

Moser: "Kältere Temperaturen" fangen etwa bei Daimler schon bei zehn Grad plus an. Wenn die Motorbauteile bei Temperaturen geschützt werden müssen, die in Deutschland in sechs Monaten im Jahr herrschen, dann ist der Motor eine Fehlkonstruktion. Es kann nicht darum gehen, minderwertige Motorentechnologien zu schützen, sondern die Menschen vor giftigen Abgasen.

Wird man denn nach der Einführung von WLTP und RDE weiter über erhöhte Abgaswerte diskutieren müssen?

Lindemann: Unterschiede zwischen Labor und Straße wird es auch künftig geben. Auch die Werte auf der Straße können nie ganz eindeutig bestimmt werden, denn jede Fahrt, selbst mit dem gleichen Modell auf der gleichen Strecke, ist anders. Noch ein Beispiel dazu: In den nächsten Jahren kommen viele Plug-in-Hybride auf den Markt. Wenn Sie viel in der Stadt fahren, werden verbrauchen Sie weniger. Nutzen Sie den Elektromotor kaum, weil Sie im Fernverkehr fahren, steigt der Verbrauch. Eine einzige offizielle Verbrauchsangabe kann den Einzelfall nie vollständig berücksichtigen.

Moser: Viele deutsche Städte bekommen ihre Luftqualitätsprobleme nicht in den Griff, deshalb hat die EU ja ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet. Dieses Problem muss die Politik lösen. Wir brauchen unangekündigte Stichproben von wechselnden unabhängigen Prüfern. Wenn die Autoindustrie sich weiterhin gegen den Wunsch der Menschen nach einer nachhaltigen und sauberen Mobilität sperrt, wird sie ein Problem kriegen. Wir sind nicht mehr weit entfernt von dem Tag, an dem einzelne Autos nicht mehr in große Städte fahren dürfen.

Das Telefoninterview führte Annika Grah, dpa

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