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Interessenkollisionen

30.09.2015 06:00 Uhr

Andere Länder, andere Ansprüche bei Unfällen: Was deutsche Fahrer und Flottenbetreiber bei Zusammenstößen mit ausländischen Fahrern in einem anderen Staat erwartet.

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Bei Tom Petrick, Fachanwalt für Verkehrsund Steuerrecht sowie Partner der Kanzlei F.E.L.S Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer, teuerberater in Bayreuth und Nürnberg, landen häufig Unfälle auf dem Schreibtisch, an denen deutsche Fahrer von Firmenwagen im Ausland mit ausländischen Fahrern beteiligt sind. Je nach Land und beteiligten Fahrzeugen unterschieden sich dann die Schadenpositionen sowie die Abwicklung. Er gibt Einblick in die Lage einzelner Länder.

_ Unfälle im Ausland mit ausländischen Fahrzeugen oder mit ausländischen Fahrern im Inland: Firmenwagenfahrer und Fuhrparkleiter aus Deutschland können hier auf unterschiedlichste Konstellationen treffen. Mit welchen rechtlichen Wirkungen?

Grundsätzlich ist zu unterscheiden, welches Recht zum Tragen kommt. Zum einen ist es das materielle Recht, zum anderen das Prozessrecht. Für Ersteres und demnach auch für die potenziellen Anspruchspositionen bildet das materielle Recht des Landes die Grundlage, in dem der Unfall stattgefunden hat. Soll ein Rechtsstreit mit Auslandsbeziehung von einem deutschen Gericht entschieden werden, muss es international und örtlich zuständig sein. Gegenüber Mitgliedstaaten der EG findet die EuGVVO vorrangig Anwendung. Prinzipiell können Europäer danach alle Ansprüche im Heimatland geltend machen. Ist EU-Recht nicht vorrangig anwendbar, wird auf bi- und multilaterale Staatsverträge beziehungsweise autonome nationale Rechtsquellen, insbesondere die Zivilprozessordnung, zurückgegriffen. Ist ein deutsches Gericht international zuständig, wendet es sodann sein eigenes Prozessrecht an. In einigen Ländern ist das materielle mit dem Prozessrecht aber auch verknüpft. Beispielsweise in Italien, wo bestimmte Fristen und Formalien eingehalten werden müssen, um den Anspruch überhaupt klageweise durchsetzen zu können. Auf die Zulässigkeit einer Klage vor deutschen Gerichten haben diese Fristen aber keinen Einfluss.

_ Welche Folgen entstehen daraus für den Schadensersatz?

Welche Schadenpositionen in welcher Höhe vom Versicherer des Gegners grundsätzlich übernommen werden, unterscheidet sich von Land zu Land. Deshalb muss jeder Fall einzeln betrachtet werden, wenn ein deutscher Fahrer im Ausland mit einem ausländischen Fahrer im Straßenverkehr kollidiert und einen Schaden davonträgt. Mit der Vierten Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie 2000/26/EG vom 16.5.2000) ist der Schutz einer Person, die im Ausland einen Verkehrsunfall erlitten hat, weiter verbessert worden. Die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen wird erleichtert und deren Abwicklung beschleunigt. Nach Artikel 3 der genannten Richtlinie kann ein Unfallgeschädigter seinen Sach- oder Personenschaden direkt gegenüber dem ausländischen Haftpflichtversicherer geltend machen.

Problematisch sind oft Einzelpositionen, zum Beispiel Gutachterkosten. Werden diese überhaupt erstattet? Wer darf ein Gutachten einholen? Und auf welcher Grundlage wird begutachtet? Ein deutscher Fahrer hat hier zum Beispiel ein Interesse daran, dass sich die Werkstattkosten, die in einer deutschen Werkstatt anfallen, auch im Gutachten ihren Niederschlag finden. Die Vorgaben dafür sind jedoch höchst verschieden. In Kroatien, Lettland, Litauen, Mazedonien, Moldawien und Rumänien ist etwa geregelt, dass der Schaden ausschließlich von der ausländischen Versicherung begutachtet wird.

Bei Unfällen etwa in Bosnien, Bulgarien, Finnland, Griechenland, Schweden, Slowenien und Spanien bekommt man die Gutachterkosten sogar nur bei erheblichen Schäden ersetzt. Hinzu kommt, dass zum Beispiel in Schweden und Spanien die Reparaturkosten nur in der Höhe übernommen werden, soweit sie auch mit der ausländischen Schätzung übereinstimmen. Wenn im Gutachten also irgendwelche Kostensätze von einer deutschen Vertragswerkstatt zugrunde gelegt werden, ist es fraglich, ob diese überhaupt durchgesetzt werden können, wenn das Fahrzeug im Unfallland günstiger repariert werden kann. In Griechenland, Spanien, Türkei und Ukraine sind meist tatsächlich nur die ausländischen Reparaturkosten durchzusetzen. Grundsätzlich zahlt aber in jedem Land der Versicherer die Reparaturkosten. Vor Beauftragung eines Gutachters empfiehlt es sich in jedem Falle, das Einverständnis des Versicherers einzuholen, um nicht auf den Kosten sitzen zu bleiben.

Dagegen ist die Übernahme von Werkstattkosten auf Grundlage deutscher Vertragswerkstätten in Italien kein Problem. Hier ist vielmehr die Haftungsquote ein neuralgischer Punkt für deutsche Fahrer und Halter. Denn bei einer Kollision von Fahrzeugen in Italien wird bis zum Beweis des Gegenteils gesetzlich vermutet, dass beide Fahrzeugführer zu gleichen Teilen zum Entstehen des Schadens beigetragen haben. Dieser vollständige Entlastungsbeweis ist nur schwer zu führen. Italienische Haftpflichtversicherer weigern sich auch gern, die Gutachterkosten zu übernehmen und bestehen in der Regel auf die Entsendung eines Korrespondenzgutachters. Hier ist vor einer kostenauslösenden Beauftragung daher Vorsicht und Abstimmung mit dem Versicherer geboten.

_ Wie sieht es mit der Erstattung von Mietwagen-, Anwalts- und außergerichtlichen Kosten aus?

Häufig können lediglich die Kosten anwaltlicher Vertretung vor Gericht geltend gemacht werden, aber nicht die außergerichtlichen Kosten. Die Übernahme von außergerichtlichen Kosten ist erfahrungsgemäß in baltischen Ländern wie Estland und Litauen eine Herausforderung. Aber auch in Bosnien und den anderen Balkanländern, Bulgarien, Dänemark und zum Teil UK, Griechenland, Irland, Italien ist die Geltendmachung eingeschränkt.

Mietwagenkosten werden dagegen in der Regel für die Dauer der Reparatur ersetzt, wobei Abzüge für die ersparte Eigennutzung von zehn bis 50 Prozent bei den Kosten stattfinden. In Estland, Griechenland, Litauen, Moldawien, Spanien, Tschechien und Ukraine gibt es jedoch keine Erstattung der Mietwagenkosten. So werden Mietwagenkosten in Italien beispielsweise nur dann erstattet, wenn das Fahrzeug zur Berufsausübung unbedingt erforderlich ist. Auch dann wird jedoch ein Abschlag gemacht, der regelmäßig bei 20 Prozent liegt.

_ Kennt ausländisches materielles Recht den Nutzungsausfall?

Nutzungsausfall wird nur in einigen Ländern erstattet und meist nur in weit geringerer Höhe als in Deutschland. Es gibt ihn in UK, Frankreich, Luxemburg, Finnland, Belgien und Schweden. Italien und Österreich kennen beispielsweise keinen pauschalen Nutzungsausfall, während hierzulande dem Geschädigten im Falle eines Totalschadens in der Regel zwei Wochen Nutzungsausfall zugesprochen werden. Wenn Nutzungsausfall gezahlt wird, dann auch mit erheblichen Unterschieden. Teilweise erfolgt dies nach Pauschalen, die weit unter den deutschen Tabellen liegen. In Schweden sind das etwa 30 schwedische Kronen pro Tag, in Italien völlig unterschiedlich zwischen fünf und 30 Euro pro Tag - je nach Region und Rechtsprechung. In vielen anderen Ländern zahlen sie für diese Zeit aber oft nur die Mietwagen.

_ Welche Regeln gibt es für die Erstattung von Wertminderung bei einem Unfall?

Die Wertminderung des Fahrzeugs ist auch immer wieder ein Thema. Diese gibt es im europäischen Ausland meist nur für Luxusfahrzeuge oder neue Fahrzeuge, die nicht älter als sechs Monate beziehungsweise bis zu zwei Jahre alt sind. Oft ist eine schwere Beschädigung des Fahrzeugs Voraussetzung. Beispiele dafür sind unter anderem Belgien, Bosnien, Kroatien, Moldawien, Österreich, Schweden, Norwegen und Italien. In Österreich werden Minderwerte für Fahrzeuge bis zu einem Alter von drei Jahren und in Luxemburg in geringer Höhe bis zu vier Jahren erstattet.

In der Schweiz wird der Minderwert wiederum nach Gutachten ersetzt, wenn das verunfallte Fahrzeug noch 60 Prozent des Neuwagenwertes besitzt. Dies umfasst sowohl den technischen als auch den merkantilen Minderwert. Diese beiden Formen kennen sonst nur noch Deutschland, Frankreich und Österreich. In den anderen Ländern gibt es lediglich den technischen Minderwert.

_ Können Sie die verschiedenen Schadenpositionen und deren Geltendmachung anhand eines Landes durchexerzieren, zum Beispiel bei unserem Nachbarn Polen?

Wenn sich in Polen Unfälle ereignen, an denen nicht zwei Deutsche beteiligt sind, verhält es sich fast wie bei einem Unfall hierzulande. So gilt etwa ein Schadengutachten bei der Ermittlung der Höhe des entstandenen Kfz-Schadens als ausreichender und grundlegender Nachweis. Die Kosten des durch den Geschädigten beauftragten Gutachters werden durch die gegnerische Versicherung allerdings nur bei Einverständnis der Versicherung mit der Beauftragung des Gutachters übernommen. In vielen Fällen ist auch ein Kostenvoranschlag mit ausreichender Fotodokumentation ausreichend. Vor Gericht werden auch in Polen gerichtliche Schadengutachten eingeholt und zum Nachweis der Schadenhöhe akzeptiert. Ein dem deutschen Recht vergleichbarer "Totalschaden" existiert in Polen nicht.

Gleichwohl wird von der Rechtsprechung nach der sogenannten Differenzmethode eine Entschädigungshöhe dann ermittelt, wenn das Fahrzeug als nicht reparabel gilt. Hier wird der Wert des Fahrzeuges vor dem Unfall abzüglich des Restwertes ausgezahlt. Der Geschädigte kann auch auf der Grundlage einer Reparaturkostenabrechnung seinen Schaden beziffern. Bezahlt werden aber nur die anerkannten Preise für eine Arbeitsstunde unter Zugrundelegung der Preise für das jeweilige Gebiet. Und hier ist es in jedem Fall empfehlenswert, vor der Fahrzeugreparatur eine Reparaturfreigabe von der Versicherung zu verlangen. Der Geschädigte kann auch in Polen die merkantile Wertminderung sowie angemessene und übliche Abschleppkosten verlangen. An- und Abmeldekosten für Ersatzfahrzeuge und die Kosten der Miete eines gleichwertigen Fahrzeuges sind ebenfalls erstattungsfähig. Der Geschädigte muss aber nachweisen, dass er das Fahrzeug während der Reparatur tatsächlich genutzt hätte und dass der Umstand, dass ihm das Fahrzeug unfallbedingt nicht zur Verfügung stand, mit der Entstehung erheblicher Unannehmlichkeiten bei der Erfüllung seiner Alltagspflichten verbunden ist. Daher ist die Anmietung eines Ersatzfahrzeuges nicht immer gerechtfertigt. Außergerichtliche Anwaltskosten sind nicht erstattungsfähig. Anwalts- und Gerichtskosten werden dann getragen, wenn der Geschädigte vor Gericht klagt.

_ Herr Petrick, vielen Dank für das Gespräch !

Interview: Annemarie Schneider

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