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(Missglückte) StVO-Reform

01.10.2020 06:00 Uhr
(Missglückte) StVO-Reform

Zuerst wurde die "fahrradfreundliche" StVO-Reform wegen vermeintlich übertriebenen Verschärfungen arg kritisiert, später wurde über die Rechtmäßigkeit und die Anwendbarkeit der Regeln diskutiert.

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Aktueller Stand ist, dass das Bundesverkehrsministerium die Länder aufgefordert hat, die Ende April in Kraft getretenen neuen Bußgeldbestimmungen im Straßenverkehr nicht anzuwenden. Es sollten zunächst wieder die alten Bußgeldhöhen und Geschwindigkeitsgrenzen gelten. Für Sanktionen, die nach Inkrafttreten der Reform am 28. April bereits nach den neuen, strengeren Regeln verhängt wurden, wird immer noch bundesweit an einer Lösung gearbeitet.

Ursache der Aufregung war, dass bei der Aufnahme strengerer Schwellenwerte für Fahrverbote vergessen wurde, die Ermächtigungsgrundlage zu zitieren, die eine solche Änderung zulässt - ein Formfehler. Dieser hat zumindest die Unwirksamkeit der durch die StVO-Novelle verschärften Fahrverbote zur Folge, und zwar rückwirkend zum 28.4.2020. Die "neuen" Fahrverbote können nicht rechtswirksam ausgesprochen werden. Zudem mehren sich nun auch die Stimmen, dass durch den Zitierfehler die gesamte Änderung der Bußgeld-Katalogverordnung (BKatV) nichtig ist. Diese Auffassung wird wohl auch vom Bundesverkehrsministerium vertreten. Argument ist dabei die Untrennbarkeit von Geldbuße und Fahrverbot bei der Ahndung. Einige Bundesländer haben in der Presse daher kundgetan, dass Ahndungen von Verstößen nur noch auf Grundlage des bis zum 27.4.2020 geltenden alten Bußgeldkataloges erfolgen. Dies hätte zur Folge, dass nur noch die alten Bußgelder und Fahrverbote zugrunde gelegt werden. Mit den neuen höheren Bußgeldern kann nicht geahndet werden.

In der Präambel der 54. Änderungsverordnung der "fahrradfreundlichen" StVO-Reform - müssen nun alle dem Erlass der Verordnung zugrundeliegenden Ermächtigungsgrundlagen genannt werden, um dem Zitiergebot des Art. 80 GG zu genügen. Das Bundesverfassungsgericht hatte in anderem Zusammenhang in seiner Entscheidung vom 6.7.1999 (2 BvF 3/90) festgestellt, dass ein Verstoß gegen das Zitiergebot des Art 80 Abs. 1 S. 3 GG zur Nichtigkeit der Verordnung führt.

Vorliegend werden zwar u.a. § 26a Abs. 1 Nr. 1 (neue Verwarnungen) und Nr. 2 (neue Bußgelder) StVG genannt, nicht jedoch § 26a Abs. 1 Nr. 3 StVO, was für eine wirksame Erweiterung der Regelfahrverbote durch § 4 BKatV notwendig gewesen wäre. Daher liegt bei der aktuellen Änderung ein Verstoß gegen das Zitiergebot vor.

Spannend ist nun die Frage, welche Regelungen gelten und was mit Sanktionen geschieht, die anscheinend durch eine unwirksame Reform verhängt wurden. Von dem Formfehler sind wohl gleich mehrere Tatbestände betroffen, die mit den unwirksamen Fahrverboten zusammenhängen. Dabei handelt es sich um:

- Geschwindigkeitsüberschreitung innerorts um 21 km/h

- Geschwindigkeitsüberschreitung außerorts um 26 km/h

- Nichtbilden der Rettungsgasse bei stockendem Verkehr

- Befahren der Rettungsgasse durch Unbefugte

- Gefährliches Abbiegen

Diese Tatbestände der StVO können auch weiter geahndet werden. Lediglich die Verhängung eines Fahrverbotes scheint unwirksam zu sein, da § 26a I Nr. 3 StVG nicht zitiert wurde. Die anderen Regelungen bezüglich Verwarnungen und Bußgelder scheinen rechtmäßig zu sein. Bayern, Hessen, Saarland, Brandenburg, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz haben bereits ein unkompliziertes Verfahren angekündigt und wollen Fahrverbote nach dem neuen Bußgeldkatalog nicht vollziehen, es sei denn, das Fahrverbot würde auch nach dem bisherigen Katalog verhängt werden. Bei schon angetretenen Fahrverboten werden die Führerscheine zurückgeschickt oder können bei den zuständigen Polizeidienststellen abgeholt werden. Es wird wohl zu einem neuen Gesetzgebungsanlauf kommen müssen. Änderungen sind aber kaum vor Ende 2020 zu erwarten. Bis dahin gelten wieder die alten Bußgelder. Die Verfahren werden nicht automatisch eingestellt. Bei bereits abgelaufenen Einspruchsfristen ist eine Wiederaufnahme des Verfahrens denkbar, sofern eine Geldbuße von mindestens 250 Euro oder ein Fahrverbot verhängt wurde. Bei Verfahren mit bereits rechtskräftig verhängtem, aber noch nicht angetretenem Fahrverbot kann bei der Bußgeldstelle ein Vollstreckungsaufschub unter Hinweis auf die Rechtslage beantragt werden. Ganz wichtig aber:

Nicht jeder Bußgeldbescheid ist rechtswidrig und der Straßenverkehr ist derzeit kein "rechtsfreier" Raum. Am sichersten ist es daher, sich um die Einhaltung der Verkehrsregeln zu bemühen. Es ist auch nicht unter Hinweis auf die Panne bei der StVO-Reform erforderlich, nun bei jedem "Knöllchen" aus Prinzip Einspruch einzulegen oder Anwaltskanzleien zu "verstopfen".

Die zudem jetzt diskutierten Zitierfehler aller Reformen seit 2009 führen nur zu noch mehr Irritationen. Bei der rechtlichen Bewertung muss zwischen der StVO und der BKatV unterschieden werden. Es handelt sich um zwei völlig getrennte Themen, die unstrittige Nichtigkeit der letzten Änderung der BKatV durch erwiesenen Zitierfehler (aus dem Jahr 2020) und die behauptete Nichtigkeit der StVO durch einen Zitierfehler im Jahr 2013 bzw. 2009. Hier sollte zunächst eine weitere Klärung abgewartet werden. Zumindest bei Fragen zur Verhängung von Fahrverboten sollte im Zweifel Einspruch eingelegt werden und gegebenenfalls anwaltlicher Rat eingeholt werden.

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