von Dr. Michael Ludovisy
Der WLTP-Test für E-Autos besteht aus vier verschiedenen Testzyklen, die unterschiedliche Fahrbedingungen simulieren: niedrige, mittlere, hohe und sehr hohe Geschwindigkeit. Jeder Zyklus hat Phasen von Beschleunigung, konstanter Geschwindigkeit und Verzögerung. Da die WLTP-Reichweite immer bei 23 Grad Außentemperatur und ohne „Nebenverbräuche“ wie Klimaanlage oder Heizung ermittelt wird, entspricht der WLTP-Wert meistens nicht den realen Verbrauchswerten. Er ermöglicht aber in der Regel zumindest einen schnellen Vergleich der Reichweiten und Verbrauchswerte verschiedener Modelle und Marken.
Aber reicht dies unter vertraglichen Aspekten für den Käufer oder Leasingnehmer aus, wenn er sich darauf im Rahmen seiner Gebrauchsplanung und im Kostenmanagement verlassen muss? Die teils erheblich abweichenden und zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nur schwer kalkulierbaren tatsächlichen Verbräuche und Reichweiten sind insbesondere für Fuhrparks von großer Bedeutung. Mitunter auch ein Grund, lieber an der Wahl eines Verbrenners festzuhalten.
Reichweite als Eigenschaft
Die Reichweite eines Elektroautos ist – ebenso wie der Kraftstoffverbrauch bei einem Verbrenner – ein wichtiger Indikator für die Alltagstauglichkeit und damit eine „verkehrswesentliche Eigenschaft“ im Sinne des Kauf- und Leasingrechts. Selten werden die „Katalog-Versprechen“ zu Akkuleistung und Reichweite in der Realität gehalten. Oft stellen Kunden erst nach dem Kauf eine erhebliche Abweichung der tatsächlichen von der angegebenen Reichweite fest.
Da werden etwa aus versprochenen 450 bis 470 Kilometern Reichweite in der Praxis selbst unter klimatischen Idealbedingungen gerade mal 350 Kilometer. Derartige Abweichungen der Reichweite können unter bestimmten Umständen einen Sachmangel darstellen und zu einem berechtigten Rücktritt vom Kaufvertrag führen.
Diese fünf Elektroautos kosten unter 20.000 Euro

Elektro-Gate
Einige Anwaltskanzleien sprechen bereits in Analogie zum Abgasskandal von einem „Elektro-Gate“. Nach dem Dieselskandal soll die Automobilindustrie nun in einen zweiten Skandal verwickelt sein: mangelnde Reichweite bei Elektroautos. Der Vorwurf, die Reichweitendaten sollen bewusst geschönt worden sein, ist zumindest zum jetzigen Zeitpunkt noch eine stark überzogene und bislang nicht nachgewiesene Behauptung.
Es soll an dieser Stelle auch nicht darum gehen, einzelne Hersteller zu benennen. Allerdings sind tatsächlich schon Hersteller zu Schadenersatzzahlungen an Käufer verurteilt worden. Auch sind bereits einzelne Hersteller mit regelmäßigen, zum Teil erheblichen Reichweitenabweichungen aufgefallen und bekannt. Wer diesbezüglich eigene Erfahrungen abgleichen möchte, findet im Internet detaillierte Informationen.
Was kann ich tun?
Vorliegend geht es um die Frage, was Käufer und Leasingnehmer angesichts zu großer Abweichungen unternehmen können. Zunächst einmal kann im Zweifel ein Sachverständiger herangezogen werden, der unter anderem die Leistung der Batterie im Test überprüft und so genaue Werte ermitteln kann – ähnlich vergleichbaren Fällen bei Verbrennern eine im Zweifel für den Kunden kostspielige Angelegenheit.
Bei erheblichen Abweichungen liegt ein Sachmangel vor, und der Käufer (die Rechte des Leasingnehmers richten sich hier nach den Grundsätzen des Kaufrechts) hat zunächst ein Recht auf eine Reparatur (Nachbesserung) oder die Lieferung eines Neufahrzeugs. In der Praxis wird eine höhere Reichweite – wie zugesichert – oft nicht durch eine Reparatur oder Nachbesserung erreicht werden können. Wie auch, wenn Verbrauch und Leistung der Batterie vom Hersteller zu „optimistisch“ angegeben wurden? Auch die Lieferung eines Ersatzfahrzeugs mit gleicher Batterieleistung wird kaum erfolgversprechend sein.
Rücktritt vom Kaufvertrag
Im Ergebnis bleibt für den Käufer nur der Weg über den Rücktritt vom Kaufvertrag (eine Minderung des Kaufpreises hilft hier nicht wirklich weiter). Ein solcher kommt jedoch erst in Betracht, wenn nach der zweiten Reparatur der Mangel nicht behoben wurde oder der Verkäufer sich von vornherein geweigert hat, das Fahrzeug zu reparieren.
Die Frage, die sich hierbei stellt, ist, ob die Hersteller aus dem Abgasskandal gelernt haben und um Schadenbegrenzung bemüht sind. Es ergibt keinen Sinn, die Kunden erst auf den vorgeschalteten Weg einer Reparatur oder Nachbesserung zu verweisen, wenn von vornherein feststeht, dass die beworbene Leistung mit der vorliegenden kW-Leistung der modellspezifischen Batterie schlicht unrealistisch ist. Besser wäre hier der direkte Weg über einen Rücktritt vom Kaufvertrag, wenn (!) sich eine erhebliche Abweichung gutachterlich hat nachweisen lassen. Was der Markt nicht schon wieder braucht, sind unendliche Prozesse analog dem Abgasskandal.
Erheblicher Mangel
Wann aber liegt eine zum Rücktritt vom Kaufvertrag berechtigende Abweichung der Leistung vor? Der Mangel muss „erheblich“ sein. Bislang haben sich Gerichte aus dem Umstand heraus, dass Stromer erst relativ neu auf dem Markt sind, noch nicht abschließend mit dieser Frage auseinandergesetzt. Es bietet sich aber an, als Maßstab die BGH-Rechtsprechung zum Kraftstoffmehrverbrauch von Fahrzeugen mit einem Verbrennungsmotor heranzuziehen. Danach liegt ein Sachmangel vor, wenn der angegebene Verbrauchswert um mehr als zehn Prozent überschritten wird (BGH, Beschluss vom 8.5.2007 – VIII ZR 19/05). Das Ganze muss dann gutachterlich in eine jeweilige Minderreichweite umgerechnet werden.
Hier sind gerichtliche Auseinandersetzungen mit zahlreichen Gutachten und Gegengutachten zu befürchten. Bereits die Verfahren im Abgasskandal haben gezeigt, dass die Hersteller kaum bereit sein dürften, ohne prozessuale Not nachzugeben. Zu groß ist die Sorge vor Reputationsverlust und Einnahmeeinbußen.
Best Of BEV - die Kilometerfresser

Herstellerhaftung nach Gewährleistungsfrist
Nicht übersehen werden sollte, dass eine Haftung des Herstellers eines E-Autos grundsätzlich auch nach Ablauf der Gewährleistung in Betracht kommen kann. Analog zu den Abgasprozessen gegen VW können Käufer auch dann, wenn sie ihr E-Auto – was die Regel sein wird – nicht direkt vom Hersteller gekauft haben, das Auto unter Umständen an diesen direkt zurückgeben. Voraussetzung ist, dass der Hersteller wissentlich und willentlich mit einer im Alltagsgebrauch unmöglichen Reichweite wirbt, die erheblich von der tatsächlichen Leistung abweicht, und sich somit einen Wettbewerbsvorteil verschafft.
Auch an diesem Punkt bleibt die Erwartung an langwierige Gerichtsverfahren. Vereinzelt (und streitig) wird als Anspruchsgrundlage gegen die Hersteller in diesem Zusammenhang auch § 9 Abs. 2 UWG (Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb) erwähnt. („Wer vorsätzlich oder fahrlässig eine unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt und hierdurch Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst, die sie andernfalls nicht getroffen hätten, ist ihnen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.“) Diese Regelung wurde 2022 durch das „Gesetz zur Stärkung des Verbraucherschutzes im Wettbewerbs- und Gewerberecht“ eingeführt.
Voraussetzungen für § 9 Abs. 2 UWG
Der neue Schadensersatzanspruch gemäß § 9 Abs. 2 UWG hat mehrere Voraussetzungen:
- Es muss ein vorsätzlicher oder fahrlässiger Verstoß des Unternehmers gegen eine Vorschrift des UWG vorliegen und nachgewiesen werden;
- Die unlautere geschäftliche Handlung des Unternehmers muss den Verbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst haben, die er andernfalls so nicht getroffen hätte;
- In diesem Zusammenhang ist eine geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG n. F. jede Entscheidung darüber, ob oder wie er ein Geschäft abschließt, eine Zahlung leistet oder ein vertragliches Recht im Zusammenhang mit einer Ware oder Dienstleistung ausüben will.
Dauerleistung der Stromer
Ein weiterer zunehmend interessanter Streitpunkt ist die Herstellerangabe zur (Kilowatt-)kW-Leistung ihrer angebotenen Elektrofahrzeuge. In den Konfiguratoren oder den Unterlagen geben die Hersteller zu ihren Elektroautos häufig die vielversprechendere und werbewirksamere Peakleistung an. Tatsächlich erreichen die Elektroautos zwar die meist ausschließlich beworbenen Werte, allerdings handelt es sich lediglich um einen momentbezogenen Maximalwert. Nach einigen Sekunden nähern sich Komponenten wie Batterie oder Elektromotor einer kritischen Maximaltemperatur. Die Dauerleistung wird in der Zulassungsbescheinigung Teil 2 angegeben.
Um dem entgegenzuwirken, regelt das Steuergerät die Leistung automatisch herunter. Der Unterschied zur Dauerleistung und die Zeitspanne, in der das Auto die Peakleistung an die Räder abgeben kann, hängen dabei vom Temperaturmanagement der jeweiligen Konstruktion der einzelnen Hersteller ab. Aber: Die Abweichungen sind nicht selten erheblich (selbst bei Luxusfahrzeugen, zum Beispiel mit Werten von 455 PS zu 170 PS).
Rechtsprechung noch offen
Ob eine alleinige Bewerbung mit der Peakleistung und die tatsächlich in der Praxis relevante niedrigere Dauerleistung einen Sachmangel darstellen, ist in der Rechtsprechung bislang nicht entschieden. Zumindest dann, wenn der Hersteller auf den Unterschied – mehr als nur versteckt auf irgendwelchen Internetseiten – hinweist, dürfte kein Sachmangel vorliegen. In jedem Fall aber ist der Hinweis auf die geringere Dauerleistung nur im „Kleingedruckten“ keine vertrauensbildende Maßnahme.
Der in diesem Zusammenhang oft zu hörende Hinweis, sowohl die Abweichung beim WLTP-Verbrauch als auch bei der Peak-/Dauerleistung seien doch allgemein bekannt und im Übrigen sei der WLTP-Wert ein international anerkannter Messwert, lässt zumindest vermuten, dass man den nichtwissenden Kunden gerne und bewusst im Unklaren lässt. Wer nicht von sich aus auf die Abweichungen aufmerksam wird, muss auch nicht darauf hingewiesen werden?
Es spräche nichts dagegen, die den Herstellern bekannten realistischen Werte in die Bewerbung aufzunehmen. Warum muss der Kunde im Zweifel dem Hersteller bekannte Abweichungen auf seine eigenen Kosten erst nachweisen? Gibt es hier also doch verhaltensbedingte Parallelen zum früheren Abgasskandal?