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Das verborgene Risiko

31.12.2015 06:00 Uhr

Chef-Riskmanager Ralph Feldbauer von der Allianz und Rechtsanwalt Tom Petrick von der Kanzlei F.E.L.S über das Ablenkungspotenzial hinterm Lenkrad und Strategien zur Vermeidung.

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_ Bordcomputer, Head-up-Display, Navigations- und Infotainmentsysteme: Das Auto ist heute weit mehr als nur ein Fortbewegungsmittel - es ist eine rollende Multi-Media-Fahrgastzelle, die ihre Insassen mit viel Komfort, elektronischen Daten und technischen Hilfsmitteln von A nach B bringt.

Für berufliche Vielfahrer wie Außendienstler ist der Pkw zugleich auch ein Büro auf vier Rädern. Sie nutzen lange Fahrten für Telefonate über ihre Freisprecheinrichtung und wähnen sich damit rechtlich in Sicherheit oder werfen im Stau oder an der Ampel noch schnell einen Blick in wichtige Unterlagen, um auf den bevorstehenden Termin vorbereitet zu sein. Wäre das rollende Büro keine gängige Praxis, gäbe es keine Ordnungssysteme zu kaufen, die am Beifahrersitz zu installieren sind.

Doch je vielfältiger die Möglichkeiten an Bord sind, die Fahrzeit für Kommunikation und Information zu nutzen, desto größer ist die Gefahr, dass der Fahrer seine volle Aufmerksamkeit nicht mehr allein dem Verkehrsgeschehen widmet und in einen Unfall verwickelt wird. Unzählige Studien konnten mittlerweile eindrucksvoll belegen, wie gravierend die Ablenkung am Steuer ist.

Ralph Feldbauer, Leiter des Bereichs Riskmanagement für Flotten bei der Allianz, ist aufgrund seiner langjährigen Erfahrungen in der Unfallanalyse und der Ergebnisse von Studien des Allianz Zentrum für Technik zur Überzeugung gelangt, dass die vielen Kommunikationsmittel im Fahrzeug die Zahl der gefährlichen ablenkenden Ereignisse und das damit einhergehende Risiko erhöhen. Der Mensch sei oftmals nicht in der Lage, diese Vielzahl von visuellen Informationsmitteln zu verarbeiten und gleichzeitig mit seiner vollen Aufmerksamkeit auf der Straße zu bleiben.

Ablenkung schwer nachweisbar

Die Ablenkung als Grund für einen Zusammenstoß nachzuweisen, ist jedoch schwierig. Als Unfallursache steht dann beispielsweise nur der Spurwechsel in den Akten. Deshalb ginge es für Feldbauer darum, die Ursache hinter der Schadensursache zu finden. Und er weiß: "Bei Dienstwagenfahrern ist das häufig die Ablenkung." Und damit sei nicht Ablenkung von außen gemeint, das große Werbeplakat oder der Schilderwald, sondern die von innen. "Weil sie eben das Navigationssystem nicht vor der Fahrt einstellen. Oder weil sie plötzlich bestimmte Fahrzeugdaten wie der Spritverbrauch interessiert und sich durch das Menü im Bordcomputer tasten. Oder sie schlichtweg das Fahrzeug oftmals auch nicht bedienen können, weil sie nicht ordentlich in alle Instrumente eingewiesen wurden", erläutert der Riskmanager.

Für Dienstwagenfahrer, für die das Auto zugleich Arbeits- und Transportmittel ist, sieht er eine Vervielfachung dieser Risiken gegenüber Privatpersonen, die entspannt am Wochenende und in ihrer Freizeit fahren. Deshalb sieht er auch die Arbeitgeber und Fuhrparkverantwortlichen in der Pflicht, Maßnahmen zur Sicherheit im Fahrzeug einzuleiten. "Ob Sitzplatzergonomie, die Qualität des Bildschirms oder Verordnungen der Berufsgenossenschaften - im Unternehmen sind Sicherheit und Gesundheit der Mitarbeiter ein wichtiger Aspekt - und sobald sie aus der Tür sind und mit dem Transportmittel Nummer eins zum Kunden fahren, lässt der Fokus plötzlich nach", findet Feldbauer.

"Effektive" Reisezeit

Das gehe von den technischen Sicherheitseinrichtungen im Fahrzeug bis hin zur Überzeugung mancher Führungskräfte, die lange Reisezeit ihrer Mitarbeiter im Auto effektiver gestalten zu müssen und sie dort zu Telefonkonferenzen einzuladen. "Alleine aus der gewohnten Tagespraxis, die ich aus den Unfallanalysegesprächen mit den Fahrern mitnehme, wird schon ziemlich deutlich, wo interessante Handlungsansätze liegen könnten, um das in Zukunft zu vermeiden", sagt Feldbauer.

Vorgesetzte sollten sich fragen, wie die Zeit am Steuer zu definieren ist. Ist sie Freizeit, Arbeitszeit oder einfach nur Reisezeit, zu der der Fahrzeuglenker mit höchster Konzentration unterwegs sein sollte?

Außerdem sieht der Riskmanager nicht nur die Unversehrtheit der eigenen Belegschaft als Ziel, sondern weist auch auf das Gefährdungspotenzial für unbeteiligte Dritte hin. Sind die Firmenfahrzeuge gebrandet, entsteht durch die Fahrweise der Mitarbeiter eine Imagewirkung nach außen.

Strategien für Unternehmen

Rechtsanwalt Tom Petrick, Partner der Kanzlei F.E.L.S, empfiehlt beim Aufbau einer Sicherheitsstrategie folgende Systematik: Klären, welche Vorschriften und Gesetze es gibt, die in der eigenen Branche zu beachten sind, und wer dafür verantwortlich ist. Wie sind Risiken zu bewerten, wenn es dafür keine direkten Normen gibt? Darauf aufbauend müsse der Fuhrparkbetreiber Maßnahmen und Lösungen festlegen, aber auch Sanktionen arbeitsrechtlicher Art verankern, wenn Vorgaben nicht eingehalten werden. Diese Maßnahmen müssten kontrolliert und dokumentiert werden, um die straf- und regressrechtlichen Gefährdungen für die Unternehmensleitung zu minimieren.

Als wichtige Maßnahme sieht Feldbauer auch die Sensibilisierung durch den Arbeitgeber, denn seinen Beobachtungen zufolge seien sich die Dienstwagenfahrer der Gefahren selber gar nicht bewusst, wenn sie die Zeit am Steuer beispielsweise für Kundentelefonate nutzen. "Wenn da mal der Arbeitgeber klarstellt: ,Wenn Ihr Auto fahrt, dann fahrt Ihr Auto und konzentriert Euch darauf, denn Ihr seid uns wichtig', dann fängt es mit der ganz einfachen Sensibilisierung schon an. Und diese Sensibilisierung sollte in allererster Linie auch über die Führungskräfte der Dienstwagenfahrer erfolgen", sagt Feldbauer.

Bei klaren Rechtsverstößen wie Tippen auf dem Handy während der Fahrt ist die Rechtslage klar. Schwieriger wird es hingegen, wenn sich der Fahrzeuglenker in einem Graubereich bewegt: Telefoniert er über eine Freisprecheinrichtung, ist er zwar ordnungswidrigkeitsrechtlich auf der sicheren Seite, kann aber dennoch abgelenkt sein. "Sobald ich gedanklich nicht mehr zu 100 Prozent im Straßenverkehr bin - und das bin ich immer dann, wenn ich Gespräche führe, auch über die Freisprecheinrichtung -, habe ich natürlich ein wesentlich höheres Gefährdungspotenzial", sagt Feldbauer.

Fürsorgepflicht und Schutzziele

Deshalb ist es laut Petrick auch wichtig zu bestimmen, welche Schutzziele ein Unternehmen verfolgen will. Reicht es ihm aus, die Mindestanforderungen zu erfüllen? Wenn es keine konkreten Vorschriften zur Untersagung gibt, aber mit gesundem Menschenverstand zu erkennen ist, dass der Arbeitsalltag sicherer organisiert werden könnte, sollten Unternehmen aus der Fürsorgepflicht für ihre Mitarbeiter einen Handlungsbedarf für sich ableiten.

Petrick weist darauf hin, dass ein Unternehmen beim Umfang der Fürsorgepflicht aber immer auch die Verhältnismäßigkeit wahren und genau prüfen müsse, um was für Fahrten es sich handele. Würden Fahrer ins Ausland entsandt, dann habe der Arbeitgeber eine höhere Fürsorgepflicht und Gefährdungshaftung als gegenüber solchen, die nur Kurzstrecken fahren. "Man muss immer überlegen, was man für Schutzziele hat und welche Fürsorgepflichten verhältnismäßig sind", empfiehlt Petrick.

In seiner Kanzlei vertritt er einen Mandanten aus der Pharmabranche, der zur Sicherheit seiner Fahrer so weit gegangen ist, Dienstreisen mit dem Auto nur bis maximal 300 Kilometer pro Tag zu erlauben. Bei längeren Fahrten müssten sie sich ein Hotelzimmer nehmen, was zu einer entspannten Arbeitssituation führe. "Die Mitarbeiter sind deswegen nicht weniger effektiv. Sie planen ihre Termine nur anders", berichtet Petrick. "Und während ihrer Hotelaufenthalte, die natürlich Geld kosten, aber im Ergebnis zur Mitarbeiterzufriedenheit und -bindung führen, haben sie freie Zeit, in der sie ihre Bürotätigkeit erledigen."

Dennoch ist klar, dass ein Restrisiko für Ablenkung am Steuer immer bleiben wird. Deshalb sieht der Riskmanager Feldbauer es als unbedingt erforderlich an, dass Fuhrparks in wirklich sinnvolle technische Unterstützungssysteme investieren. So ließen sich die in der Praxis zwangsläufig ergebenden Ablenkungsmanöver durch technische Sicherheitseinrichtungen im Fahrzeug kompensieren.

Dazu gehören für ihn beispielsweise ein Notbremsassistent und ein Spurverlassenswarner. "Diese Systeme können tatsächlich noch wirken, bevor ein Auffahrschaden eintritt", sagt Feldbauer.

Ablenkung häufige Unfallursache

Petrick ist davon überzeugt, dass sich die gesetzlichen Anforderungen verschärfen werden und dass auch die Rechtsprechung mehr Maßnahmen verlangen wird. Und auch wenn ordnungswidrigkeits- und strafrechtlich der Kausalzusammenhang von Ablenkung und Unfallfolge nicht nachzuweisen sei, sieht der Rechtsanwalt zivilrechtlich ohne Weiteres Regressmöglichkeiten der Berufsgenossenschaften und Schadensersatzansprüche der Arbeitnehmer, wenn offensichtlich sei, dass diese ihr Arbeitspensum nur schaffen, wenn sie während der Fahrt telefonieren.

"Es ist ganz klar, dass die Ablenkung immer häufiger zur Unfallursache wird", sagt Petrick. Diese zu minimieren und die Sicherheit der Fahrer zu erhöhen, sollte also in den Fuhrparks stärker als bisher Beachtung finden. Wie das geschieht, ist aber letztendlich eine Einzelfallentscheidung. "Da gibt es keine Generalkonzepte - das ist individuell für jedes Unternehmen", sagt der Rechtsanwalt.

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