Ein Schaden, der keiner ist
„So-Nicht-Unfall“ | Ein Geschädigter hat keinen Anspruch auf Schadensersatz, wenn ein Unfall trotz nachgewiesener Kollision die Schäden nicht herbeigeführt haben kann und ein anderer Ablauf nicht vorgetragen wird.
— Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm hat mit Urteil vom 15. Oktober 2013 (Az. 9 U 53/13) Schadensersatzansprüche eines Kfz-Halters wegen Fahrzeugschäden aus einem Verkehrsunfall verneint, weil ein sogenannter So-Nicht-Unfall vorgelegen habe. Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Kläger und Beklagter sind jeweils Halter und Fahrer der beschädigten Wagen. Aufgrund des Unfallereignisses hat der Kläger vom Beklagten und dessen Haftpflichtversicherung Schadensersatz verlangt.
In Übereinstimmung mit der Schilderung des Beklagten hat der Kläger den Unfall so geschildert, dass das Fahrzeug des Beklagten beim Linksabbiegen von der linken Fahrspur zu weit nach rechts auf die vom klägerischen Fahrzeug befahrene rechte Fahrspur geraten, dabei gegen die vordere linke Seite des Fahrzeugs des Klägers gestoßen und dann an der linken Fahrzeugseite entlanggeschrammt sei. Die letztlich geltend gemachten Schäden am Fahrzeug des Klägers können nach geschildertem Unfallhergang jedoch so nicht entstanden sein.
Zwei zu erfüllende Kausalitäten | Das OLG Hamm musste sich also mit der Beweislast bei haftungsbegründender und haftungsausfüllender Kausalität bei der Haftung nach §§ 7, 18 StVG auseinandersetzen. Im Zivilrecht ist die Kausalität eine Voraussetzung für die Schadensersatzpflicht. Eine Haftung erfolgt nur dann, wenn
das Verhalten des Schädigers für das schädigende Ereignis kausal ist („haftungsbegründende Kausalität“) und
das schädigende Ereignis für die konkrete Schadenfolge (Schadenbild und Schadenhöhe) kausal ist („haftungsausfüllende Kausalität“).
Die haftungsbegründende Kausalität ist im Rahmen der Haftung gemäß §§ 7, 18 StVG bereits dann zu bejahen, wenn der Betrieb eines Kraftfahrzeugs in einer Weise auf das geschützte Rechtsgut eingewirkt hat, die die nachteiligen Folgen auslösen kann.
Bei der haftungsausfüllenden Kausalität muss im Sinne von § 287 ZPO mit überwiegender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass die von dem Geschädigten behaupteten Schäden in ihrer Gesamtheit oder zumindest ein klar abgrenzbarer Teil hiervon bei dem Unfall entstanden sind. Lässt sich dies nicht feststellen oder wird dies nicht vorgetragen, ist ein Schadensersatzanspruch zu verneinen (die Rechtsprechung spricht hier von einem „So-Nicht-Unfall“ bezogen auf den Schadensumfang).
Hinsichtlich der haftungsbegründenden Kausalität ergab im zugrundeliegenden Fall die Beweisaufnahme im Wesentlichen eine übereinstimmende Schilderung des Unfallgeschehens, sowohl durch die beteiligten Fahrzeugführer selbst als auch durch zwei unabhängige Zeugen. Danach ist es durch einen Spurwechsel zur Kollision und zu Schäden am klägerischen Fahrzeug gekommen.
Damit steht unstreitig der für alle in diesem Zusammenhang stehenden Anspruchsgrundlagen erforderliche äußere Tatbestand der Rechtsgutverletzung nach dem für die haftungsbegründende Kausalität anwendbaren Maßstab des § 286 ZPO fest. Der Betrieb des Beklagtenfahrzeuges konnte in der geschilderten Weise an dem Fahrzeug des Klägers die behaupteten Schäden grundsätzlich auslösen. Der haftungsbegründende Tatbestand ist damit erfüllt.
Haftungsausfüllende Kausalität verneint | Anders verhält es sich aber mit der haftungsausfüllenden Kausalität. Hierbei steht nach der Durchführung der Beweisaufnahme jedoch nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit im Sinne von § 287 ZPO zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die vom Kläger behaupteten Schäden an seinem Fahrzeug in ihrer Gesamtheit oder zumindest ein abgrenzbarer Teil hiervon bei dem Unfall entstanden sind.
Vorliegend hatte der Sachverständige den Vortrag des Klägers, er habe sein Fahrzeug noch bis zum Stillstand abgebremst, als er das Fahrzeug des Beklagten wahrgenommen habe, nachvollziehbar widerlegt. In diesem Falle wäre es nach dessen Ausführungen überhaupt nicht zur Kollision der Fahrzeuge gekommen.
Zusätzlich hatte er bei der mündlichen Erörterung seines Gutachtens ausgeführt, dass ein Vorschaden am linken Kotflügel festzustellen sei. Nach dem Klägervortrag sei dieser Schaden auf den streitgegenständlichen Unfall zurückzuführen. Der Vorschaden spreche jedoch gegen eine unfallbedingte Verursachung. Allenfalls könne der am vorderen Stoßfänger geltend gemachte Schaden durch den Unfall entstanden sein. Hier sei aber kein eindeutiger, für einen sicheren Fahrzeugkontakt sprechender „Stempelabdruck“ vorhanden. Die Verursachung dieses Schadens sei daher nur möglich, aber nicht hinreichend gesichert.
Wahrscheinlichkeit nicht gegeben | Damit war für das Gericht die nach § 287 ZPO notwendige hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass die geltend gemachten Schäden auf das Unfallereignis auch tatsächlich zurückzuführen sind, nicht gegeben.
Eine richterliche Schätzung des Schadens nach § 287 ZPO kommt bei bestehender Vorschadenproblematik erst dann in Betracht, wenn der Geschädigte dargelegt und bewiesen hat, welche eingrenzbaren Vorschäden durch welche konkreten Reparaturmaßnahmen fachgerecht beseitigt worden sind oder nicht zu dem streitgegenständlichen Unfall gehören. Er muss die jeweils eingetretenen Schäden konkret und im Einzelnen so benennen, dass glaubhaft nachvollziehbar wird, welcher Schaden durch welches Schadensereignis eingetreten ist.
Stehen Vorschäden außerhalb der Besitzzeit des Geschädigten zur Diskussion, ist es Obliegenheit des Geschädigten, sich beim Voreigentümer gegebenenfalls danach zu erkundigen. Ist ihm dies nicht möglich, geht dies zu seinen Lasten.
Konsequenzen | Für die Praxis der Schadenregulierung bedeutet dies, dass bei vorhandenen Vorschäden besondere Aufmerksamkeit auf die Gutachten zur richten ist. Daraus sollte sich nicht nur eine klare Abgrenzung des unfallbedingten Schadensumfangs zu Vorschäden, sondern auch der unfallbedingten Reparaturkosten zu den Gesamtreparaturkosten ergeben. Erst dann sollten die Ansprüche beim Unfallverursacher respektive dessen Haftpflichtversicherung geltend gemacht werden.
Wenn im Gutachten, das der Geschädigte oder sein Rechtsanwalt in Auftrag gegeben hat, von Vorschäden/Altschäden – die Terminologie ist hier nicht einheitlich – die Rede ist oder sogar von nicht oder nur provisorisch reparierten Schäden, muss mit dem „Vorschaden-Einwand“ der Gegenseite gerechnet werden.
Noch bevor das Anspruchsschreiben abgesendet wird, sollte den Fragen nachgegangen werden, um welche Vorschäden es sich handelt und ob und wie sie beseitigt wurden. Soweit der Gutachter einen unreparierten Vorschaden/Altschaden erwähnt hat, muss klargestellt werden, dass er nicht Gegenstand der Kalkulation und der darauf basierenden Forderung ist. Notfalls muss der Sachverständige in diesem Punkt sein Gutachten verdeutlichen beziehungsweise nachbessern. | Dr. Michael Ludovisy
Verzögerte Akteneinsicht | Verzug der Haftpflichtversicherung
– Ein Verzug der Kfz-Haftpflichtversicherung nach Ablauf der angemessenen Prüfungsfrist von sechs Wochen wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Versicherung bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Einsicht in die Ermittlungsakten nehmen konnte. Im Übrigen ist es auch nicht geboten, die Entscheidung über die Eintrittspflicht von einer vorherigen Akteneinsicht überhaupt abhängig zu machen, dass mit einer solchen häufig erst nach mehreren Monaten zu rechnen ist und dies eindeutig den berechtigten Interessen des Geschädigten an einer zügigen Regulierung zuwiderläuft.
OLG Stuttgart, Az. 3 W 46/13; DAR 2013, 708
Kilometerleasing | Bemessung des Minderwertausgleichs
– Dem Anspruch des Leasinggebers auf Minderwertausgleich bei einem Leasingvertrag mit Kilometerabrechnung kann der Leasingnehmer schadenrechtliche Einwände nicht entgegenhalten. Es kommt nicht darauf an, ob der Leasinggeber durch die Rückgabe des Fahrzeugs in schlechterem als dem vereinbarten vertragsgemäßen Zustand keinen Schaden erleidet oder sogar bessergestellt wird, weil er das Fahrzeug in jedem Fall zum vorab kalkulierten Restwert weiterveräußern könne und er zusätzlich gegen den Leasingnehmer noch einen Minderwertausgleichsanspruch habe.
Auch scheitert die Wirksamkeit einer Klausel in einem vom Leasinggeber vorformulierten Leasingvertrag mit Kilometerabrechnung, die den Leasingnehmer zum Minderwertausgleich verpflichtet, wenn er das Fahrzeug nicht in einem dem Alter entsprechendem Erhaltungszustand zurückgibt, nicht daran, dass die Klausel dem Leasingnehmer kein Nacherfüllungsrecht einräumt. BGH, Az. VIII ZR 334/12; DAR 2013, 704
Werkstattempfehlung | Reparaturkostenübernahme durch Versicherung
– Empfiehlt die Kfz-Haftpflichtversicherung des Schädigers dem Geschädigten, das verunfallte Fahrzeug in einer bestimmten Kfz-Werkstatt reparieren zu lassen, und gibt sie zudem den Hinweis, dass sie in dieser Werkstatt auch die Mietwagenkosten übernehmen würde, so kann der Geschädigte davon ausgehen, dass damit die Reparaturkosten zu 100 Prozent übernommen werden. Es ist dabei vom Empfängerhorizont des meistgeschädigten Laien auszugehen, sodass sich die Versicherung an den gesetzten Rechtsschein festhalten lassen muss.
AG Marburg, Az. 9 C 345/13; DAR 2013, 709