Autoflotte: Was halten Sie von einer Helmpflicht für Radfahrer?
Siegfried Brockmann: Da muss man unterscheiden: Zur Unfallfolgenminderung ist der Fahrradhelm absolut sinnvoll. Daran besteht kein Zweifel. Die schwersten Verletzungen sind Kopfverletzungen, und auch bei den tödlich verunglückten Radfahrern ist der Kopf die Hauptverletzungsregion. Juristisch ist eine Helmpflicht aber nicht so einfach durchsetzbar.
Es gibt also keine Helmpflicht – auch nicht für Diensträder?
S. Brockmann: Eine Helmpflicht gibt es für Fahrräder nicht, das ist auch bei Dienstfahrrädern nicht anders.
Wo liegen die Hürden?
S. Brockmann: Schon 2011 hatte sich eine Arbeitsgruppe des Landes Thüringens, das seinerzeit eine Helmpflicht einführen wollte, mit dieser Frage beschäftigt. Die Juristen kamen zu dem Ergebnis, dass eine Helmpflicht unvereinbar mit der Verfassung ist, weil es einen Eingriff in das Recht auf freie Entfaltung bedeutet. Es geht bei der Helmpflicht nicht um den Drittopferschutz, sondern um den Schutz des Einzelnen. In dem Fall liegen die Hürden für eine Beschneidung der Persönlichkeitsrechte besonders hoch.
Wäre hier der Verweis auf die Gurtpflicht im Auto passend?
S. Brockmann: Da reden wir von anderen Zahlen. Nach Einführung der bußgeldbewährten Gurtpflicht gab es 1.500 Verkehrstote weniger pro Jahr. Auf der anderen Seite sprechen wir von gut 400 getöteten Radfahrern insgesamt. Und wir wissen nicht, wie viele von ihnen an Kopfverletzungen gestorben sind und wie oft ein Helm dies hätte verhindern können. Deshalb wäre eine generelle Helmpflicht für Radfahrer unverhältnismäßig. Es ist nicht mein Argument, sondern das der Juristen.
Wie gut kann ein Helm schützen?
S. Brockmann: Bis zu einer Geschwindigkeit von etwa 25 km/h hat er eine gute Schutzwirkung. Und wenn man weiß, dass zwei Drittel aller Radfahrunfälle innerorts an Kreuzungen und Einmündungen passieren, wo Fahrzeuge tendenziell langsam unterwegs sind, ist ein Helm in den meisten Fällen ein sinnvoller Schutz.
Die Zahl der Verkehrstoten sinkt beständig, warum merkt man dies bei den Fahrradfahrern nicht?
S. Brockmann: Es sind schlicht mehr Menschen mit dem Fahrrad unterwegs, auch viele Unerfahrene. Aufgrund von Corona gibt es einerseits viele Umsteiger aus dem öffentlichen Nahverkehr. Dazu kommen seit längerem schon vermehrt Senioren, die Pedelecs nutzen und damit noch ungeübt sind. Und mehr Verkehr bedeutet zwangsläufig mehr Unfälle, deshalb ist der Vergleich mit dem Gesamttrend auch wenig sinnvoll. Sie dürfen nicht vergessen, dass sich beispielsweise in Berlin die Zahl der Menschen, die das Fahrrad nutzen, um 20 Prozent erhöht hat. Gemessen an der gestiegenen Radverkehrsquote fällt der Anstieg der Unfallzahlen sogar eher moderat aus.
Mit strukturellen Problemen hat der Anstieg nichts zu tun?
S. Brockmann: Doch, natürlich auch. Die strukturellen Probleme gab es aber schon vorher, sie treten jetzt nur noch stärker zutage. Die gestiegenen Unfallzahlen zeigen deutlich, dass die Kommunen mit dem Ausbau der Fahrradinfrastruktur hinterherhinken. Wir brauchen mehr Investitionen für neue Radwege und müssen gleichzeitig auch den Park- und Kreuzungsverkehr neu ordnen. Ohne die Lösung dieser Hauptkonfliktpunkte wird es nicht gelingen, den Radverkehr sicherer zu machen.
Siegfried Brockmann, geboren 1959, ist Leiter der Unfallforschung der Versicherer. Brockmann ist gelernter Kraftfahrzeugmechaniker und hat politische Wissenschaften in Berlin studiert. Im Jahr 1998 übernahm er die Kommunikation für den Bereich Schaden- und Unfallversicherung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Seit 2006 ist er Leiter der Unfallforschung.