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Feuer auf der Goldwaage

01.02.2021 06:00 Uhr

Was glauben Sie, welche Schlagzeile liest sich besser: "Neuer Elektro-Transporter ausgebrannt" oder "Alter Sprinter fängt Feuer"? Die Antwort liegt auf der Hand und droht gleich das Bild zu verzerren.

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Es ist Dienstag, der 28. Juli 2020. Ort: die Landstraße 90 im Brandenburger Havelland. Hier reiht sich Acker an Acker, nur ab und an fährt man durch kleine Ortschaften. Zwischen den Weilern Schmergow und Phöben steht ein verkohlter Audi e-tron am Straßenrand. Die Fahrerin, 19 Jahre alt, war mit dem Elektroboliden in einen Baum gekracht. Der Wagen fing Feuer. Sie starb. Ein Tag, an dem in Deutschland mal wieder diskutiert wird: Wie sicher sind Elektroautos tatsächlich?

Auch im Lkw- und Transporterbereich schicken sich die Hersteller an, langsam, aber sicher elektrisch betriebene Fahrzeuge auf die Straßen zu bringen. Wir wollen wissen: Wie sicher sind die Gefährte mit Batterie wirklich und was steckt hinter den ganzen Mythen - vom Stromschlag bis hin zur explodierenden Batterie? Eine Recherche mit einigen Überraschungen.

Nachfrage bei der Feuerwehr

Die Frage nach der Sicherheit musste auch Frank Hüsch von der Landesfeuerwehrschule in Baden-Württemberg unzählige Male beantworten. Hier werden unter anderem die Gruppenführer ausgebildet, ohne die ein Feuerwehrauto hierzulande überhaupt erst gar nicht ausrücken darf. Jedes Jahr, so Hüsch, gibt es zwei Schulungen, die sich dem Thema E-Mobilität widmen. Allein 2020 habe es schon rund 1.000 Teilnehmer gegeben. "Wir gehen davon aus, dass die Dunkelziffer noch höher ist, weil einige Feuerwehren die Schulung in ihrer Wache gezeigt haben", sagt der Experte. In den Seminaren lernen die Teilnehmer, wie ein E-Auto richtig gelöscht wird und welche Gefahren dabei lauern. Hier ploppt auch einer der größten Mythen rund um Elektrofahrzeuge immer wieder auf: die Gefahr eines elektrischen Schlages.

"Es ist physikalisch nahezu ausgeschlossen, einen Stromschlag zu bekommen, selbst wenn das Auto unter Strom steht", erklärt Hüsch. Grund dafür sei, "dass das Fahrzeug kein Potenzial gegen die Erde, anders als beispielsweise ein Haus", habe."Selbst wenn die Karosserie unter Spannung stehen würde, könnte der Strom nicht über den Körper abfließen, weil es keine richtige Erdung gibt." Diese Feststellung sei sehr wichtig, insbesondere auch für Ersthelfer, die an eine Unfallstelle kommen.

Aber es gibt noch viele weitere Vorurteile, die dem Elektromobil vorauseilen. Beispielsweise, dass die Karosserie viel instabiler sei als bei herkömmlichen Autos. Zu diesem Zweck klopfen wir bei der Dekra-Unfallforschung an. Hier werden seit 2012 E-Fahrzeuge absichtlich mit hoher Geschwindigkeit in Hindernisse gerammt, um zu sehen, wie sich die Schadensbilder gestalten. Markus Egelhaaf hat die Tests betreut und sagt: "Elektroautos sind genauso sicher wie herkömmliche Verbrennerfahrzeuge. Das ist das Ergebnis unserer Crashtests und der Erfahrungen aus dem Unfallgeschehen. Bei einem seitlichen Aufprall, beispielsweise auf einen Baum, ist ein E-Fahrzeug gegebenenfalls sogar etwas im Vorteil, weil durch die Batterie im Unterboden die Fahrzeugseite versteift ist. Dadurch ist die Eindringtiefe des Objektes etwas geringer als bei einem Benziner oder Diesel." Auch die Brandgefahr des Akkus wurde bei Dekra untersucht - mit einem spannenden Ergebnis.

Als man 2012 mit den Untersuchungen begonnen hatte, wollte man ein herkömmliches Elektrofahrzeug in Flammen setzen. "Am Ende ist uns das Auto komplett abgebrannt, bevor die Batterie gebrannt hat. Das zeigt, wie sicher das System dahinter ist", urteilt Egelhaaf. Es müsse "sehr viel passieren, damit eine Fahrzeugbatterie anfängt zu brennen". Dafür bräuchte es entweder ein Versagen des Lademanagements oder eine mechanische Beschädigung. Beides sei dank des großen Forschungsaufwandes hinter der Technologie sehr unwahrscheinlich.

Kunststoff- oder Airbag-Brände

Und trotzdem gibt es Videos, die beweisen, dass E-Autos durchaus in Flammen aufgehen können. Ob dabei immer die Batterie betroffen ist, ist eine andere Frage. Auch Kunststoffe brennen imposant. Und auch wenn Bauteile des Airbags verpuffen, kann das schon mal knallen. Sollte es wirklich mal zum äußerst seltenen Fall eines Batteriebrandes kommen, ist Geduld gefragt.

"Man braucht für Batteriebrände einfach mehr Löschwasser", erklärt Hüsch von der Landesfeuerwehr Baden-Württemberg. "Das Problem ist, dass die Zellen eingehaust sind. Sie können sich das so vorstellen: Bei einem Haus brennt im Inneren der Dachstuhl und wir spritzen das Löschwasser nur oben auf die Dachziegel. Das braucht viel Wasser und viel Zeit. So ist das bei einem brennenden Akku auch." Oft werden Pkw dann in einem großen Container voll Wasser versenkt und 24 Stunden darin gelassen. Das geht bis zum Transporter vielleicht, bei einem Lkw aber nicht mehr. Mittlerweile gibt es Hilfsmittel wie die Löschlanze, die manuell in die Batterie gerammt wird und so das Wasser direkt in den Brandherd pumpt. Die ersten Erfahrungen bei Dekra zeigen schnelle Wirkung.

Hersteller sehen es anders

Die Hersteller wiederum sind nicht zwingend begeistert von diesem Hilfsmittel. Anton Müller ist leitender Entwickler bei MAN und rät davon ab, die Löschlanze zu verwenden. "Wir haben mehrere Tests mit unserem elektrischen Stadtbus gemacht mit dem Ergebnis, dass es besser ist, die Batterie nur zu kühlen", erklärt er. "Beim Fluten mit der Löschlanze kommt es in kurzer Zeit zu vielen Kurzschlüssen - die Energie muss dann irgendwo hin." Das heißt: Das Löschwasser verdampft augenblicklich - eine potenzielle Gefahr für die Einsatzkräfte.

Müller selbst ist unter anderem in der Entwicklung der elektrischen Architektur der Fahrzeuge tätig und erklärt, wie viel Sicherheit in einem Fahrzeugakku steckt: "Wir betreiben bei der Sicherheit der Batterien einen sehr großen Aufwand." Bei einem Crash wird durch verschiedene Mechanismen wie Schmelzsicherungen der Stromkreislauf schnell unterbrochen. Insgesamt schätzt der Experte die Sicherheit eines E-Autos sogar höher ein als die eines Verbrenners, da der Aufwand hinter den Schutzsystemen deutlich größer sei. Die Hersteller könnten es sich auch nicht leisten, Fehler zu machen, da jeder Brand auf die Goldwaage gelegt werde.

Fazit

Wir stellen fest: An Elektroautos bekommt man keinen Schlag, die Karosserie ist stabil und einen Akku zum Brennen zu bringen, ist verdammt schwierig. Und trotzdem wird jedes brennende E-Auto kritisch beäugt. Das liegt in der Natur des Menschen. Die Elektromobilität zeigt uns gewissermaßen, wie viel wildes Tier noch in uns steckt. Wir sind scheu, kritisch und flüchten vor dem Unbekannten. Unfallexperten und Hersteller locken uns aber immer mehr mit der süßen Versuchung der emissionsfreien Fortbewegung. In wenigen Jahren fressen wir aus der Hand und lassen uns vielleicht sogar streicheln.

Serie: Brandgefahr E-Mobil

Teil 1: Brand auf der AutobahnTeil 2: Wie sich die Feuerwehr vorbereitetTeil 3: Schadengutachten

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