Fragen zur Produkthaftung
Die Produkthaftung ist für viele ein mehr oder weniger unverständlicher Fachbegriff. Entsprechend unsicher ist der Umgang mit Ansprüchen aus der Produkthaftung. Er betrifft die Haftung für Körper-, Gesundheits- und Sachschäden, die durch ein fehlerhaftes Produkt verursacht worden sind. Schadensersatzfähig sind innerhalb der Produkthaftung nur die Folgeschäden, die aus der Benutzung eines fehlerhaften Produkts entstehen, nicht aber Schäden an der fehlerhaften Sache selbst.
Häufig wird in erhitzten Diskussionen über Mängel am Fahrzeug, über ein Verschulden des Herstellers und Ansprüchen aus der Produkthaftung gestritten, meist jedoch völlig verfehlt. Richtig ist insoweit nur, dass die Haftung in aller Regel den Hersteller des Produkts trifft. Die Haftung kann unter Umständen auch den Vertriebshändler oder den Importeur treffen.
Das Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG) regelt die Haftung für durch fehlerhafte Produkte entstandene Schäden. Es haften der Hersteller und ihm gleichgestellte Personen ohne Rücksicht auf ein etwaiges Verschulden. Bei Sachschäden besteht eine Haftung jedoch nur, wenn eine andere Sache als das fehlerhafte Produkt selbst beschädigt wird und diese andere Sache ihrer Art nach gewöhnlich für den privaten Gebrauch bestimmt ist.
Keine dritte Anspruchsmöglichkeit für unzufriedene Kunden
Für Schäden am Fahrzeug kommt somit die Produkthaftung nicht in Betracht. Reparaturkosten, die dadurch entstehen, dass ein Produkt mangelhaft ist, werden üblicherweise ausschließlich innerhalb der gesetzlichen Sachmängelhaftung bei Kaufverträgen oder einer Herstellergarantie ersetzt. Die Produkthaftung ist gerade keine dritte Anspruchsmöglichkeit für unzufriedene Kunden. Sind die Sachmängelfrist oder Garantiefrist erst einmal abgelaufen, kann der Kunde nur noch darauf vertrauen und hoffen, dass der jeweilige Fahrzeughersteller die üblichen Reparaturkosten des mangelhaften Produktes selbst auf Kulanz- und damit freiwilliger Basis ganz oder teilweise übernimmt.
Schadensersatzansprüche nach § 1 ProdHaftG setzen unter anderem voraus, dass ein fehlerhaftes Produkt im Sinne von § 3 ProdHaftG vorliegt, eines der in § 1 ProdHaftG genannten Rechtsgüter verletzt wurde und ein Ursachenzusammenhang zwischen dem Produktfehler und der Rechtsgutsverletzung besteht.
Einen Fehler in diesem Sinne hat ein Produkt, wenn es nicht die Sicherheit bietet, mit der unter Berücksichtigung seines üblicherweise erfolgenden Gebrauchs und des Zeitpunkts, zu dem es in den Verkehr gebracht wurde, zu rechnen ist. Hinsichtlich der Erwartungshaltung an ein Produkt ist darauf abzustellen, was ein durchschnittlicher Benutzer des Produkts objektiv erwartet.
Bei Sachschäden muss eine andere als die fehlerhafte Sache selbst beschädigt worden sein. Damit ist ein Schadensersatzanspruch ausgeschlossen, wenn sich die Sache selbst beschädigt oder zerstört, auch wenn zuerst nur ein einzelnes Produktteil fehlerhaft war. Diese Einschränkung geht weiter als die innerhalb der deliktischen Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze der Stoffgleichheit.
Im Gegensatz zur Haftung nach dem ProdHaftG muss der Hersteller nach § 823 Abs. 1 BGB unter bestimmten Umständen auch für Schäden an der Sache selbst haften. Typisches Beispiel ist die Verletzung der Produktbeobachtungspflicht.
Für die fehlerhaft hergestellte Sache selbst wird nach dem ProdHaftG überhaupt nicht gehaftet.
Was die Beweislastverteilung angeht, so trägt der Geschädigte die Beweislast für den Fehler, den Schaden und (!) den ursächlichen Zusammenhang zwischen Fehler und Schaden.
Der Umfang der deliktischen Haftung nach § 823 BGB ist weiter gefasst als die verschuldensunabhängige Haftung nach dem ProdHaftG. Auch im Rahmen von § 823 BGB gilt der Grundsatz, dass die Haftung nicht für das fehlerhafte Produkt selbst, sondern nur für Folgeschäden gilt.
Von diesem Grundsatz gibt es allerdings Ausnahmen, so zum Beispiel den Fall eines Herstellungsfehlers, bei dem die Sache an sich einwandfrei ist und lediglich ein „funktional begrenztes schadhaftes Teil, dessen Wert gegenüber dem Gesamtwert der Sache gering ist, die übrige Sache beschädigt“ (so schon BGH NJW 1978, 2241). In diesem vom BGH entschiedenen Fall kam es zu einem Unfall, weil ein unvorschriftsmäßiger Reifen geplatzt war, sodass Unfall und Schaden am Fahrzeug auf diesen Fehler zurückzuführen waren. Der Reifen stellte, so der BGH, eine funktionell abgrenzbare Sache dar, die die „Gesamtsache“ Kfz beschädigte.
Innerhalb der Produkthaftungsansprüche wird in dieser Fallkonstellation auch nicht der Schaden an der mangelhaften Sache selbst, nämlich dem Reifen, ersetzt. Dieser kann nur über die erwähnte Sachmängelhaftung geltend gemacht werden. Über die Produkthaftung kann nur der Schaden am sonstigen Fahrzeug, an eventuell mit betroffenen anderen Fahrzeugen und der etwaige Personenschaden ersetzt verlangt werden.
Treten also nach Ablauf der Gewährleistungsfrist beziehungsweise der Sachmängelhaftungsfrist (zwei Jahre) technische Schäden am Fahrzeug selbst auf, ist dies grundsätzlich kein Fall der Produkthaftung, da kein darüber hinausgehender Schaden verursacht wurde.
Doch auch hier gibt es wiederum Ausnahmen, die die Rechtsprechung zugelassen wissen will. So hat das OLG Köln einen Motorschaden, der auf ein fehlerhaftes Ventil zurückzuführen war, als Fall der Produkthaftung angesehen und dabei auf den geringen Kostenaufwand für die Reparatur des Ventils im Verhältnis zum Motorschaden abgestellt.
Hinter dieser fragwürdigen Entscheidung steckt die Diskussion darum, ob bei Schäden an relativ großen und damit teuren Bauteilen Produkthaftungsgrundsätze angewendet werden können, wenn die Schäden durch kleine, relativ geringwertige Bauteile verursacht wurden. Bislang ging die Rechtsprechung von dieser Annahme aus.
Wie brisant diese Frage ist, verdeut-licht der Fall eines gerissenen Zahnriemens, der gleich zu einem kapitalen Motorschaden führt.
Gefahrlose Verwendung ist Pflicht des Herstellers
Zurück zur Produkthaftung und den Pflichtbereichen des Herstellers: Dieser ist verpflichtet, die Sache so zu konstruieren, dass der durchschnittliche Benutzer sie gefahrlos verwenden kann.
Der Hersteller eines Fahrzeugs macht sich schadensersatzpflichtig, wenn infolge einer (schuldhaft) mangelhaften Herstellung die Betriebssicherheit beeinträchtigt ist und dadurch der Benutzer oder ein Dritter zu Schaden kommt. Den Hersteller trifft auch nach dem Inverkehrbringen seines Produkts eine „Produktbeobachtungspflicht“. Er muss die im Wege der Beobachtung gewonnenen Erkenntnisse konsequent umsetzen und so Gefahren vermeiden.
Was die Beweissituation anbelangt, so hat der Geschädigte zu beweisen, dass das vertriebene Produkt einen Fehler hatte, und zwar schon zu dem Zeitpunkt, als es ausgeliefert wurde. Es gibt hier zwar einige Erleichterungen für den beweispflichtigen Geschädigten, wie beispielsweise Anscheinsbeweise. Dennoch muss der Geschädigte hier Beweise sammeln.
Dr. Michael Ludovisy
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Einschränkung der Abrechnung fiktiver Reparaturkosten
Wird bei einem Verkehrsunfall ein acht Jahre altes Fahrzeug beschädigt, das der Halter in den letzten Jahren selbst instand gehalten hat, kann er nicht fiktive Reparaturkosten einer markengebundenen Fachwerkstatt abrechnen, wenn ihn der Schädiger auf eine mühelos erreichbare, gleichwertige und preiswertere Werkstatt hingewiesen hat. Insoweit hätte er auch keine Möglichkeit, sein Fahrzeug etwa als „scheckheftgepflegt“ weiterzuverkaufen.
LG Münster, Aktenzeichen 8 S 165/09, NZV 2010, 251
Verweis auf gleichwertige günstigere Fachwerkstatt
Der Schädiger kann innerhalb der fiktiven Schadensabrechnung bei einem acht Jahre alten Fahrzeug den Geschädigten hinsichtlich der Reparaturkosten auf eine andere, konkret benannte Fachwerkstatt verweisen, wenn die Reparatur gleichwertig ist. Die Darlegungen des Schädigers, dass die Reparatur in der alternativen Werkstatt mit einer markengebundenen Fachwerkstatt gleichzusetzen ist, muss der Geschädigte konkret widerlegen.
AG Ludwigsburg, Aktenzeichen 1 C 1003/09, VRR, 2010 107
Bagatellisierung von Vorschäden bei der Schadensmeldung
Gibt ein Versicherungsnehmer in der Schadensmeldung bei seinem Kaskoversicherer einen erheblichen Vorschaden bewusst nur als „Lackschaden“ an, so führt dies wegen Arglist zu dessen Leistungsfreiheit. Für die bagatellisierende Angabe gibt es vernünftigerweise keine andere Erklärung, als dass der Versicherungsnehmer bei dem Versicherer bewusst einen falschen Eindruck über den Umfang des Vorschadens hervorrufen und damit zu seinen Gunsten auf die Regulierungsentscheidung Einfluss nehmen wollte.
OLG Düsseldorf, Aktenzeichen 4 U 143/08, VR Kompakt 2010, 27
Kein Versicherungsschutz bei Abweichen vom eigentlichen Weg
Weicht eine Person vom üblichen Weg von der Arbeitsstätte nach Hause oder auf einer Dienstreise zum Hotel ab, ohne dass hierfür ein Grund feststellbar ist, so besteht für einen Unfall, der sich auf dem „Umweg“ ereignet, kein Versicherungsschutz aus der Unfallversicherung nach § 8 II Nr. 1 SGB VII. „Umweg“ bedeutet das Einschieben eines zusätzlichen Weges in die eigentliche Wegstrecke, wobei die Zielrichtung Arbeitsstätte/Wohnung nicht eingehalten wird, sondern von diesem Ziel weg oder über dieses hinaus führt, sodass der Versicherte, um das Ziel zu erreichen, typischerweise an den Ausgangspunkt des Umweges zurückkehren muss.
LSG München, Aktenzeichen L 2 U 213/08, ADAJUR-ARCHIV
Abweichung vom üblichen Weg aufgrund einer Fahrgemeinschaft erlaubt
Der Fahrer einer Fahrgemeinschaft verliert nicht dadurch seinen Unfallversicherungsschutz, dass er eine Person zu dessen Zielort bringt, um dann zu einer anderen Person zu fahren, um mit dieser eine weitere Fahrgemeinschaft zu bilden. Im verhandelten Fall setzte ein Schüler seinen Bruder auf dem Weg zur Schule mit dem Motorrad vorzeitig ab, fuhr anschließend in entgegengesetzter Richtung zurück, um einen anderen Schulfreund abzuholen, und verunfallte auf diesem Weg. Zum Unfallzeitpunkt war er auch einer versicherten Tätigkeit nachgegangen. Ein versicherter Arbeitsunfall lag somit vor.
BSG, Aktenzeichen B 2 U 36/08 R, ADAJUR-Archiv
Reduzierung der Geschwindigkeit bei Umschalten von Fern- auf Abblendlicht
Beim Umschalten von Fern- auf Abblendlicht muss die Geschwindigkeitsanpassung so rechtzeitig abgeschlossen sein, dass der Fahrer außerhalb des zuvor durch das Fernlicht ausgeleuchteten Bereichs rechtzeitig vor einem Hindernis auf seiner Fahrbahn anhalten kann. Ein Kraftfahrer darf nur so schnell fahren, dass er innerhalb der überschaubaren Strecke rechtzeitig vor einem Hindernis auf seiner Spur zum Stehen kommt. Muss länger mit Abblendlicht gefahren werden, braucht er nicht sofort im Augenblick des Abblendens seine Geschwindigkeit auf das durch die geringere Reichweite der abgeblendeten Scheinwerfer bedingte Maß herabzusetzen, etwa durch scharfes Bremsen. Vielmehr genügt es, wenn er bis zum Ende der vorher ausgeleuchteten Strecke seine Geschwindigkeit – allmählich – so weit reduziert hat, dass er nunmehr innerhalb der Reichweite der abgeblendeten Scheinwerfer anhalten kann.
OLG Köln, AZ 1 RVS 71/10, ADAJUR ARCHIV
StVO gilt auf Parkplätzen nur bei Straßencharakter der Fahrspuren
Fahrspuren auf Parkplätzen dienen grundsätzlich nicht dem fließenden Verkehr, sodass sie – vorbehaltlich der Umstände des Einzelfalls – keine Vorfahrt gewähren und auch § 10 StVO nicht gilt, sondern alle Fahrzeugführer zur gegenseitigen Rücksichtnahme nach § 1 StVO verpflichtet sind. Anders jedoch, wenn die angelegten Fahrspuren zwischen den Parkplätzen eindeutig Straßencharakter haben und sich aus ihrer baulichen Anlage ergibt, dass sie nicht dem Suchen von Parkplätzen dienen, sondern der Zu- und Abfahrt der Fahrzeuge. Im Übrigen ist stets auf die gesteigerte Sorgfaltspflicht und die Verpflichtung zur gegenseitigen Rücksichtnahme nach § 1 StVO zu achten.
KG, Aktenzeichen 12 U 233/08, ADAJUR-Archiv
Sofortige Notwendigkeit eines Fahrzeugs: Unfallersatztarif gerechtfertigt
Hat ein Handwerker vor dem Unfall eine Lieferung vereinbart, die er kurz nach dem Unfall erledigen muss, und benötigt er dazu ein bestimmtes Fahrzeug, kann er den Unfallersatztarif ersetzt verlangen. In diesem Fall kann der Geschädigte nachweisen, dass ihm unter Berücksichtigung seiner individuellen Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie der gerade bestehenden Schwierigkeiten unter zumutbaren Anstrengungen auf dem in seiner Lage zeitlich und örtlich relevanten Markt kein wesentlich günstigerer (Normal-)Tarif zugänglich war.
OLG München, Aktenzeichen 10 U 4076/09, ADAJUR-Archiv
Sachmangel eines Vorführwagens bei Kraftstoffmehrverbrauch
Eine Abweichung von 6,6 Prozent vom Durchschnittsverbrauch laut Angaben des Herstellers respektive Verkäufers in einem Verkaufsprospekt für Neuwagen begründet auch bezüglich Vorführwagen einen Minderungsanspruch wegen eines Sachmangels. Zur Beschaffenheit gehören auch Eigenschaften, die der Käufer nach den öffentlichen Äußerungen des Verkäufers oder des Herstellers erwarten kann (§ 434 I S.3 BGB). Hierzu zählen beim Kauf auch die Angaben über den Verbrauch. Unerheblich ist, dass der Prospekt sich lediglich auf Neufahrzeuge bezieht.
AG Michelstadt, Aktenzeichen 1 C 140/09, ASR 2010, 1
- Ausgabe 7/2010 Seite 62 (393.1 KB, PDF)