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Wunsch und Wirklichkeit

07.06.2021 06:00 Uhr

Im Autohaus klingt schnelles Laden vollmundiger, als es dann an der Ladesäule vonstatten geht. Welche der E-Modelle dennoch für die Langstrecke taugen, hat P3 Automotive ermittelt.

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Wer heute als Außendienstmitarbeiter vollelektrisch mehrere Kundentermine am wieder mal viel zu langen Arbeitstag lokal emissionsfrei realisieren will, ist meist eher im oberen Management angesiedelt. Denn die Stromer, mit denen ein Pensum von drei-, vier- oder gar fünfhundert Kilometern am Tag ohne zeitraubendes Zwischenladen möglich ist, dürften in den meisten Car Policies eben jener Personen-Gruppe vorbehalten sein.

Für die Langstrecke sieht es noch mauer aus, aber auch hier gibt es mittlerweile E-Modelle, die jenem Ideal nahekommen, das die internationale Unternehmensberatung P3 Automotive mittels des "P3 Charging Index" skizziert. Das Ziel lautet: Mit einem möglichst vollen Akku losfahren und nach gut 300 Kilometern Fahrt binnen 20 Minuten die Batterie so voll zu bekommen, dass weitere 300 Kilometer möglich sind. Diesem nach heutigen Maßstäben Traumzustand weisen die P3-Ingenieure dem Indexwert 1,0 zu. Die ersten vier platzierten Stromer im diesjährigen Ranking erreichen diese Aufgabe zu 72 bis 88 Prozent (siehe S.12). Gar nicht schlecht.

Dass dabei mit der eben vollelektrifizierten S-Klasse und dem bislang leisesten Porsche überhaupt, dem Taycan, zwei Stromer aus dem ganz oberen Preisregal vorn dabei sind, überrascht nicht. Deutlich budgetfreundlicher sind Teslas Model 3 als Long-Range-Version sowie der ID.3 von VW als Pro S, die zwischen dem Stuttgarter-Duo Platz nehmen.

Volle Ladeleistung nur kurz

Doch nochmal zurück zum Grundproblem: "Die vom Hersteller versprochene maximale Ladeleistung wird oft nur kurz abgerufen und in der Regel selten im Realeinsatz erreicht", bestätigt Christian Daake, Lead Interoperability Testing bei P3 Automotive. "Deshalb haben wir nun den Realverbrauch als zweite Dimension in den Index aufgenommen, um die reale nachgeladene Reichweite vergleichen zu können". So sind beispielsweise beim ID.3 und ID.4 die Batterie-Packs die gleichen, aber das SUV ID.4 fährt eben baureihenbedingt mit einem höheren Verbrauch durch das virtuelle Testing. Die gleiche Ladeleistung sorgt dann eben für weniger real fahrbare Kilometer.

Früh am Thema dran

Für den Index braucht es also realistische Angaben zu den einzelnen Protagonisten. Zum einen die Verbrauchswerte, die man der Objektivität wegen dem ADAC Ecotest entnahm, und zum zweiten die Ladekurven am Schnelllader, deren Ermittlung zum Brot-und-Butter-Geschäft der P3 Automobilberater gehört. 2012 war P3 Partner bei der ersten Ladeabsicherung für einen deutschen Automobilhersteller. So beschäftigt man sich in Stuttgart, Wolfsburg, München und Düsseldorf seit fast einer Dekade mit der Frage: Wie kann ich ein E-Auto laden?

"Dabei sind jene Ladekurven herausgekommen, mit denen wir uns heute noch auseinandersetzen", erzählt der Managing Director E-Mobility, Markus Hackmann, im Gespräch und ergänzt: "Neben den Ladekurven von verschiedenen E-Fahrzeugen an unterschiedlichen Ladesäulen können wir sehr früh einschätzen, wie sich jene Ladekurve für ein neues Modell darstellen wird." Deshalb findet auch der EQS bereits seinen Platz im Charging-Index.

Verfügbare Serienfahrzeuge werden live getestet, dabei wird ein Schnelllader mit bis zu 350 kW Leistung verwendet. Der Proband wird vorher kurz eingefahren, damit, wie Daake berichtet, die Batterie auf Betriebstemperatur ist. Das Ergebnis sind Ladezeit und Ladeleistung abgetragen auf der Ladekurve. "Diese reproduzieren wir dann an unterschiedlichen Ladesäulen unserer Kunden, um ihnen eine Einschätzung zu geben, wo sie besser werden können", umreißt Hackmann eine der wichtigsten Aufgaben des Experten-Teams.

Ladeperformance vom Auto

Bleibt die Frage: Welches der E-Modelle hält am längsten seine Ladeleistung und verbraucht real dann so wenig, dass mit einem Ladestopp von 20 Minuten maximal 600 Fahr-Kilometer möglich wären? Die Ladeperformance steuert laut P3 in erster Linie das Fahrzeug. Der Zustand der Batterie, die durch den Stromfluss entstehende Wärme sowie die Außentemperatur sind Merkmale, auf die das E-Auto reagiert und den Kilowatt-Zähler an der Ladesäule nach oben oder unten treibt. Hier entsteht dann jenes Gefühl, man bekomme nicht die Ladeleistung, die beim Kauf versprochen wurde.

So wirbt beispielsweise Porsche beim Taycan mit einem Maximum von 270 kW Ladepower, die laut der P3-Analyse realistisch im Durchschnitt eher 184 kW sind. Der Zuffenhausener agiert dabei als einziger im Test-Feld mit 800 Volt Bordnetzspannung. Der EQS von Mercedes-Benz greift noch auf 400 Volt zurück und managt im Schnitt 164 kW. Der Audi e-tron sowie das Model 3 von Tesla landen bei Durchschnitts-Energieflüssen von jeweils 146 kW.

Wichtig zu betonen ist, dass dies Durchschnittswerte sind, denn die Ladekurven der einzelnen Modelle zeichnen recht unterschiedliche Graphen mit Höhen und Tälern. Tesla startet zum Beispiel dank der vor ab wohl temperierten Batterien auf einem sehr hohen Niveau von 250 kW - bevor die Kurve fast linear abfällt.

Zwei Phasen der Ladeleistung

Da generell die Batteriekapazitäten der E-Autos gewachsen sind - und damit zehn Prozent Restakku den Fahrer heute tendenziell weiterbringen als noch vor zwei Jahren - und sich gleichzeitig die Infrastruktur der Schnelllader verbessert hat, passte das P3-Team das Ladefenster an, in dem geladen wird. Statt von 20 bis 80 Prozent der Kapazität wird erst bei zehn Prozent Restkapazität (State of Charge, SoC) der Stecker gesteckt (siehe Grafik S. 11).

Die fahrzeugabhängigen Ladekurven lassen sich dann auch an der Betrachtung der ersten und der zweiten zehn Lademinuten nachzeichnen. So lädt beispielsweise das Model 3 laut P3 in den ersten zehn Minuten Energie für 149 Fahr-Kilometer, ab Minute elf bis Minute zwanzig kommen nur noch 72 Kilometer hinzu. Beim Audi e-tron 55 sind beide Anteile wiederum fast gleich groß (92 und 95 km). Am Ende steht aber der EQS mit 266 geladenen Fahr-Kilometern und einem Indexwert von 0,88 ganz oben. Es folgen danach der Tesla (221 km/0,74), ID.3 (220 km/0,73) und der Taycan Turbo S (217 km/0,72).

Wenn nun beispielsweise Hyundai-Flottenchef Tobias Krumnikl im Autoflotte-Interview darauf hinweist, dass der Ioniq 5 dank der 800-Volt-Technik von zehn auf 80 Prozent Akkustand binnen 18 Minuten kommen soll, wird dies auch bei P3 registriert. "Mit der 800-Volt-Technik kann man deutlich schneller laden, deshalb werden diese Fahrzeuge speziell für Vielfahrer auf der Langstrecke ein interessantes Produkt werden. Neue Fahrzeuge mit dieser Bordnetz-Architektur wie der Kia EV6 oder der Audi e-tron GT werden sich mit hoher Wahrscheinlichkeit in den Top 5 des P3 Charging Index einsortieren können", prognostiziert Daake. Stromernde Außendienstmitarbeiter werden dies sicherlich genau beobachten.

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