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Die Zukunft der Mobilität

01.02.2022 06:00 Uhr

Von der Autoindustrie wird vollmundig davon gesprochen, dass Deutschland eine Führungsrolle beim autonomen Fahren einnehmen soll. Helfen soll dabei das Gesetz zum autonomen Fahren.

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Aussagen aus dem Verkehrsministerium sprechen beim autonomen Fahren von einem Riesenschritt in Richtung Zukunft. Ein neues Gesetz soll den Weg freimachen, um selbststeuernde Fahrzeuge regulär auf die Straße zu holen - als erstes Land weltweit. Damit setze man internationale Standards. Doch was ist wirklich dran?

Was ist autonomes Fahren?

Ungeachtet der Fragen nach der Notwendigkeit autonomen Fahrens und des Wollens der Bevölkerung ist das Gesetz zum autonomen Fahren derzeit (nur) eine Übergangslösung, bis es international harmonisierte Regelungen geben wird. Richtig scheint aber zu sein, dass sich Deutschland in diesem Thema selbst als Innovationstreiber sieht. Dabei steht zu befürchten, dass sich der interessierte Bürger unter autonomem Fahren etwas anderes vorstellt als derzeit der Gesetzgeber. Traumartige Bilder von Fahrzeuginsassen, die abgewendet von Verkehr und Fahrtrichtung die Reise genießen, dürften noch lange im Reich der Träume bleiben.

Die Realität hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zum autonomen Fahren und den damit verbundenen Änderungen des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) und dem Pflichtversicherungsgesetz (PflVG) geschaffen (BGBl I 2021, 3108 ff). Das Gesetz ist am 28. Juli 2021 in Kraft getreten. Kernaussage ist, dass der Betrieb eines Kfz mittels hoch- und vollautomatisierter Fahrfunktionen dann zulässig ist, wenn die Funktion bestimmungsgemäß verwendet wird. Dies führt sofort zu der alten Frage, wer das Fahrzeug "führt", die Maschine oder der Mensch?

Zunächst, was bedeutet "Fahrzeug mit (voll-)automatisierter Fahrfunktion"? Die Fahrzeugsteuerung muss die jeweilige Fahraufgabe bewältigen können. Dazu zählt selbstverständlich die Längs- und Querführung. Während dieser Fahrzeugsteuerung (durch die Maschine) müssen alle an die Fahrzeugführung (den Menschen) gerichteten Verkehrsregeln eingehalten werden können. Alle Funktionen der Maschine müssen vom Menschen manuell übersteuert werden können. Die Maschine muss jeweils die Notwendigkeit zur Übernahme der Fahrzeugsteuerung durch den Menschen eigenständig erkennen und die Abgabe der Steuerung in einem risikolosen Zeitfenster ermöglichen; also frühzeitig warnen und einleiten.

Verantwortung hat der Mensch

Damit wird eine weitere Kernaussage deutlich. Als Fahrzeugführer gilt derjenige, der eine hoch- oder vollautomatische Fahrfunktion im Sinne des Gesetzes verwendet, auch wenn er im Rahmen einer bestimmungsgemäßen Verwendung der Fahrzeugfunktionen das Fahrzeug gerade nicht eigenhändig "steuert". Verantwortlich ist und bleibt also immer der im rechtlichen Sinne fahrzeugführende Mensch. Der neue § 1b StVG bestimmt:

(1) Der Fahrzeugführer darf sich während der Fahrzeugführung mittels hoch- oder vollautomatisierter Fahrfunktionen gemäß § 1a vom Verkehrsgeschehen und der Fahrzeugsteuerung abwenden; dabei muss er derart wahrnehmungsbereit bleiben, dass er seiner Pflicht nach Abs. 2 jederzeit nachkommen kann.

(2) Der Fahrzeugführer ist verpflichtet, die Fahrzeugsteuerung unverzüglich wieder zu übernehmen,

1. wenn das hoch- oder vollautomatisierte System ihn dazu auffordert oder

2. wenn er erkennt oder aufgrund offensichtlicher Umstände erkennen muss, dass die Voraussetzungen für eine bestimmungsgemäße Verwendung der hoch- oder vollautomatisierten Fahrfunktionen nicht mehr vorliegen.

Die Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1988 (Beschluß vom 27.10.1988, Az. 4 Str 239/88) mit seinen Anforderungen an das Führen von Kraftfahrzeugen hat also heute noch Bestand. Der "Führer" ist der Mensch und dieser muss das Fahrzeug ständig beherrschen. Damit war bereits damals der BGH seiner Zeit voraus oder die Technik ist schlicht auch heute noch nicht so weit, diese Erkenntnisse außer Kraft zu setzen.

Dies alles wird noch durch § 1e StVG weiter vertieft. Hierzu zählt die verlangte Fähigkeit des Fahrzeugs, innerhalb eines festgelegten Betriebsbereiches die Fahraufgabe selbstständig erledigen zu können, und zwar ohne dass der Fahrzeugführer in die Steuerung eingreifen muss. Gemeint ist damit, dass das Fahrzeug auch die an den Fahrzeugführer gerichteten Verkehrsvorschriften erkennen und befolgen können muss. Bei einer Verletzung von Straßenverkehrsvorschriften bzw. dann, wenn die Weiterfahrt eine solche Verletzung möglich erscheinen lässt, muss sich das Fahrzeug eigenständig in einen sichereren Zustand versetzen.

Entscheidungshilfen geben

Dies betrifft auch die oft in den Medien erwähnte Möglichkeit einer durch das Fahrzeug erfolgenden Auswahl von Rechtsgütern im (drohenden) Schadenfall. Bei dieser Güterabwägung muss menschliches Leben stets die höchste Priorität haben. In solchen Fahrsituationen muss das Fahrzeug selbstständig mögliche risikosenkende Fahrmanöver vorschlagen und dem Fahrzeugführer Entscheidungshilfen an die Hand geben. Im Ergebnis werden diese Anforderungen dazu führen müssen, dass das Auto im Zweifel schlicht stehenbleibt, bis der Fahrzeugführer seine Entscheidung getroffen hat.

Nach heutigem Verantwortungsverständnis zum Führen eines Fahrzeugs dürfte es hierzu auch keine Alternative geben. Alles, was die Maschine"Fahrzeug" in Handlungen umsetzen soll und kann, muss ihr vorher in Form von Programmierung möglicher Fallszenarien vorgegeben werden. Ein - heute noch - vielfältig überlegenes, teils intuitives, in jedem Fall aber erfahrungsgesteuertes spontanes menschliches Verhalten ist von einer mehr oder weniger autonom fahrenden Maschine wohl noch auf längere Zeit nicht leistbar. So ist auch der Halter des Fahrzeugs verpflichtet sicherzustellen, dass hier die Aufgaben der "Technischen Aufsicht" erfüllt werden.

Der § 1 f StVG behandelt Pflichten der Beteiligten beim Betrieb von Kraftfahrzeugen mit autonomer Fahrfunktion. Geregelt sind die Verpflichtungen der Beteiligtenrolle"Technische Aufsicht". Diese muss das Kraftfahrzeug für ein alternatives Fahrmanöver freischalten, sobald ihr ein solches durch das Fahrzeug angezeigt wird, und die vom Fahrzeugsystem bereitgestellten Daten eine Beurteilung der Situation ermöglichen. Befindet sich das Kfz mit autonomer Fahrfunktion in einer die Fahraufgabe beeinträchtigenden Lage, die es nicht eigenständig zu bewältigen vermag, und schlägt es ein alternatives Fahrmanöver vor, so hat die Technische Aufsicht dieses Fahrmanöver zu bewerten und freizugeben. Gegebenenfalls muss sie die Führung des Fahrzeugs selbst übernehmen. Ferner kommt ihr die Aufgabe zu, Vorschläge des Kraftfahrzeugs zu Fahrmanövern, welche geltende Verkehrsvorschriften verletzen würden, in der konkreten Situation als zulässig freizugeben. Beispiel: etwa die Umfahrung eines Verkehrshindernisses über die Gegenfahrbahn.

Die Technische Aufsicht ist in § 1 f Abs. 2 StVG umschrieben. Diese ist verpflichtet:

1. ein alternatives Fahrmanöver ... zu bewerten und das Kfz hierfür freizuschalten, sobald ihr ein solches optisch, akustisch oder sonst wahrnehmbar durch das Fahrzeugsystem angezeigt wird, die vom Fahrzeugsystem bereitgestellten Daten ihr eine Beurteilung der Situation ermöglichen und die Durchführung des alternativen Fahrmanövers nicht die Verkehrssicherheit gefährdet,

2. die autonome Fahrfunktion unverzüglich zu deaktivieren, sobald die optisch, akustisch oder sonst wahrnehmbar durch das Fahrzeugsystem angezeigt wird, ...

3. unverzüglich Kontakt mit den Insassen des Kfz herzustellen und die zur Verkehrssicherung notwendigen Maßnahmen einzuleiten, wenn das Fahrzeug in den risikominimalen Zustand versetzt wird ...

Der Technischen Aufsicht kommt damit die Rolle einer Kontrollinstanz für den Betrieb der autonomen Fahrzeugelektronik zu. Versicherungsrechtlich muss der Halter eines Kfz mit autonomer Fahrfunktion dafür Sorge tragen, dass eine Haftpflichtversicherung auch für eine Person der Technischen Aufsicht besteht.

Interessant ist in diesem Zusammenhang ein so banales Beispiel wie die Verkehrsregelung durch Polizeibeamte. Wer ist für die Beachtung von Zeichen und Weisungen von Polizeibeamten zuständig und verantwortlich? Da es sich um Verkehrsvorschriften handelt, die sich an die Fahrer beziehungsweise die Fahrzeugführung richten, trifft die Befolgungsverantwortung den Menschen. Anderes wäre auch technisch nicht leistbar. Insoweit schließt sich der Kreis zu der Verantwortung des Fahrzeugführers, jederzeit eingriffsbereit zu sein.

Situationen vorausberechnen

Abschließend bleibt festzuhalten, dass die zu entwickelnde Technik auf Seiten der Automobilhersteller wie auch die Rechtslage auf Seiten der Gesetzgebung offenbar weit komplexer als gedacht sind. Unter anderem im US-Bundesstaat Arizona, genauer einem Vorort von Phoenix, lässt die Google-Tochter Waymo schon eine ganze Weile Roboterautos als Taxis fahren - zum Teil auch ohne Sicherheitsfahrer hinter dem Lenkrad. Kunden können ihre Fahrt per App ordern und werden vom Auto dort abgeholt, wo sie sich gerade befinden.

Entscheidend für Vergleichbares in Deutschland werden Rechenleistung und Reaktionstempo der Fahrzeuge sein wie auch der Ausbau an schnellen Datenverbindungen. Die Fahrzeuge der Zukunft sollen das Verkehrsgeschehen für rund zehn Sekunden vorausberechnen können und alle möglichen Verkehrsszenarien beherrschen, und zwar überall auf der Welt. Alles in allem eine spannende und allein zur Vermeidung von Verkehrsunfällen sinnvolle Entwicklung, die auch weiterhin fortlaufende Anpassung der Rechtsrahmen erforderlich machen wird.

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