Den Verbrauch im Visier
In der Erstausrüstung ab Werk werden an die Reifenqualität besonders strenge Maßstäbe angelegt. Mercedes-Benz gehört traditionell zu den Marken, deren Messlatte für Reifen besonders hoch liegt.
So tragen die bei Mercedes-Fahrzeugen verbauten Reifen an der Seitenwand durchweg die Kennung MO (Mercedes Original) und die Fahreigenschaften unterscheiden sich vom Ersatzmarktreifen gleichen Typs mitunter erheblich. Dr.-Ing. Frank R. Klempau ist bei der Daimler AG verantwortlich für die Entwicklung neuer Rad-Reifen-Systeme und das Qualitätsmanagement der Komponenten Rad, Reifen, Fülldruck-Kontrollsysteme und Komplettradmontage. Überdies ist er zuständig für die Bereitstellung digitaler Reifendaten und -modelle. Fachleute der Autoindustrie wie Klempau bestimmen die gesamte Reifenentwicklung wesentlich mit, setzen mitunter Trends und haben die nächsten Modellgenerationen im Blick. Die Fragen an ihn stellte unser Mitarbeiter Klaus-Peter Backfisch.
Af: Sie haben ein umfangreiches und aufwendiges Programm, um die technischen Eigenschaften von Reifen zu prüfen und für Mercedes-Fahrzeuge anzupassen. Warum nehmen Sie nicht einfach Serienprodukte von namhaften Reifenherstellern?
Klempau: Dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen: Die Bedeutung des Reifens für die Charakteristik eines Fahrwerks und damit Fahrzeugs ist enorm. Somit hat die Abstimmung des Reifens auf die Fahrwerkkinematik und die Feder-Dämpfer-Eigenschaften einen sehr hohen Stellenwert. Durch geeignete Vorgabe der Reifeneigenschaften wird die Ausprägung eines Fahrzeugs entscheidend beeinflusst. Hierbei gilt es die Schwerpunkte festzulegen, etwa höchstmöglichen Komfort oder betonte Fahrdynamik, große Robustheit gegenüber Fahrbahnstörungen oder feinfühliges Ansprechverhalten. Dies bedeutet auch, dass Kriterien wie die Seitenkraftcharakteristik und das Ansprechverhalten, die dynamischen Steifigkeiten und auch die Rundlaufqualität auf das Zielfahrzeug hin entwickelt werden müssen. Des Weiteren unterscheidet sich die Auslegung eines Reifens auch danach, ob es sich um ein front- oder heckgetriebenes Fahrzeug handelt.
Af: Können Sie Ihren Testaufwand kurz beschreiben?
Klempau: Die Hardware-Entwicklung der MO-Reifen dauert etwa zwei Jahre. Während dieser Zeit wird der Reifen in verschiedenen Iterationsschleifen auf das Zielfahrzeug angepasst. Die Erprobung umfasst sowohl Indoor- (Prüfstandsversuche) als auch Outdooruntersuchungen (Fahrtests), subjektive als auch objektive Beurteilung der Reifeneigenschaften.
Af: Wie viele Kriterien werden insgesamt geprüft?
Klempau: Es werden über 25 Kriterien abgeprüft, beispielsweise auch die Montierbarkeit der Reifen, die Abwurfsicherheit bei Minderluftdruck und das Ablauf-verhalten der Reifen.
AF: Welche Prioritäten setzen Sie bei den technischen Eigenschaften?
Klempau: Oberste Priorität liegt auf den sicherheitsrelevanten Eigenschaften Schnelllauffestigkeit, Nassgriff, Längs- und Queraquaplaning und dem Bremsweg. Im Rahmen von Handling- und Stabilitätsuntersuchungen werden auch Extremmanöver abgeprüft. Ziel ist es, ein stets beherrschbares Fahrverhalten zu generieren. Als Nächstes wären komfortrelevante Eigenschaften, wie beispielsweise die Rundlaufqualität, das Abtast- und Abrollverhalten und das Reifengeräusch, zu nennen. Letzteres wird sowohl im Fahrzeug als auch in Form des Vorbeifahrgeräuschs ermittelt und bewertet. Zuletzt genannt, jedoch an Bedeutung sehr stark zunehmend, sind die ökonomischen Eigenschaften des Reifens. So fällt der Reduzierung des Rollwiderstands eine entscheidende Bedeutung zu, um den Kraftstoffverbrauch des Fahrzeugs zu verbessern. Ebenfalls wichtig für die Kundenzufriedenheit ist die mögliche Laufleistung der Reifen.
Af: Bleiben Runflat-Reifen mit Notlaufeigenschaften bei Mercedes-Benz weiterhin als Option im Angebot?
Klempau: Zurzeit werden die MOExtended-Reifen noch als Option angeboten. Bei den kommenden Baureihen werden wir das Angebot an Reifen mit Notlauf-eigenschaften ausweiten, möglicherweise bis zum serienmäßigen Verbau in verschiedenen Märkten.
Af: Ist für Sie in absehbarer Zeit eine neue Runflat-Generation in Produktion, die Ihre Vorgaben deutlich besser erfüllt als bisher?
Klempau: Die MOExtended-Reifen, die wir aktuell mit unseren Reifen-Entwicklungspartnern erproben und die teilweise bereits freigegeben sind, erfüllen unsere Ansprüche hinsichtlich Komfort in einem weit höheren Maße, als es die Reifen der ersten Generation vermochten. Ein Kunde wird hinsichtlich Abrollkomfort mit der aktuellen MOExtended-Generation keinen Unterschied zu einem Standardreifen feststellen können.
Af: Welchen Stellenwert hat der Rollwiderstand, der ja am Kraftstoffverbrauch bis zu 25 Prozent beteiligt ist?
Klempau: Traditionsgemäß einen sehr hohen. Die Optimierung des Rollwiderstands unter Beibehaltung sämtlicher Mercedes-typischer Reifeneigenschaften hat im Rahmen der Verbrauchsreduzierung höchste Priorität.
Af: Welche Verbesserungen beim Rollwiderstand sind erwünscht und nach Ihrer Ansicht in naher Zukunft realisierbar?
Klempau: Da die neuesten Technologien für Laufstreifenmischungen, Aufbau und Kontur bereits bei den aktuellen Reifen berücksichtigt werden, können gegen-über der Vorgänger-Reifengeneration Rollwiderstandsverbesserungen von bis zu 15 Prozent realisiert werden. Innerhalb der nächsten fünf Jahre sind weitere zehn Prozent Absenkung, bezogen auf das aktuelle Niveau, zu erwarten.
Af: Bei welchen Kriterien halten Sie Abstriche für vertretbar, um den Rollwiderstand zu optimieren?
Klempau: Eine Rollwiderstandsoptimierung zulasten anderer Reifeneigenschaften entspricht nicht der Mercedes-Philosophie. Würde man sich einseitig auf die Verbesserung des Rollwiderstands fokussieren, so hätte dies im „magischen Reifendreieck“ die Folge, dass Nassgriff und Reifenverschleiß sich deutlich verschlechtern würden. Daher ist es wichtig, einen sauberen Kompromiss zu finden und gezielt neue Technologien, wie beispielsweise spezielle Silane, Polymere und Ruße, einzusetzen.
Af: Muss sich möglicherweise unser bisheriges Reifenkonzept konstruktiv ändern, um den Rollwiderstand signifikant zu vermindern (schmalere Versionen, größere Durchmesser)?
Klempau: Die Reifendimension richtet sich derzeit primär nach dem jeweiligen Fahrzeuggewicht, der Maximalgeschwindigkeit und nach den fahrdynamischen Eigenschaften. Diese Abhängigkeiten, denen physikalische Eigenschaften zugrunde liegen, lassen sich nicht ohne Weiteres aufheben. Allerdings ist es richtig, dass sich bei Reduzierung der Reifenbreite Rollwiderstands- und Luftwiderstandsverbesserungen realisieren lassen, sofern die Auslastung des Reifens nicht über ein optimales Maß zunimmt. Zu bedenken ist allerdings, dass eine Vergrößerung des Reifendurchmessers in der Regel auch eine Zunahme des Radstands, der Fahrzeugausmaße und damit eine Erhöhung des Fahrzeuggewichts mit sich bringt. K.P. Backfisch
Neu für die E-Klasse: Notlaufreifen von Goodyear
Zu den Sicherheitsoptionen der neuen Mercedes E-Klasse gehört jetzt auch die soeben vorgestellte neue Generation pannensicherer Reifen von Goodyear. So ist das Modell Eagle F1 Asymmetric mit verstärkter Seitenwand bereits ab Werk in der Dimension 245/45 R 17 99Y XL ROF MOE erhältlich. Die Markierungen ‚ROF’ (RunOnFlat) und ‚MOE’ (Mercedes Original Extended) bürgen für Mobilität und beherrschbares Fahrverhalten auch nach plötzlichem Druckverlust in Folge einer Panne.
Lange zeichneten sich Notlaufreifen mit verstärkter Seitenwand durch ein geringeres Maß an Federungskomfort und höheren Rollwiderstand aus. Die neue Generation pannensicherer RunOnFlat-Reifen von Goodyear zieht nach Angaben des Herstellers in Sachen Fahrkomfort mit konventionellen Reifen gleich. „Dass sie mit unseren pannen-sicheren Reifen unterwegs sind, werden die Fahrer nur dann bemerken, wenn das Luftdruckkontrollsystem der E-Klasse einen Druckverlust anzeigt“, so Holger Rehberg. Was das in der Praxis bedeutet, macht der Goodyear Produktmanager für Pkw- und Leicht-Lkw-Reifen auch klar: „Es passiert einfach gar nichts. Im Gegensatz zu konventionellen Reifen behält man selbst bei vollständigem Luftverlust die Kontrolle über das Fahrzeug, kann seine Fahrt fortsetzen und lässt den Reifen später in einer Fachwerkstatt austauschen.“ Die neuen RunOnFlat-Modelle von Goodyear weisen offiziellem Bekunden nach denselben Rollwiderstand und Anteil am Spritverbrauch wie normale Reifen auf – dank neuer Entwicklungen im Bereich der Gummimischung. „So bringen unsere Reifen noch mehr Sicherheit für die E-Klasse, ohne die Umwelt zusätzlich zu belasten“, freut sich Holger Rehberg.
- Ausgabe 8/2009 Seite 60 (439.9 KB, PDF)