Fiktion oder Zukunftsmusik?
Telematikbasierte Risikokalkulation | Datenerhebung in Firmenwagen zur Ermittlung des Versicherungsbeitrages: So manche Flottenbetreiber sind skeptisch, während einige Versicherer an Lösungen feilen.
— Von eCall über die Versorgung der Fahrer mit Informationen während der Fahrt über Apps bis hin zu Diensten wie dem automatischen Abschluss eines Abonnements für den Internetzugang bei der Konfiguration des neuen Mittelklassekombis – ohne Option auf Ausschluss dieses Bausteins: Das technische Equipment der Autos nimmt weiter zu.
So mancher Unternehmer sieht dies mit Skepsis. Ein Beispiel: Der Fuhrparkleiter eines Herstellers von chemischen Produkten ist angewiesen, das standardmäßige Internet-Abo mit Neueinführung des neuen Mittelklassekombis zu verhindern, das als Referenzfahrzeug für den Außendienst dient.
Beweggrund ist, dass sofort ein potenzieller Zugang zu den Firmendaten bestünde, sobald die Smartphones der Mitarbeiter sich andocken und die Daten mit dem System synchronisieren. „Da wir viele Patente halten, die uns den Vorsprung im Wettbewerb sichern, wollen wir das auf keinen Fall zulassen und Einfallstore für den Klau von Betriebsgeheimnissen schaffen“, sagt er.
Auf die Frage nach den Chancen und der Gelegenheit, Kfz-Versicherungsbeiträge für die Flotte von gut 600 Firmen-Pkw über technisches Equipment zu beeinflussen oder Risikobewertungen zu erhalten, winkt er daher nur energisch ab. Ähnlich sehen es auch manche Flottenbetreiber, die weniger sensibel sind und viel Technik zur Steuerung von rein dienstlichen Funktionsfahrzeugen einsetzen. Spätestens bei Mitarbeitern mit dualer Nutzung ist die Datenerhebung zur direkten oder indirekten Steuerung von Versicherungsbeiträgen nur schwer vorstellbar.
Zurückhaltung | Diese Vorsicht unter den Flottenbetreibern dürfte ein Grund sein, warum sich die Versicherer zurückhaltend geben, wenn es um den Einsatz von Telematik und Flottensteuerungssystemen geht, um gegebenenfalls auf längere Sicht die Policen für Flotten zu beeinflussen.
Folgende Fragen haben viele Kfz-Versicherer wie die Aachen Münchener, Basler, Bayerische Versicherungskammer, DEVK, Generali, LVM, Nürnberger und VHV nicht beantwortet: 1. Welche Bedeutung bekommt Ihrer Meinung nach die Telematik respektive Flottensteuerungssysteme für die künftige Berechnung von Flottenversicherungen? 2. Arbeiten Sie an (Zukunfts-)Projekten, mit denen Sie potenzielle Flotten tracken und gegebenenfalls auf längere Sicht entsprechend dem Fahrverhalten und den Touren die Beiträge berechnen könnten? 3. Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht?
Aber auch Schwergewichte im Markt der Kfz-Versicherungen wie die Allianz äußern sich dazu nur kryptisch. Demnach sei zu erwarten, dass Telematik in der Zukunft im Flottengeschäft eine wichtigere Rolle spielen werde und bereits einige Untersuchungen durchgeführt worden seien, um zu ermitteln, wie sich die Schadenfrequenz bei Fahrzeugen entwickelt, die mit Telematiksystemen ausgestattet sind. Bei der Allianz Deutschland gebe es derzeit allerdings keinen Telematik-Tarif. Der Versicherer ergänzt jedoch: „Wir beobachten den Markt sehr genau, um bei Bedarf ein entsprechend gestaltetes Produkt anbieten zu können.“
Die Gothaer meint, dass die Telematik auf absehbare Zeit kein Thema darstelle: Es gebe heute bereits genug Risikofaktoren, an denen eine genaue risikoadäquate Berechnung des Beitrages vorgenommen werden könne, sodass aus zusätzlicher Technik keine wesentlichen neuen Risikofaktoren ermittelt würden.
Bei Signal Iduna steht sie bei Flotten ebenfalls nicht auf der Agenda. Zumindest noch nicht. Im Privatkundengeschäft liefe jedoch schon ein Pilotprojekt mit jungen Leuten.
Reserviert äußert sich die Württembergische, die gegenwärtig im Einsatz von Telematik und Flottensteuerungssystemen nur einen indirekten Einfluss auf die Beitragsentwicklung sieht. Infolgedessen würde sich dieser Effekt auch bei der Beitragsentwicklung zeigen, wenn durch diese Systeme eine effektive Reduzierung der Schadensanzahl und -höhe gegeben wäre.
Bedeutung der Telematik | Zur Bedeutung der Telematik und Flottensteuerungssysteme stellt Axa fest, dass im Markt noch keine konkreten Studien darüber existierten, wie sich der Einsatz von Telematik mittel- bis langfristig auf das Fahr- und Unfallverhalten auswirke. Da diese Systeme in der Regel recht teuer seien – besonders dann, wenn auch Daten zur Entwicklung von Unfallvermeidungsstrategien ausgewertet würden –, rechnet Axa damit, dass ein Einsatz im Fuhrpark nur sukzessive über Neuwagen erfolgen wird.
Die Alte Leipziger ist der Ansicht, dass solche Flottensteuerungssysteme eine sinnvolle Ergänzung zu den bisher eingesetzten Kalkulations- und Risikoselektionsgrundlagen in der Flottenversicherung sein könnten.
Die HDI-Gerling Industrie beobachtet dafür nur ein geringes Interesse respektive eine geringe Nachfrage im Flottenmarkt. Sie spekuliert: „Möglicherweise scheint die Verwaltung mit pauschalen Versicherungsprämien derzeit noch schlanker für die meisten Fuhrparkbetreiber zu sein und auch das Risiko oder vielmehr die Herausforderungen der datenschutzkonformen Abwicklungen eines solchen Produktes ist ein Thema.“
Kein Potenzial bei Flotten für eine telematikbasierte Berechnung sieht wiederum die Provinzial Rheinland. Dagegen offenbart sich die R+V als Befürworter, die mit der Technik neue Chancen verbindet. Der Wiesbadener Versicherer meint, dass der Einsatz von Telematiksystemen in der Flottenversicherung schadenpräventiv wirke und der Schadenverlauf nachhaltig verbessert werde, sodass dies mittelfristig zu entsprechenden Prämienreduzierungen führe. Ungeachtet dessen seien die Möglichkeiten der Fahrverhaltensmessung und -bewertung deutlich eingeschränkter als oftmals in der Öffentlichkeit dargestellt. Gleichwohl würden Flotten in der Regel nach ihrem Schadenverlauf der Vergangenheit tarifiert. Ergänzt um Risikozuschläge für unerwartete Elementarereignisse und Großschäden ließe sich das Risikoprofil eines Flottenkunden dadurch relativ gut abbilden.
Auch nach Einschätzung der Zurich werden Flotten mit ausreichend großem Volumen weiterhin in Zukunft überwiegend anhand des Schadenverlaufes der Vergangenheit, kombiniert mit Prognosen für die Zukunft, kalkuliert.
Zugleich könne jedoch ein effizient organisiertes Riskmanagement – zum Beispiel auf Basis des Ansatzes von Zurich Fleet Intelligence inklusive der Nutzung von Telematiksystemen – mit der Folge der Reduzierung der Schadenfrequenz und des Schadensaufwandes indirekt zu positiven Auswirkungen auf die Konditionen führen.
Produkte und Projekte | Wie sich die telematikbasierte Risikokalkulation in den kommenden Jahren entwickelt, beurteilen die Versicherer unterschiedlich. Für Axa sei und bleibe in der Flottenversicherung der individuelle Schadenverlauf des Fuhrparks das entscheidende Kriterium zur Beitragsfestlegung. Aber: Sollte sich durch den Einsatz von Telematiksystemen der Schadensaufwand reduzieren lassen, reduziere sich auf Sicht damit auch der Preis für die Flottenversicherung. Die Alte Leipziger stuft die zurzeit bestehenden Kalkulationsgrundlagen ebenfalls als ausreichend ein.
Im Gegensatz dazu positioniert sich die HDI-Gerling Industrie offensiv. Sie betont, dass man im Bereich der Flottenversicherung beim Thema „Telematik“ einen ganzheitlichen Ansatz verfolge, und erläutert: „Eine reine Gegenfinanzierung von Telematik über reduzierte Versicherungsbeiträge wird unseres Erachtens nicht funktionieren. Bei Vorliegen der üblichen Risikoinformationen zur Tarifierung einer Flotte, zum Beispiel Flottengröße, detaillierte Schadenhistorie über mehrere Jahre, Einsatzzweck et cetera, können wir auch heute schon die notwendige Risikoprämie sehr genau bestimmen. Also muss es im Flottenbereich um mehr gehen.“
Insofern geht der Ansatz in die Richtung, die Gesamtkosten zu reduzieren und das Flottenmanagement zu optimieren. Dazu die Hannoveraner: „Das kann dann auch beinhalten, dass es – aufgrund des Einsatzes von telematikbasierten Funktionen (Stichwort „driver behavior“) – zu weniger Schäden kommt (also der Ansatz Riskmanagement/Schadenverhütung mit Hilfe telematikbasierter Technik). Und ein solches Szenario beziehungsweise einen solchen Ansatz sind wir als Flottenversicherer dann sehr wohl in der Lage, mit zu berücksichtigen.“
Kooperation mit Bosch | Dies sei auch Hintergrund für die Kooperation der HDI-Gerling Industrie im Bereich Telematik beispielsweise mit Bosch. Die Telematik-Dienstleistungen von Bosch würden genutzt, um die Attraktivität der Flottenmanagement-Angebote für die Kunden zu steigern. Dies beinhaltet etwa Wartungsorganisation, Verbrauchsanalysen und Vergleiche innerhalb der Flotte.
Entwicklungen verfolgen | Provinzial Rheinland behält die gegenwärtige Marschrichtung bei, nach der sie die Prämien bei Flotten auf Basis der Schadenserfahrungen aus der Vergangenheit kalkuliert. Hierbei werden subjektive Risiken wie Fahrleistung, Fahrweisen und Einsatzgebiete berücksichtigt. Trotzdem verfolgt der Versicherer die Entwicklungen genau: „Ob sich die Schadensaufwendungen verringern, wenn der Fuhrparkleiter die Fahrer gezielter kontrollieren kann, wird die Zukunft zeigen.“
Ein rühriger Versicherer ist die R+V. Er betreibt nach eigenen Angaben bereits seit 2012 im Segment der Privatkunden umfangreiche Forschungen und Untersuchungen auf dem Gebiet der Telematik. Es sei jedoch zum aktuellen Zeitpunkt weder im privaten noch im gewerblichen Bereich eine Einführung spezieller Telematik-Tarife geplant.
Die Zurich bietet dagegen größeren Flotten bereits seit 2011 mit „Zurich Fleet Intelligence“ ein Telematik-Produkt an. Hierüber erhalten die Fuhrparkbetreiber Auskunft über unterschiedliche Daten des Kraftfahrzeugs, insbesondere sicherheitsrelevante Informationen, um Optimierungsmaßnahmen aufzusetzen. Welche das sind, erwähnt der Versicherer nicht.
Während einige Versicherer demnach an telematikbasierten Lösungen basteln, scheint das zumindest bei vielen Fuhrparkbetreibern mit Pkw keine Option zu sein.
| Annemarie Schneider