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Helfer in der Not

02.05.2018 06:00 Uhr
Helfer in der Not

Die elektronischen Helferlein können Unfälle vermeiden, das ist unbestritten. Doch ein Garant für sicheres Fahren sind sie nicht. Zu lange dauert ihre Verbreitung. Und eine Gefahr bleibt der Mensch.

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_ Selbstüberschätzung, eine kurze Ablenkung, ein Hindernis außerhalb des Sichtfeldes oder Müdigkeit, die sich der Lenker eines Fahrzeugs nicht eingestehen wollte: Über 90 Prozent der Autounfälle sind auf menschliche Fehler zurückzuführen. Die in Deutschland seit den 70er-Jahren von über 21.000 auf knapp 3.190 zurückgegangene Zahl an Verkehrstoten in 2017 bei gleichzeitig starkem Anstieg der zugelassenen Fahrzeuge von knapp 18 Millionen (1975) auf heute rund 46,5 Millionen zeigt aber auch: Das Fahren ist trotz des stark erhöhten Verkehrsaufkommens durch die vielen elektronischen Helferlein, die immer intelligenter werden, deutlich sicherer geworden.

50 Prozent weniger schwere Unfälle schreibt das Portal "Bester-Beifahrer.de" des Deutschen Verkehrssicherheitsrates generell dem Einsatz von Fahrerassistenzsystemen zu. Und auch das Allianz Zentrum für Technik (AZT), das durch Analyse von Unfalldaten und eigene Versuche wie Crashtests zu Unfallgeschehen, zu Reparaturaufwand und der Vermeidbarkeit von Unfällen forscht, spricht für Fahrerassistenzsysteme wie Notbremssysteme für den Front- und Heckbereich und Spurwechselwarnung eine klare Kaufempfehlung aus. "Diese drei Systeme sind aus meiner Sicht absolut empfehlenswert, weil sie Unfälle verhindern können", sagt dessen Geschäftsführer Christoph Lauterwasser.

Keine Wunder zu erwarten

Dennoch warnt er vor übertriebenen Erwartungen, die man heute haben könnte, weil man sich angesichts der vielen verfügbaren Helferlein in falscher Sicherheit wiegen könnte - nach dem Motto:"Da kann gar nichts mehr passieren." "Es werden keine Wunder geschehen, sondern es ist ein komplexes Unterfangen, Unfälle zu reduzieren", sagt Lauterwasser.

Aus seiner täglichen Praxis weiß der Automobil- und Unfallexperte: Es kommt beispielsweise trotz ultraschallbasierten Parksensoren, die durch akustische und optische Signale warnen, nach wie vor zu vielen Kollisionen. Und die Systeme, obwohl sie immer besser und intelligenter werden, funktionieren in bestimmten Situationen nicht. Beispielsweise Kamera- und Radarsysteme, die ihren Dienst gut verrichten, wenn sich der Wagen komplett hinter einem anderen befindet."Wenn der Vorausfahrende aber gerade schon am Abbiegen ist und die Fahrzeuge nur noch eine teilweise Überdeckung haben, dann funktionieren die Kamera- und Radarsysteme eben teilweise noch nicht. Das sehen wir in der Analyse unserer Unfalldaten", sagt Lauterwasser. Für die Fahrer heißt das: Sie müssen weiter aufmerksam bleiben. Solange sie kein vollautomatisiertes Fahrzeug haben, sind sie trotz der Systeme in der Verantwortung.

"Die Technik kann ein ganzes Stück unterstützen, kommt aber in den Wirkungsweisen an ihre Grenzen", findet auch Ralph Feldbauer. Dem obersten Riskmanager der Allianz ist es in Beratungsgesprächen mit Flottenmanagern ein wichtiges Anliegen, den Nutzen solcher Systeme aufzuzeigen, aber dem Fuhrparkverantwortlichen auch zu verdeutlichen, dass es sich im Falle einer Anschaffung um eine Investition in die Sicherheit handelt, die zwar die Schadenfrequenz verringern kann, aber nicht automatisch auch die Schadensaufwendungen.

Denn nicht nur, dass die Systeme in manchen Situationen nicht wirken können, gerade bei Vielfahrern kommt es zu kostspieligen Schäden, die mit Assistenzsystemen gar nicht zu verhindern sind. Neben Elementarschäden sind dies zum Beispiel auch Glasschäden, bei denen eine starke Korrelation zwischen Fahrleistung und Häufigkeit bestehe.

Teurere Ersatzteile

Zum anderen treibt auch der zunehmende Anteil an Elektronik in den Bauteilen die Regulierungskosten in die Höhe, weil die Ersatzteile dadurch teurer werden. Beispiel Scheinwerfer: Zirka 300 bis 400 Euro erstattet die Allianz Lauterwasser zufolge dafür durchschnittlich in der Schadenregulierung - bei neueren Modellen lägen die Preise aber häufig zwischen 1.000 und 2.000 Euro. Als Kostentreiber wirkt zudem die bei einer Reparatur oftmals notwendige Kalibrierung der Sensoren und Kameras, die in Stoßfängern und Windschutzscheibe verbaut sind. Mit Fahrerassistenzsystemen gebe es "also weniger Schäden, die aber teurer und komplexer sind", so Lauterwasser.

Vor überzogenen Vorstellungen warnt er auch, was die Erwartung an mehr Sicherheit im Straßenverkehr und weniger Unfälle betrifft. Dass ein Assistenzsystem bei einer Vielzahl von Herstellern für eine Vielzahl von Modellen verfügbar ist, heißt nicht automatisch, dass die Fahrzeuge auf der Straße auch zu großen Teilen damit ausgestattet sind. "Man muss sich dessen bewusst sein, dass die Entwicklung des real existierenden Fahrzeugbestands durch eine hohe Trägheit geprägt ist", sagt Lauterwasser. Es habe zwei Dekaden gedauert, bis ESP - anfänglich ein luxuriöses Extra - auf eine Verbreitung von 70 Prozent gekommen sei, die mittlerweile bei 100 Prozent der Neufahrzeuge liegt. Die Analysen zeigen, dass "selbst gut bezahlbare Assistenzsysteme ihren Weg nur mit einer gewissen Verzögerung in den Markt finden", so der Experte weiter.

Präferenz der Käufer

Das liegt nicht nur am hohen Anteil älterer Autos, die auf den Straßen unterwegs und mit den modernsten technischen Helferlein noch nicht ausgestattet sind. Denn dann könnten sich zumindest die Fuhrparkbetreiber entspannt zurücklehnen, die für einen regelmäßigen Austausch der Fahrzeuge alle paar Jahre sorgen. Es liegt auch an der Präferenz der Neuwagenkäufer - oder im Unternehmen der User-Chooser, die optional erhältliche Sicherheitsausstattungen zugunsten anderer aufpreispflichtiger Extras verschmähen.

Auch Feldbauer würde sich für Fuhrparks eine höhere Durchdringung von Fahrerassistenzsystemen bei Firmenwagen wünschen."Das könnte schon wesentlich besser sein", sagt der Riskmanager. Oftmals würden sie die Nutzer bei der Konfigurierung des Neuwagens nicht abrufen. Ein Problem sieht er auch in der mangelnden Kommunikation hierzu zwischen Fuhrparkmanagement und Dienstwagenfahrer. Der Flottenverantwortliche müsse den Nutzen der Systeme werblich an die Dienstwagenberechtigten weitergeben oder sinnvolle Systeme besser noch über die Car Policy zur Pflichtausstattung machen. In manchen Fällen fehle aber selbst ihm das Wissen um Wirkungsweise und Verfügbarkeit optionaler Sicherheitstechnik.

Sind die technischen Helferlein erst einmal an Bord, muss der Mensch sie aber auch nutzen, damit sie wirklich helfen können. Oft sei es in der Praxis aber so, dass der Fahrer die Systeme entweder gar nicht richtig versteht oder er sie deaktiviert. Beides lasse sich vermeiden, wenn dem Mitarbeiter die Systeme samt ihrer Wirkungsweise und Grenzen bei der Übergabe seines neuen Fahrzeugs erklärt würden. Als eine von vielen Maßnahmen im Riskmanagement sollte eine solche Einweisung daher fest verankert sein.

Wirksamkeit von Assistenzsystemen

Um zu bewerten, wie wirksam ein Fahrerassistenzsystem ist, zieht das AZT drei statistische Faktoren heran: erstens die Relevanz, der Anteil der Unfälle, die theoretisch maximal mit einem System vermeidbar wären. Zweitens die Effizienz - der Anteil der Unfälle, die mit einem System unter realen Bedingungen, beispielsweise unter Berücksichtigung von Witterungseinflüssen, verhindert werden könnten. Und drittens eben auch der Nutzungsgrad, zu wie viel Prozent der Fahrer dieses einschaltet. Auch dazu gibt es Studien, die verwertbare Daten liefern."Und so schmilzt so eine Erwartung schnell mal von riesigen Werten auf ein vernünftiges Maß", erläutert Lauterwasser.

Ein ganz überwiegender Teil der Unfälle ereignet sich im städtischen Bereich, wo es viele potenzielle Unfallgegner und Hindernisse gibt. Deshalb sind Notbremssysteme mit Fußgängererkennung laut AZT besonders relevant. Sie können nach eigenen Ergebnissen und nach internationalen Untersuchungen gut ein Drittel der Auffahrunfälle verhindern und das Schadenvolumen um zirka sieben bis zehn Prozent reduzieren.

Notbremssystem ein Muss

Weniger Auffahrunfälle bedeuten gleichzeitig auch weniger Verletzungen der Halswirbelsäule und damit weniger Arbeitsausfälle. Seit 2013 werden Fahrzeuge, in denen Notbremssysteme serienmäßig verbaut sind, sowohl in der Kasko- als auch in der Haftpflichtversicherung um eine Typklasse besser eingestuft. "Beim Notbremssystem empfehlen wir eine gesetzlich verpflichtende Einführung für Pkw und leichte Nutzfahrzeuge. Nicht zu vergessen: Zum Schutz von Fußgängern und Fahrradfahrern ist eine zeitnahe Einführung der Funktionalität für diese Verkehrsteilnehmer ein wichtiger Beitrag zur Verkehrssicherheit", sagt Lauterwasser."Und aus Flottensicht sind gerade Notbremssysteme ein Muss, weil diese sich zusätzlich die Ausfallkosten beschädigter Fahrzeuge anschauen müssen."

Schon bei vielen Herstellern für viele Modelle verfügbar, selbst für Kleinwagen, aber noch wenig bekannt und verbreitet ist das Notbremssystem beim Rückwärtsfahren, das Reverse Autonomous Emergency Braking (Reverse AEB). Vor dem Hintergrund, dass 40 Prozent der regulierten Schäden beim Parken und Rangieren entstehen - und häufig beim Rückwärtsfahren, hält Lauterwasser ein solches selbsttätig bremsendes System für das Rückwärtsfahren und Manövrieren für absolut sinnvoll. Zudem sei es durch seine Ultraschall-Technologie nicht kostspielig.

Mit zunehmender Qualität der Sensoren verbessern sich die Systeme weiter. Ein seitlicher Ultraschall-Sensor merkt sich heute bereits Hindernisse im Vorbeifahren: Hat der Wagen im Vorwärtsgang einen Poller passiert und fährt der Fahrer anschließend rückwärts in eine Parklücke, dann weiß der Sensor das auch noch in diesem Moment, wenn sich der Poller nicht mehr in seinem Sichtfeld befindet. So entsteht ein virtueller Schutzraum um das Auto, in dem das Auto beim Rückwärtsfahren automatisch abbremsen kann. "Ich persönlich bin überzeugt davon, dass diese Systeme gerade für Flottenmanager in den nächsten Jahren sehr interessant werden und dass es beim Kauf des Fahrzeugs ein absolut sinnvolles Kriterium ist, um gerade diese Vielzahl von Kleinschäden zu vermeiden", sagt Lauterwasser. Schließlich lasse sich durch weniger Schäden auch die Leasingrückgabe bei Vertragsende ein Stück weit vereinfachen.

Sinnvoll ist auch eine Spurwechselwarnung, die herstellerübergreifend zwar fast überall vorhanden ist, aber oft noch immer als optionale Ausstattung. Studien in den USA - und auch die Erfahrung hierzulande - zeigten zudem, dass sie von den Fahrern ganz häufig abgeschaltet würden.

Technik wird gewinnen

"Am Schluss wird die Technik gewinnen, davon bin ich überzeugt", sagt Lauterwasser. "Die Systeme werden immer intelligenter, sie werden besser über die Zeit. Und gleichzeitig werden durch Skaleneffekte und Wettbewerb zwischen den Herstellern natürlich langfristig auch die Kosten sinken." Das, so seine Überzeugung, wird auch bei den Scheinwerfern so sein.

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