Herr Hägele, Sie sind seit 2019 im Vorstand und seit Juni 2021 Vorsitzender des VMF-Vorstands. Zusammen mit Vinzenz Pflanz und Christian Schüßler bilden Sie die Spitze des Verbandes und Dieter Brandl ist als Geschäftsstellenleiter erster Ansprechpartner für Mitglieder und Interessenten. Wie kam es zur Neuformierung, die auch mit einer Namensänderung einherging?
Frank Hägele: 2018 war für den VMF prägend. Da fragten wir uns, wie wir mit dem Verband - der 1998 ins Leben gerufen wurde - weiter umgehen wollen. Hintergrund war unter anderem, dass wir einen deutlichen Mitgliederrückgang zu verzeichnen hatten. Der VMF hatte in seinen Spitzenzeiten zwölf Mitglieder und ebenso viele Premiumpartner. Aber über die Jahre, bedingt durch Branchenkonzentration und aus Compliance-Gründen bei einigen Gesellschaften, sind Unternehmen ausgetreten. 2018 war Marcus Schulz etwa ein halbes Jahr Vorsitzender des Vorstandes, als ich hinzukam und der VMF eine Grundsatzaussprache zur strategischen Ausrichtung führte. Wir haben uns damals zum Ziel gesetzt, innerhalb von zwölf Monaten den VMF moderner aufzustellen sowie inhaltlich und strategisch zu fokussieren, um ihn in der Mobilitätsbranche als den führenden Verband zu positionieren und auch einen soliden Wachstumsplan zu haben.
Wachstumsplan bedeutete, dass man sich thematisch öffnet?
Christian Schüßler: Exakt, in diesem Kontext kam ja dann auch die Umbenennung weg von "markenunabhängigen Leasinggesellschaften" hin zu "Mobilitäts- und Fuhrparkmanagementgesellschaften". Wie man jetzt ja auch sehen kann, gibt es bei den Mitgliedern einige, die keine Leasinggesellschaften sind. Mit weiteren Unternehmen befinden wir uns in Gesprächen, um den VMF noch breiter aufzustellen.
An welche Themenfelder denken Sie da?
C. Schüßler: Ein relevantes Thema, das wir gerade in einer Studie betrachtet haben, sind Auto-Abos. Die haben in den letzten Jahren Fahrt aufgenommen und es gibt dort den Wunsch einem Branchenverband beizutreten, der auch deren Interessen vertritt. Wir haben uns die Gesamtentwicklung angeschaut und eine Studie erstellen lassen. Diese gibt einen sehr guten Einblick in den Markt und zeigt Entwicklungspotenziale. Eine Rolle in dem Umfeld spielen natürlich auch Autovermieter, Leasinggesellschaften und beispielsweise Start-ups.
Sieht der VMF Potenzial bei Auto-Abos?
C. Schüßler: Ja. Das Volumen ist derzeit zwar noch überschaubar. Aber es werden enorme Wachstumsraten prognostiziert. Gerade in der aktuellen Situation, in der die Verfügbarkeit von Fahrzeugen durch den Halbleitermangel sehr problematisch ist, sind die Abo-Anbieter diejenigen, die stark frequentiert werden. Auf der anderen Seite sind auch die auf der Suche nach Fahrzeugen, um den Bedarf entsprechend decken zu können.
F. Hägele: Die Rolle vom VMF ist ja mittlerweile die, die unser Slogan aussagt: Experten für Mobilität im Wandel. Und das heißt, dass wir "Branchenthemen" auch mal als White Paper aufbereiten. Und dort wollen wir unseren Mitgliedern unsere grundsätzliche Einschätzung zum Thema Abo geben. Wir geben Orientierung, schätzen den Markt ein und zeigen die Trennlinie hin zu Miete, Langzeitmiete und Leasing.
Überbrücken Abos den Chipmangel?
C. Schüßler: Die Situation ist aktuell sehr schwierig. Abo-Anbieter haben den Vorteil, dass gerade neue chinesische Autohersteller auf den Markt wollen, die auch teils lieferfähig sind. Und die Fahrzeuge werden scheinbar von den Kunden angenommen, die aber diese Autos derzeit nicht kaufen wollen. Im Abo kann man sich flexibler auf neue Marken einlassen.
Ist die Studie auch für Nicht-Mitglieder?
D. Brandl: Die Studie können Nicht-VMF-Mitglieder durch Zahlung einer Schutzgebühr erwerben. Das war schon in der Vergangenheit so, die Nachfrage war und ist da.
C. Schüssler: Wichtig ist auch: Wir sehen uns als Kompass und Ratgeber innerhalb dieses Marktes. Deswegen haben wir auch alles rund um Digitalisierung und Künstliche Intelligenz (KI) im Blick. Das war ein Schwerpunkt unseres Branchenforums. Und aus dem Bereich KI gibt es einige Unternehmen, die wir jetzt als Mitglieder neu hinzugewinnen konnten oder werden.
Können Sie einige nennen?
D. Brandl: Ein neuer Premiumpartner ist Yoma Solutions/Globalmatix. Bei Yoma geht es um KI - nicht nur um Automotive.
C. Schüßler: Richtig, Yoma bietet Dienstleistungen wie Online-Liefertermine, sie greifen ins Dealer-Management System ein. "Predictive maintenance", also die vorausplanende Wartung, wird immer wichtiger, genauso wie Daten, die das Auto produziert, die oft aber vom Hersteller nicht freigegeben werden.
Was viele ebenfalls beschäftigt, ist die Customer Journey, die sich gerade in Anbetracht der regulatorischen Herausforderungen nur sehr komplex digitalisieren lässt. Und bei der KI sind Start-ups ja oft besser als traditionelle Unternehmen. Und deswegen will der VMF alle miteinander verknüpfen. Start-ups sind bei uns herzlich willkommen.
D. Brandl: Ein anderer Premiumpartner, der KI-basiert agiert, ist bezahl.de. Die machen Bezahlströme einfacher, sicherer sowie schneller und werden unter anderem in Werkstätten und beim Fahrzeugverkauf genutzt. Aktuell sind wir mit weiteren Mitgliedern und Premiumpartnern in Gesprächen. Türen haben sich aufgrund des Wegfalls der VMF-Fuhrpark-Mindestgröße von 30.000 Fahrzeugen geöffnet. Wir achten aber im Vorfeld darauf, dass junge Unternehmen bei ihren Produkten bereits einen gewissen Reifegrad vorweisen können.
F. Hägele: Unser Ziel war es, ab 2019 zwei neue Mitglieder pro Jahr zu akquirieren. Das hat geklappt. Momentan haben wir neun Mitglieder und 16 Premiumpartner. Insgesamt haben diese Unternehmen zirka 800.000 Fahrzeuge im Bestand. Und es kommen weitere Interessenten auf uns zu.
Was ist die größte Aufgabe für den VMF?
C. Schüßler: Wir sind aktuell alle getrieben von der knappen Fahrzeugverfügbarkeit, also von der Chipkrise, von neuen Spielern im Bereich Mobilität und Veränderungen bei den Förderungen der E-Mobilität. Daher ist es noch nicht voraussagbar, was 2022 passieren wird. Ich gehe fest davon aus, dass sich die Lieferzeiten der Fahrzeuge nicht signifikant verbessern werden. Fehlende Leasingrückläufer sind aktuell für Leasinggesellschaften eine Herausforderung. Erst recht, wenn bei der Gebrauchtwagenvermarktung so gute Ergebnisse erzielt werden können wie derzeit. Fragen sind unter anderem: Wie können Unternehmen neue Mitarbeiter mobil halten? Wie kann ich als Unternehmen darauf reagieren? Aber auch, welche Rolle die chinesischen Autohersteller spielen werden.
Gerade beim letzten Punkt müssen sich die etablierten Hersteller auf neue Konkurrenz einstellen. Es ist beeindruckend, was bei den chinesischen Herstellern an finanziellen Mitteln zur Verfügung steht und welchen holistischen Ansatz diese in Bezug auf Apps und Service verfolgen.
D. Brandl: Aus unserer Sicht wird sich die Kostenstruktur generell verändern. E-Autos sind wartungsärmer, dafür werden Schäden oft teurer. Diese Punkte müssen jetzt in den Fahrzeuglebenszyklus mit eingebunden und die Fuhrparkregelungen in den Flotten angepasst werden.
F. Hägele: Die Branchenunsicherheiten werden uns wohl 2023 noch begleiten. Und in der Zeit könnte sich auch die Rolle des Autohandels verändern. Der Direktvertrieb, den viele chinesische Anbieter wählen, wird generell zunehmen. Und die Branche muss sich darauf einstellen. Das Megathema wird die E-Mobilität und speziell die Ladeinfrastruktur sein. Da wollen wir unseren Mitgliedern die Richtung aufzeigen und mit ihnen jetzt schon in die richtigen Diskussionen einsteigen.
Das bedeutet, dass der VMF Ausschau nach Mitgliedern im Bereich Strom und Ladeinfrastruktur hält?
D. Brandl: Absolut. Das steht bei uns oben auf der Liste.
Der VMF geht also ganz klar in Richtung Elektromobilität?
F. Hägele: Wir propagieren Technologieoffenheit. Keine Festlegung auf einen Anbieter, Hersteller oder eine Antriebsart.
D. Brandl: E-Fuels sind daher ebenso ein wichtiges Thema für uns.
C. Schüßler: Digitalisierung, Elektromobilität und neue Mobilitätsarten sowie die ganze Regulatorik. Ich denke, das treibt uns alle um.
Herzlichen Dank für Ihre Zeit.