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Versprechen auf dem Prüfstand

01.05.2017 06:00 Uhr
Versprechen auf dem Prüfstand

Im Streitfall um manipulierte VW-Modelle stellt sich im Spannungsfeld zwischen taktierendem Hersteller, seinen Händlern und profitorientierten Rechtsanwälten zunehmend die Frage: Wo bleibt der Kunde?

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_ Die Diskussion um den VW-Skandal kommt zunehmend in einer völlig überfordert erscheinenden Rechtsprechung an, die zwischen den berechtigten Bedürfnissen der Verbraucher und denen des Herstellers mitunter zum Spielball taktisch agierender Rechtsanwaltskanzleien auf beiden Seiten und auch zum Teil von Versicherern wird. Auf der Strecke bleiben dabei zumeist der Kunde und die Rechtsschutzversicherungen, die am Ende einen Großteil der veranlassten Kosten werden tragen müssen.

Zunächst fällt auf, dass es in Deutschland einige Rechtsanwaltskanzleien gibt, die im Internet - genau wissend, was zu tun ist - in den Suchmaschinen sofort erscheinen, wenn man bei der Eingabe die Stichworte "VW, Skandal und Rechtsprechung" wählt. Da wird dann von Sensationsurteilen gesprochen, von geradezu einzigartigen Kanzleien im "Erfolg gegen VW", von Schadensersatz, "neuem Auto" und Rücktritt sowie von Aufrufen "jetzt handeln". Es finden sich auch Kanzleien mit Berichten, die weitestgehend neutral über bereits zu VW ergangenen Urteilen berichten; verständlich ist dies natürlich alles, denn es geht letztlich auch ums anwaltliche Geschäft, aber auch in erster Linie um vermeintlich eindeutige Urteile gegen VW, die dann gleich für einzig richtig gehalten werden und die "herrschende Rechtsprechung" darstellen sollen. Dass dabei das eine oder andere kritische oder gar unter Juristen streitige, weil doch nicht zur Verallgemeinerung geeignete Urteil nicht erwähnt wird, ist noch als der anwaltlichen Mission geschuldete Strategie verständlich. Ist dies aber auch immer richtig?

Missverständnisse bei Mandanten

Man darf dabei nicht übersehen, dass derartiges Verhalten - völlig losgelöst von standesrechtlichen Grundsätzen anwaltlicher Tätigkeit - bei rechtlich unerfahrenen Käufern zu Missverständnissen führen kann. Beweis dafür sind die auch nach derartigen Versprechungen zurückbleibenden Mandanten, die enttäuscht sind, wenn es eben dann doch nicht einfach ein neues Auto gibt. Nicht alles, was anwaltlich unterwegs ist, bestätigt die Tatsache, dass ein Rechtsanwalt standesrechtlich ein Organ der Rechtspflege ist.

Dazu kommt eine Rechtsprechung, die bisweilen arg überfordert erscheint. Da gibt es auch bei den Richtern einen Querschnitt der deutschen Bevölkerung: Solche, die sehr dogmatisch unterwegs sind, und andere, die über das eine oder andere prozessuale Problem hinwegzusehen scheinen. Und da gibt es natürlich auch die der Justiz aus gutem Grund innewohnende Vielfallt der rechtlichen Auslegung und damit auch die Vielfalt der Entscheidungsbegründungen.

Für den Käufer eines vom Abgasskandal betroffenen VW bedeutet das: Er kann derzeit nicht wissen, ob er vom Vertrag zurücktreten kann oder ob er erst nachbessern lassen muss, ob er eine Nachlieferung bekommt oder doch nur eine Minderung.

VW-Taktik: ohne Urteil keine Rücknahme

Da gibt es die offensichtlich erscheinende Taktik des VW-Konzerns und seiner Vertragshändler, in sehr vielen Fällen ein Fahrzeug nur bei Verurteilung gegen Rückerstattung des Kaufpreises zurückzunehmen. Prozesstaktisch nachvollziehbar, gesamtvolkswirtschaftlich eher nicht.

Droht eine Verurteilung zu Lasten des Herstellers, etwa vor einem Landgericht, dann wird häufig versucht, einen Vergleich mit dem Käufer zu schließen, nur um kein negatives Urteil zu kassieren; häufig mit einer Erklärung zur Verschwiegenheit der Parteien verbunden. Eine Taktik, die den Käufer halbwegs zufrieden stimmt, die beteiligten Anwälte finanziell meist zufriedenstellt und den Hersteller vor negativer Rechtsprechung - und damit vor weitergehenden Schadenersatzforderungen schützt. Die Kosten dieser Taktik zahlt die Branche der Rechtsschutzversicherer, wodurch am Ende die Prämien steigen werden.

Die Einzigen, die wirtschaftlich nur gewinnen, gleich ob der von ihnen angestrengte Rechtsstreit gewonnen oder verloren wird, sind die Rechtsanwälte. Manch einer anwaltlich vorgeschlagenen oder von Seiten des Mandanten verlangten Vorgehensweise sei die Frage entgegengehalten, ob die damit verbundenen Prozess- und Kostenrisiken auch empfohlen oder eingegangen worden wären, wenn es keine Rechtsschutzversicherung im Rücken gegeben hätte, die im Zweifel alles erstattet.

Ein einfacheres Beispiel vermag die Bedenken für die Folgen der Versichertengemeinschaft besser aufzuzeigen: Anwalt und Mandant bekommen sofort die Kritik der "Allgemeinheit" zu spüren, wenn etwa für einen Strafzettel wegen Falschparkens mit zehn Euro Verwarnungsgeld einen Anwalts- und Justizapparat für gleich mehrere hundert Euro bemüht wird. Ein Rechtsanwalt hat bei seinem Mandat das Kostenrisiko anzusprechen. Gemeint ist damit nicht der alleinige Hinweis, dass die Rechtsschutzversicherung alles bezahlen müsse und man es in jedem Falle "versuchen" könne.

Dieses System der Parteien-Kräfte einer rechtlichen Auseinandersetzung ist im Grunde trotz alledem nicht zu kritisieren, solange alle Beteiligten den gesamtvolkswirtschaftlichen Hintergrund nicht aus eigenen Interessen völlig aus den Augen verlieren.

Muss es immer ein neues Auto sein?

Muss es tatsächlich immer der dem Käufer oft nahegelegte Weg eines neuen Autos sein? Ja, werden die in diesem Themengebiet agierenden Kanzleien behaupten - es muss stets der für den Verbraucher prozessual sicherste und die Rechtspositionen wahrende Weg gewählt werden. Ob dies auch immer der Wunsch des Mandanten ist, mag in einigen Fällen bezweifelt werden. In den Internetportalen einiger Kanzleien ist die wesentliche Frage nach dem, was der Mandant denn selbst möchte, nicht unbedingt an "prominenter" Stelle zu finden.

Mitunter - so erscheint es - wird dem natürlich unwissenden und damit noch unsicherem potenziellen Mandanten nahegelegt, dass er sich sofort von dem gekauften Fahrzeug trennen muss. Zumindest werden die Gründe für ein solches Vorgehen oft deutlich stärker betont als vielleicht auch mögliche alternative Vorgehensweisen.

So war zu Beginn des VW-Skandals oft zu beobachten, dass bei kurzfristig ablaufenden Verjährungsfristen verstärkt zu einer sofortigen Klage angeraten wurde, anstatt zunächst zu versuchen, vom Händler einen Verzicht auf die Einrede der Verjährung zu erwirken, um dadurch mehr Zeit für Verhandlungen zu erreichen.

Langwierige Meinungsbildung

Die Rechtsschutzversicherungen müssen jedenfalls all das decken, was Anwälte vortragen, unternehmen zu wollen, solange die von ihnen geäußerten Rechtsauffassungen nicht völlig abwegig sind. Soll bedeuten: Solange eine Rechtsfrage noch nicht abschließend, etwa durch den BGH, entschieden oder noch in der Rechtsprechung streitig oder zumindest nicht offensichtlich erfolglos ist, muss die Versicherung als Kostenversicherer eintreten.

Dieses Dilemma einer langwierigen Meinungsbildung in der Rechtsprechung hatte auch im Januar bereits der Deutsche Verkehrsgerichtstag (VGT) in Goslar gesehen. Für Käufer der vom Abgasskandal betroffenen Fahrzeuge soll es nach dessen Vorschlag eine "Musterfeststellungsklage" geben. Betroffene sollen sich diesem Verfahren weitgehend kostenlos anschließen können.

Im Vorfeld des VGT hatten Experten beklagt, dass es viele sich unterscheidende Urteile deutscher Gerichte zu möglichen Schadensersatzansprüchen gegen Hersteller oder Händler gebe. Dies habe zu großer Unsicherheit der Verbraucher geführt, zumal es bei Einzelklagen ein hohes Prozesskostenrisiko gebe.

Bis es so einen Weg auch in Deutschland gibt, werden jedoch noch Jahre ins Land gehen. Bis dahin müssen die Käufer mit teils erheblich abweichenden Urteilen leben.

Eindeutige Urteile

Aber es gibt auch im Wortlaut eindeutige Urteile zugunsten der Käufer - wie die Entscheidung vom Landgericht (LG) Offenburg vom 14.02.2017, Az. 3 O 77/16. Der Beklagte Vertragshändler wurde verurteilt, an den Kläger einen mangelfreien, fabrikneuen, typenidentischen VW Tiguan aus der aktuellen Serienproduktion nachzuliefern, Zug um Zug gegen Rückübereignung des mangelhaften VW Tiguans. Zwar traf nach Ansicht des Gerichts der Einwand der Beklagten zu, dass der Wagen derzeit uneingeschränkt und bestimmungsgemäß genutzt werden könne. Der Käufer eines neuen Kraftfahrzeugs könne jedoch erwarten, dass dieses in vollem Umfang den aktuellen gesetzlichen Bestimmungen entspricht. Vorliegend lag eine Gattungsschuld vor. Die Nachlieferung ist aber durch die Überlassung eines Fahrzeugs der aktuellen Baureihe des Tiguans, also des "Tiguan II", mit einem anderen (neueren) Motor möglich. Mag dieses Urteil im Ergebnis auch dogmatisch Anlass zu Diskussionen geben, vielleicht sogar als juristisch falsch beurteilt werden, so zeigt es aber doch, dass bei entsprechender Begründung - ohne diese Entscheidung hier verallgemeinern zu wollen oder zu können - Urteile zugunsten der Verbraucher möglich sind. Dies wiederum bedingt, dass fundiert begründeten Klagen durch die Versicherer Deckung zu erteilen ist.

Dies zeigt aber auch, dass es von Seiten des Herstellers tatsächlich an der Zeit ist, konstruktive Vorschläge und Lösungen anzubieten, auch für eine Rückabwicklung von Verträgen. Es ist volkswirtschaftlich grenzwertig, abertausende Käufer in Prozesse zu treiben und abzuwarten, wer gewinnt. Es ist ein Pokern auf hohem Niveau, vermeintlich mit dem einzigen Ziel, nicht in allen Fällen Ersatz leisten zu müssen.

Auf der Strecke bleibt der Kunde. Derjenige, der sich einen Anwalt leisten kann, bekommt mitunter sein Geld zurück. Derjenige, der die Mittel dazu nicht hat und keine Rechtsschutzversicherung, bleibt auf seinem Schaden sprichwörtlich sitzen. Das gilt auch für denjenigen, der an einen Richter gerät, der die Sache völlig anders sieht als beispielsweise das LG Offenburg, .

Ein solches Verhalten eines Herstellers gegenüber seinen Kunden lässt tief blicken und ist nicht geeignet, Vertrauen wiederherzustellen.

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