Forschung am Reifen: Mit Staubsauger auf Partikeljagd

17.11.2025 14:56 Uhr | Lesezeit: 5 min
Reifen
Mit einer neuen Messmethode wollen die TU Braunschweig und der Hersteller Continental den Reifenabrieb beim Fahren reduzieren.
© Foto: Nokian Tyres

Wie Forscher aus Niedersachsen den Gummiabrieb messbar machen - und warum ein vibrierender Generator alles durcheinanderbringt.

Mit einer neuen Messmethode wollen die TU Braunschweig und der Hersteller Continental den Reifenabrieb beim Fahren reduzieren. Ein entsprechendes Forschungsprojekt stehe kurz vor dem Abschluss, teilten beide Partner bei der Vorstellung des Versuchsfahrzeugs in Hannover mit. Ziel sei es, die sich beim Fahren ablösenden Gummipartikel genauer untersuchen zu können - und am Ende die Belastung für Menschen und Umwelt zu verringern. 

Nicht zuletzt wegen neuer Anforderungen der EU: Ab 2028 gelten hier erstmals Regeln auch für den Abrieb von Reifen. Das neue Messverfahren soll jetzt helfen, die Anforderungen zu erfüllen. Ziel sei es zunächst, möglichst genaue Daten zum Abrieb zu erhalten und wie sich dieser je nach Tageszeit, Wetter und Fahrverhalten ändert, sagt Prof. Carsten Schilde vom Institut für Partikeltechnik an der TU Braunschweig. Das könne dann in die Reifenentwicklung einfließen. 

Schlaglöcher lassen Sensoren ausfallen 

Bei dem Versuchsfahrzeug, das diese Messung übernimmt, handelt es sich um einen mit viel Messtechnik bestückten Pick-up-Truck. Sensoren an den Seiten und auf dem Dach zählen vorbeifliegende Partikel, ein Staubsauger am linken Hinterrad saugt die sich ablösenden Reifenteilchen auf, auf der Ladefläche werden sie dann gesammelt und gehen später zur Analyse ins Labor. Das sei wie beim Hausputz daheim, sagt Schilde. "Ich halte den Staubsauger in der Ecke und schaue, was kommt." 

Wobei der Sauger selbst nicht am Rad befestigt wurde, sondern auf der Ladefläche. Nur das Saugrohr schwebt auf einem kleine Gestellt direkt hinterm Reifen. Das Problem dabei: Sauger und Messtechnik brauchen viel Strom. Sehr viel sogar und mehr, als das Auto selbst liefern könnte. Deshalb läuft ständig ein Generator, der den Strom liefert. Und den zieht der Testwagen auf einem Anhänger hinter sich her. 

Ursprünglich, so erinnert sich Schilde, sollte die Stromquelle direkt auf der Ladefläche des Versuchsfahrzeugs stehen. Doch der Generator habe so stark vibriert, "dass er alles an Sensorik verfälscht". Deshalb kam er auf den Anhänger. Und auch ansonsten habe es immer wieder Fehlschläge gegeben. Bei der Fahrt durch ein Schlagloch sei schon mal die Messtechnik ausgestiegen. "Das Messgerät ist halt sehr empfindlich." 

Testfahrten auch auf öffentlichen Straßen 

Bereits seit Mitte 2023 läuft das Forschungsprojekt, das vom Land gefördert wird. Die TU Braunschweig steuerte Sensoren und Messtechnik bei, Continental das Versuchsfahrzeug samt Staubsauger. Und dann sei die Konstruktion im stetigen Austausch zwischen beiden Partnern immer weiter verbessert worden. "Das war immer so ein Ping-Pong-Spiel."

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Gefahren wurde vor allem auf abgesperrten Teststrecken in Hannover, aber zum Teil auch im normalen Straßenverkehr. "Wenn ich einen Trecker auf der Landstraße überhole, ist es etwas anderes, als wenn ich auf der Autobahn fahre", sagte Schilde. "Das sieht man dann sofort an den Sensoren." Und auch das Wetter und die Fahrweise hätten massive Auswirkungen. 

Conti will Erkenntnisse teilen 

Im Kern gehe es hier um Grundlagenforschung, sagt Matthias Haufe, Leiter Materialentwicklung bei der Conti-Reifensparte. "Um erst mal genau zu verstehen, wie unter den verschiedenen Bedingungen der Reifenabrieb funktioniert." Die Ergebnisse wolle man daher nicht für sich behalten. "Wir sind jetzt dabei, die Ergebnisse zusammenzuführen und auch in wissenschaftlichen Fachartikeln zu veröffentlichen", sagt Haufe. 

Zugleich profitierten aber auch die eigenen Produkte. "Erste Ergebnisse des Projekts sind bereits in unsere Reifenentwicklung eingeflossen", sagte Haufe. Das werde Conti auch mit Blick auf die neuen EU-Regeln ab 2028 helfen. Für Reifen gelten dann erstmals Grenzwerte für den Abrieb. 

Ohne Abrieb kein Grip 

Ganz vermeiden lässt sich der Abrieb aber nicht. "Auf Null geht nicht", sagt Edwin Goudswaard, Leiter Forschung und Entwicklung des Reifenbereichs. Weil ohne Abrieb kein Grip und ohne Grip keine Haftung auf der Straße bei Beschleunigen, Bremsen, Spurhalten, in der Kurve. "Ja, das ist ein Zielkonflikt", sagt Benjamin Oelze, Leiter Testmethodenentwicklung bei Conti. Hier müsse man nun die richtige Balance finden. 

Das Gros der Partikel, die sich ablösen, messe im Schnitt rund 100 Mikrometer. "Ungefähr so dick wie ein Haar», sagt Goudswaard. Nur rund drei Prozent des Abriebs sei so klein, dass er als Feinstaub in die Lunge eindringen könne. Ein Teil des Abriebs bleibe schlicht auf der Straße liegen, ein Teil werde wohl weggeweht oder weggespült. So genau sei das bisher noch nicht erforscht. Klar sei nur: "Keiner sieht Berge von Abrieb am Straßenrand." 

Forschung wird noch 10 Jahre dauern 

Dabei ist die Erforschung des Abriebs bei Reifen an sich ein alter Hut. "Der Reifenverschleiß - also wie stark sich ein Reifen abnutzt - wird erforscht, solange es Reifen gibt", sagt Conti-Mann Oelze. Schließlich bedeutet weniger Abrieb eine längere Laufleistung und damit mehr Effizienz

Die Detail-Untersuchung der sich ablösenden Partikel sei dagegen noch ein vergleichsweise neues Forschungsfeld. Und das, so fügt Haufe hinzu, werde die Reifenbranche wohl noch bis Mitte der 2030er-Jahre beschäftigen. Die nun gesammelten Daten dürften dabei aber noch lange von Nutzen sein, ist Prof. Schilde überzeugt: "Die Daten sind, glaube ich, auch noch für die nächsten 20 Jahre brauchbar." Schließlich wisse heute niemand, was sich daraus noch alles herausholen lasse.


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