Opel Omega MV6: Gentleman aus Rüsselsheim

11.11.2025 11:11 Uhr | Lesezeit: 5 min
Der Opel Omega MV6 war Mitte der 1990er Jahre eine schnelle Limousine für die Langstrecke gemacht.
© Foto: Michael Blumenstein

Der Opel Omega war so etwas wie der Gentleman unter den Dienstwagen der 1990er Jahre: groß, unaufgeregt und distinguiert. Autoflotte fuhr den Opel Omega MV6.

Wir schreiben das Jahr 1995. Helmut Kohl ist Kanzler, das Schengen-Abkommen tritt in Kraft (Grenzkontrollen fallen peu à peu weg) und der Bosnienkrieg endet. Das Internet bekommt die ersten Webbrowser, Microsoft kommt mit Windows 95 ums Eck. Spiegel Online und Ebay gehen an den Start und Amazon verkauft sein erstes Buch übers „Netz“. Einige von uns haben das Siemens S10 oder Nokia 2110 am Ohr. Andre Agassi und Steffi Graf beherrschen die Tennis-Szene und Schumi ist wieder Weltmeister. Reebok Pump (die hat Michael Chang an den Füßen) ist der letzte Schrei, Bomberjacken und Neonfarben sind ebenso modisch angesagt. Und in Rüsselsheim? Da gibt es seit einem Jahr einen neuen Stern mit Blitz, den Opel Omega in seiner zweiten Generation.


Opel Omega MV6

Seitenansicht des Opel Omega vor dem Opel Design-Zentrum in Rüsselsheim Bildergalerie

Lieber Opel als Audi

Die hessische Limousine der oberen Mittelklasse konkurrierte mit Mercedes E-Klasse, BMW 5er und mit dem Audi A6 (der bis 1994 Audi 100 hieß). Dass der Omega B relevant war, belegen seine Produktionszahlen. Alleine die Variante vor Facelift (1994–1999) rollte knapp 616.000-mal aus den Werken in Rüsselsheim und Ellesmere Port (England), vornehmlich als Limousine. Die Caravan-Zeit (Kombi) folgte ab Ende der 1990er. Hinzu kamen rund 90.000 Exemplare (inklusive Faceliftmodell) des Cadillac Catera, der ebenfalls in Rüsselsheim gebaut und in den USA verkauft wurde. In Australien kannte man den Omega als technisch und optisch abgewandelten Holden Commodore, in Südafrika und einigen arabischen Staaten wurde diese Version als Chevrolet Lumina angeboten. Zum Ende seiner Laufbahn wurde in Australien sogar ein V8 implantiert.

Opel Omega V8 mit Corvette-Motor

Apropos V8. Auch den hatte Rüsselsheim in einer Geheimaktion für den Omega B ab dem Jahr 2000 (Faceliftversion des Omega B) vorgesehen. Jedoch schafft es der 5,7-Liter-Hubraummotor aus der Corvette nie zur Serienreife im Opel Omega. „Luft- und Getriebearmut“ im Serieneinsatz machten sowohl der 310 PS starken V8-Limousine als auch dem V8-Caravan letztendlich den technischen Garaus.Im Rüsselsheimer Werksverkehr fuhren zwei der Prototypen aber noch zwei Jahrzehnte danach und im Opel-Museum ist noch immer einer der insgesamt zehn produzierten „Sleeper“ zu sehen. Mehr Understatement hat es im Automobilbau wohl nie gegeben. Wir begnügen uns auf unserer spätsommerlichen Ausfahrt Richtung Rheingau mit dem V6-Topmodell, das tatsächlich kaufbar war. MV6 war zwischen 1994 und Ende 1996 die Bezeichnung für Opels Topmodell. Am Heck des großen Opel fand sich kein Omega-Schriftzug, lediglich Opel (links) und MV6 (rechts). Bleiben wir gleich beim V6. Ein rein mechanisches, seidenweiches Triebwerk mit drei Litern Hubraum und 24 Ventilen, Aluminiumköpfen und Ausgleichswellen. Kein Turbolader – die gab es zu damaliger Zeit nur bei Saab und Volvo und den Kompressor hatte nur Mercedes, ebenfalls für die Vierzylinderbenziner –, keine Spielerei. Ein ehrlicher Saugmotor mit solide verteiltem Hubraum auf sechs Töpfe.

Gesamtcockpit von oben durchs Schiebedach des Opel Omega B fotografiert
Klar gegliedert, aufgeräumt und einfach zu bedienen. Das Interieur des Opel Omega MV6 überrascht nach 30 Jahren positiv.
© Foto: Michael Blumenstein

Der Opel Omega besitzt Details, die wir vermissen

Der Dreh des Zündschlüssels endet erst einmal auf „Klemme 15“. Das bedeutet „Zündung an“ und wir lauschen dem Erwachen des Omegas. Die Benzinpumpe klackt, die Lüftung schlürft und der mit feinem Leder bezogene Komfortsitz surrt elektrisch angetrieben in die richtige Position. Spiegel links summt ins Blickfeld, Spiegel rechts ebenso. Ratsch, die Gurthöhe wird auf die Körpergröße eingestellt. Das Wetter ist erstklassig, also Schiebedach elektrisch angetrieben nach hinten fahren lassen. Ein Druck aufs Philips-Radio und HR1 untermalt das Szenario zeitgenössisch.

Boxlegende Max Schmeling war der Erstbesitzer genau dieses MV6, der jetzt in der Rüsselsheimer-Sammlung zu finden ist. Der Opel-Fan packte alles ins Topmodell, was es gab. Tempomat, Zwei-Zonen-Klimaautomatik, Bordcomputer, Sitzheizung und Wurzelnußholz. Sogar ein elektrisch ausfahrbares Heckrollo, bedienbar per Taste in der Mittelkonsole, ist an Bord. Hinten saß es sich sowieso luxuriös und das Platzangebot war für eine knapp 4,80-Meter-Limousine gut. Zwar gab es im Fond noch keine Sitzheizung, dafür aber Aschenbecher in den Türen, Zigarettenanzünder und Luftausströmer in der Mittelkonsole. Und: Seitenscheibengebläse im Fond. Eine Spezialität, die dem MV6 vorbehalten war. Von vorn konnte der Fahrer per Schalter im unteren Bereich des Armaturenträgers die Luft aus den Lüftungsgittern der oberen Fond-Türverkleidung ausströmen lassen. Kleinigkeiten, die das Besondere ausmachen – heute fast undenkbar. Ein CD-Wechsler befindet sich im Kofferraum rechts hinter der Seitenverkleidung. Sechs CDs passen in den Philips DC012, die über das Philips SC804-Radio abspielbar sind. Der Klang? Aus heutiger Sicht maximal „okay“.

Echte Entspannung verspürt der dschungelgrüne Omega jedoch durch den angenehmen Duft des patinierten Leders, durchs Klicken der Tasten und die Einfachheit bei der dennoch vorhandenen Fülle an Einstellmöglichkeiten. Dieser Omega stellt niemanden auf die Probe und bietet doch fast alles, was man heute möchte. Teilweise sogar mehr, wie die grandiose Übersichtlichkeit, die kaum ein Automobil der Neuzeit mehr bietet. Anteil daran haben nicht nur die großen Fensterflächen und dürren Dachsäulen, sondern auch die Rahmenkopfstützen. Warum gibt es eigentlich keine Rahmenkopfstützen mehr? Leute, macht das doch mal wieder!


Opel Omega MV6

Preis (1995): 64.825 DM
V6/2.962 ccm
155 kW/210 PS|270 Nm bei 3.600 U/min.
8,5 s|232 km/h
4-Gang-Automatik
Verbrauch: 11,5 l
Maße: 4.788 x 1.786 x 1.455 mm
Kofferabteil: 530 Liter
Versicherung: HK 14|VK 11|TK 19 (Einstufung im Jahr 2025)
Wartung: jährlich/15.000 km
Garantie: 1 Jahr (seit 1997 zwei Jahre)



Wenn der V6 des Opel Omega erwacht

Also, jetzt aber: Zündschlüssel ganz rumdrehen und der V6 erwacht. Sonor schnurrt der zahnriemengetriebene Dreiliter mit 750 Touren im Bug. Für damalige Verhältnisse war er sehr laufruhig. Eine Tugend, die vornehmlich den Reihensechszylindern zugeschrieben wurde. Anschnallen, Wählhebel der Viergang-Automatik auf D ziehen und erhaben anrollen. Die ersten 20 Kilometer gehen wir gemächlich an. Keine Ahnung, wie lang dieser Omega zuvor in der Oldtimer-Werkstatt unbewegt stehen musste.

Irgendwann bei der Autobahnauffahrt kitzelt es aber dann doch im rechten Fuß. Also Kickdown. Schneller als erwartet greift der zweite Gang und lässt die Kurbelwelle bis über 6.000 Touren drehen, bevor Gang drei reinfliegt und – da Gas rausgenommen wurde – direkt der vierte, und Drehzahl sowie rauchiger Motorsound sinken. 160 km/h fühlen sich gut an. Die kleinen 15-Zoll-Räder (205/65) harmonieren sauber mit dem aufwändigen Mehrlenker-Fahrwerk an der Hinterachse. Die Lenkung vermittelt ein straffes Gefühl und ausreichend Kontakt zum Asphalt. Der Omega pfeilt leise durch den Wind. Sein cw-Wert: unter 0,30, auch als V6. Und damals gab es Doppel- oder Akustikverglasung lediglich im Mercedes W140 – eine andere Liga. Für die Klasse darunter machte der Omega seine Sache extrem gut. Wer objektiv verglich und den Preis (rund 25 Prozent weniger) mit ins Kalkül zog, verzichtete schnell auf die Premiummodelle – außer bei denen, die dem Nachbarn imponieren wollten.

Runter von der Autobahn. Dank paritätisch ausgeglichener Gewichtsverteilung – fast 50:50 – liegt der MV6 lange neutral, sicher und fahrdynamisch ehrlicher als die meisten Fronttriebler aus der damaligen Zeit. In der Mainzer Innenstadt erfreut das Automatikgetriebe mit fast unspürbaren Schaltvorgängen und der 1,6-Tonner federt zudem sanft über vorhandene Straßenmacken. Hier und da knarzt es im Gebälk – das wirkt bei einem 30 Jahre alten Automobil jedoch sympathisch. Nach einer „Autoflex-Runde“ durch Mainz, die wohl niemand außer uns als solche wahrgenommen hat (von Rüsselsheim bis Mainz sind es 15 Kilometer und Opel gehört zum Stadtbild), fahren wir über einen Bogen mit tempofreier Autobahn zurück zum Tor 55. Tacho 220? Kein Thema für den Oldie, er liegt wie ein Shinkansen auf dem Asphalt und hat Reserven. Hier und da gucken jetzt doch einige „Steuervermeider“ mit ihren E-Kennzeichen-SUV-Platzverschwendern.

Am Ende der Tour drücken wir uns durch den Bordcomputer. 15,8 Liter/100 km – zum Glück passen 75 Liter in den Tank. Wir drehen den Zündschlüssel nach links, lassen die Tür mit einem satten Klonk zufallen, lassen per Schlüssel die Türknöpfe mit einem Klack runter, lauschen dem Knistern der Krümmer und nehmen das Flair der vergangenen 30 Jahre mit nach Hause.

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