Bremsen gibt es auf dem Weg der Elektromobilität immer noch eine Menge, obwohl die Technik weniger komplex ist als beim bewährten Duo Verbrenner/Benzin. Das Stromnetz und die Strompreise sind im Moment die augenscheinlichsten Showstopper für Flottenbetreiber, die wissen, dass die laufenden Kosten am Ende die Mobilitätsrechnung schreiben. Ein zweiter Hemmschuh schließt sich hier an: die Infrastruktur. Dem Mangel an zuverlässigen AC-Ladern in allen Großstädten einerseits steht ein zweites Phänomen entgegen: das Laden in der Tiefgarage.
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Das gelingt nach (in der Regel) Absprachen mit dem Vermieter für das Errichten von Ladepunkten und einem aktiven Lastmanagement bei vielen Firmen mittlerweile gut, wenn nicht die Netzabdeckung zum Hindernis wird. Denn Ladekarte (oder Token oder App) und E-Auto verbinden sich erst über den Weg ins Netz miteinander, um Fragen nach Authentifizierung, Lade- und Bezahlmodi zu klären. Kein Netz, kein Laden.
Von Google zu Hey Charge
Dass das nicht überall reibungslos klappt, kann man nachvollziehen, oder man kann darüber berichten, wie es Chris Cardé tut. Chris kommt gerade aus seiner Heimat von einer zweiwöchigen US-Tour für sein Lade-Start-up Hey Charge und erinnert sich an einen Erweckungsmoment, der zur Gründung eben jener Firma führte. Chris kam bereits zur Jahrtausendwende an der Uni in Kalifornien in Kontakt mit den ersten EVs.
Einmal gepackt vom Stromer-Virus, kam er nicht mehr los davon, weshalb er sich früh an Problemen störte, die die neue Technik mit sich brachte. Jahre später, als Chris von den USA nach München zog, um für Google an den Themen Google Maps Automotive und Android Auto zu arbeiten, scheiterte das Laden seines Stromers in der Tiefgarage seiner Mietwohnung. Einer musste dieses Problem lösen. Und das war er.
Gefragt war eine Lösung, die möglichst zu vielen Mietkonstellationen passt und die am Ende skalierbar ist - und damit für jeden erschwinglich wird. Die Profitabilitätsrechnung ist aus Sicht von Chris simpel, denn die günstige Bluetooth-basierte Technik von Hey Charge, die einem kurzzeitigen Offline-Laden gleichkommt, steht dem teuren Signalverstärken in der Tiefgarage entgegen. Zudem ist der Bausatz der eigenvertriebenen Charger so simpel, dass er von jedem Installateur verbaut werden kann.
"Und der Installateur ist die wichtigste Person, wenn es um den schnellen Ausbau von Ladeinfrastruktur geht", sagt Robert Lasowski. Mitgründer und Mitgesellschafter von Hey Charge. Wir treffen beide in deren Büro-Testfeld-Garage.
Bluetooth als Datenzugang
Die Lösung für Chris Problem heißt also Bluetooth, die Kommunikationstechnik aus den 1990er Jahren, die Geräte drahtlos zu Netzwerken vereint, in Anlehnung an die Politik des historischen dänischen Königs namens Harald Blauzahn. Das darauf aufbauende Ökosystem hat mittlerweile auch Vonovia überzeugt. Ende 2024 schloss man eine Partnerschaft mit dem Wohn-Riesen, der laut Robert rund 500.000 Apartments und über 110.000 Parkplätze im Bestand hat, die nach und nach elektrifiziert werden können. Das Potenzial ist also definitiv da.
Von einem solch namhaften Partner träumt jedes Jungunternehmen, da dessen Anwesenheit die eigene Visitenkarte größer werden lässt. Über eine Empfehlung gab es den ersten Kontakt, der nach fast zwei Jahren in einer Partnerschaft mündete, so dass Hey Charge bei bundesweiten Projekten als Ladepartner agieren soll. Als Referenz diente die Zusammenarbeit mit einem zweiten klangvollen Namen in Real Estate: Meag. Die Tochter der Munich-Re-Gruppe nutzt bereits seit einigen Jahren die Technik des Start-ups für Tiefgaragen von Bürogebäuden. Überzeugen konnte man beide Partner durch Kostenvorteile und Zuverlässigkeit. Was auch etwas mit Sicherheit zu tun hat. Denn niemand sollte sich etwa per App fürs Laden in der Tiefgarage anmelden und beim Herausfahren dann die App einfach löschen können. Das verhindert eine tokenbasierte End-to-End-Verschlüsselung, die die Offline-Verbindung sicher macht.
Zweiter Markt für Hey Charge ist USA
14 Mitarbeiter kümmern sich um das gesamte Ökosystem, bestehend aus der Hardware, die noch zugekauft und gelabelt wird, was aber künftig auch eine eigene Linie (mithilfe eines koreanischen Partners) werden soll, der Software, der Wartung und dem Kundensupport - und das Ganze für die USA und Deutschland. Das geht nur, wenn man sich nicht verzettelt und, wie es Chris nennt, das perfekte Produkt für den perfekten Markt hat.
Wobei die USA seinen Erzählungen nach fragmentiert sind und in Fragen der E-Mobilität volatil agieren. Deutschland und Europa sind hier stringenter, aber am Ende geht es in beiden Märkten darum, zentimeterdicke Stahlbetonwände zu überwinden, um in der Tiefgarage zu laden.
Beide Gründer verstehen die E-Mobilität in ihrer Komplexität (nicht in der Technik, aber im Zusammenspiel vieler Akteure), was am beruflichen Background liegt. Robert kam über Sixt in die mobile Welt. Dort lernte er die Chancen und Hindernisse von Blue-tooth als Übertragungstechnik kennen, als die Pullacher begannen, ihre Carsharingflotte für die Handynutzer zu öffnen. Dann ging er zur Ergo-Versicherung, die eine Abteilung für Mobilitätsthemen etablierte. Als Mentor kam er zu Hey Charge, dem Start-up von Chris, der selbst in den Staaten etwa für Mercedes-Benz gearbeitet hat, bevor es ihn zu Google zog.
Hey Charge: Offline-Roaming
Auch für Chris spielt das Wort "Zuverlässigkeit" die Hauptrolle in der Hey-Charge-Story, denn wenn die Technik ohne Probleme in Deutschland funktioniert, können international agierende Kunden sie überall nutzen. Dafür gibt es viele Angebote für die Kunden. Auch ein Öffnen für weitere Ladenetze (Roaming für eMSP, also E-Mobility Service Provider) ist möglich.
Was technisch anspruchsvoll ist, da es ja keine permanente Internetverbindung gibt. Als Pilot für dieses Offline-Roaming startet man eine Kooperation mit einer der führenden Roaming-Plattformen und öffnet das Produkt für Mehr-Karten-Anwendungen, wie sie in Flotten üblich sind.
Am Ende bieten die Münchner künftig auch ein klassisches Online-Charging an. Eine Gateway-Box für die Datenübertragung hat man längst im Portfolio, was vor allem für DC-Charger interessant sein soll.
Hey Charge: In-Car-Payment für Polestar
Eine speziell für Poolfahrzeuge smarte Lösung ist das Bezahlen per App im Auto (in-car-payment), wie es heute schon an der Tankstelle für einige Verbrenner funktioniert. Für das Zahlen an der Ladesäule geht es unter anderem bei Polestar-Modellen. Hier ist die Hey-Charge-App im Zentraldisplay hinterlegt als Anwendung im vorhandenen Android-Automotive-System. Damit steht es auch anderen offen.
Was bringt das Unternehmen voran? Der Kunde mit seinen Anfragen, sagen beide Firmenchefs. Dafür muss das Grundmodell störungsunanfällig sein, denn jede Extraschleife bringt Sand ins Getriebe, der nur langsam wieder rauszubekommen ist. Das geht nur, wenn man die Einzelteile selbst im Griff hat, also produziert.
Die Software, also die App als Zugangsmethode, die Abrechnungssoftware, die Plattform und das Lastmanagement werden alle inhouse programmiert und für das Kunden-szenario auf Rentabilität getrimmt. Denn eines haben alle Player auf dem Spielfeld der E-Mobilität in den letzten drei Jahren gelernt: Die Zeit des Geldverbrennens ist vorbei.
Es tut sich also sehr viel hier im Büro-Werkstatt-Testing-Labor in der Münchner Innenstadt, sodass Hey Charge zu sehr vielen Themen im künftigen Ökosystem Laden bald "Hey" sagen kann.