496,22 km/h – im nicht enden wollenden Wettbewerb um das schnellste Auto der Welt gibt es eine neue Bestmarke. Zum ersten Mal wurde diese von einem Auto aus China gesetzt. Dass dieser Titel irgendwann wieder weitergereicht wird, gilt als sicher. Doch im September 2025 gehörte der Augenblick allein dem Konzernriesen BYD und seinem vollelektrischen Hypercar Yangwang U9X.
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Mitte des Monats jagte der deutsche Rennfahrer Marc Basseng den Wagen auf dem Hochgeschwindigkeitsoval im niedersächsischen Emsland zu einer neuen Bestmarke. Eine Woche später, am 20. September, kehrte BYD an denselben Ort zurück, diesmal mit großem Gefolge und Kameras. Der Konzern erklärte den Erfolg offiziell und inszenierte ihn als Symbol dafür, dass man nicht nur Stromer für den Alltag baut, sondern auch technische Ausnahmeerscheinungen, die in bislang unerreichbare Dimensionen vorstoßen können.
Für BYD ist es der zweite Rekord innerhalb weniger Wochen. Bereits im August hatte der U9 Extreme – so der volle Name der vom Elektrosportwagen U9 abgeleiteten Highspeed-Variante – den Titel des schnellsten Elektroautos der Welt geholt. Mit 472 km/h setzte sich Basseng deutlich von seiner eigenen, vormals im japanischen Hypercar Aspark SP600 aufgestellten Marke von 439 km/h ab. Allerdings blieb er noch deutlich unter der antriebsübergreifenden Rekordmarke des Bugatti Chiron von 490 km/h. Nun hat der U9X in einem erneuten Anlauf die vom VW-Konzern gesetzte, prestigeträchtige Gesamtmarke übertroffen. Und das hat auch viel Symbolkraft.
BYD U9X (2025)

BYD schien es nicht zu reichen, nur Erster unter den Elektrikern zu sein. Man wollte die Gesamtkrone. Wochenlang hatte man nach dem ersten Rekord im August in Papenburg die Bedingungen studiert und auf eine trockene Strecke sowie günstigen Wind gewartet. Als der Slot kam, beschleunigte Basseng den U9X innerhalb einer Stunde in zwei Fahrtrichtungen auf Geschwindigkeiten nahe 500 km/h. Der Durchschnitt der Messungen ergab 496,22 km/h – der neue Weltrekord war aufgestellt. An diesem Tag fällt auf dem ATP-Testgelände in Papenburg immer wieder das Schlagwort "China-Speed".
Ein Begriff, der längst zum Synonym dafür geworden ist, mit welchem Tempo sich die chinesische Autoindustrie an die Weltspitze gearbeitet hat. Bei der vor allem für die Medien inszenierten Präsentation tritt auch Stella Li, Vizepräsidentin von BYD, auf. Sie wirkt freundlich und fast zurückhaltend, spricht mit sanfter Stimme und einem beständigen Lächeln, macht aber unmissverständlich klar, worum es geht: Der U9X sei der Beweis für die enorme Leistungsfähigkeit von BYD, denn 99 Prozent der Bauteile und des Know-hows stammten aus dem eigenen Haus.
BYD: Können eigener Ingenieure eingesetzt
Anders als andere Newcomer, die ihre Hypercars bei spezialisierten Manufakturen einkaufen, habe BYD allein auf das Können der eigenen Ingenieure gesetzt. So sei in nur vier Jahren nicht nur ein Rekordwagen entstanden, sondern gleich eine ganze Luxusmarke, deren Modelle schwimmen, springen, sich auf der Stelle drehen – oder eben Weltrekorde brechen können. Nur bei den Reifen vertraute man einem Partner: Giti. Die für extreme Geschwindigkeiten maßgeschneiderten und damit wohl ziemlich teuren Pneus werden, wie Basseng erklärt, aus Sicherheitsgründen nach jeder Fahrt jenseits der 400 km/h gewechselt.
Für die Journalisten vor Ort fährt Basseng zwar keine neue Bestmarke, er zeigt aber, wozu der U9X fähig ist. Anstelle von 16 Zylindern, die einen donnernden Hall erzeugen, treibt ein leiser E-Antrieb den Wagen mit allerdings infernalisch lauten Windgeräuschen zweimal über 400 km/h. Von außen wirkt es fast schon surreal, wie schnell das Auto auf der nur wenige Kilometer langen Geraden vorbeirauscht, um sogleich vor der Steilkurve kräftig in die Eisen zu treten. Basseng erklärt, 400 km/h seien noch relativ einfach. Aber darüber hinaus wird es für Mensch und Material extrem. Auch die Steigerung von 472 auf 496 km/h sei kein kleiner Schritt, sondern ein Sprung an die Grenze des Machbaren.
Technik des U9X
Möglich macht dies die Technik des U9X. Vier Motoren mit zusammen 2.176 kW oder knapp 3.000 PS treiben den 2,5 Tonnen schweren Wagen an. Die flüssiggekühlten Aggregate sollen bis zu 30.000 Umdrehungen pro Minute aushalten. Hinzu kommt eine 1.200-Volt-Elektro-Architektur, für die es keinerlei Standardkomponenten im Pkw-Bau gibt. Strom liefert BYDs hauseigene Blade-Batterie, die eine hohe Leistungsabgabe und thermische Sicherheit verspricht.
Das Vergnügen, einen U9X fahren zu können, wird nicht allein Basseng vorbehalten bleiben. BYD will das Extremauto in einer Kleinserie von 30 Exemplaren bauen. Jedes Fahrzeug wird individuell nach Kundenwunsch gefertigt und ist nur für den Einsatz auf Rennstrecken geeignet. Preise nennt BYD nicht, doch sie dürften astronomisch ausfallen. Die Nachfrage sei dennoch deutlich größer als das Angebot, versichert Stella Li. Wer weniger Exklusivität, aber immer noch extreme Leistung sucht, kann auf den straßenzugelassenen U9 mit rund 1.300 PS und einer Höchstgeschwindigkeit von über 300 km/h zurückgreifen.
Für BYD ist dieser Rekord mehr als nur eine Prestigefrage. Er soll uns auch mit dem enormen Potenzial des Konzerns vertraut machen. Der Riese aus China will in Europa wachsen, wobei Deutschland eine Schlüsselrolle spielen soll. Der neue Deutschlandchef Lars Bialkowski will das BYD-Händlernetz hierzulande bis 2026 auf 350 Standorte ausbauen. Zudem stünden mehrere neue Modelle, darunter ein elektrisches B-Segment-SUV, in den Startlöchern. Innerhalb von zwölf Monaten will man in Deutschland 50.000 neue BYDs verkaufen.
Frühjahr 2026: Offizieller Start des Denza Z9 GT
Es bleibt jedoch nicht bei der Kernmarke: Im Frühjahr 2026 erfolgt der offizielle Start des Denza Z9 GT, der als Plug-in-Hybrid und in einer vollelektrischen Version verfügbar sein wird. Letztere ist für den neuen Megawatt-Ladestandard Flash gerüstet. Mit dem Start der Marke Denza will BYD zugleich ein Netzwerk von Flash-Chargern etablieren. Bis 2027 sollen in Europa 3.000 dieser Säulen mit einer Ladeleistung von bis zu 1.000 kW entstehen. Alles einmal mehr mit China-Speed.
Und wie sieht es mit Yangwang in Deutschland aus? "2027", sagt Li auf Nachfrage. Die Vertreter von BYD Deutschland bleiben in ihren Aussagen vorsichtiger. Vielleicht 2027, aber dann eventuell unter einer anderen Marke wie Denza. So oder so: Der Yangwang U9 muss nach Deutschland kommen, denn nur hier lässt sich das Potenzial der zweisitzigen Fahrmaschine legal im Straßenverkehr ausfahren.
Fallen die magischen 500 km/h bald? Basseng bleibt zurückhaltend. Für ihn zählt im Augenblick der Rekord von 496,22 km/h. Vielleicht hat dieser sogar für längere Zeit Bestand. Sollte ein anderer irgendwann schneller sein, dürfte BYD vermutlich zum Konter ausholen. Basseng ist überzeugt, dass das nächste Rekordauto ebenfalls elektrisch sein wird. Für Verbrenner sei hier Schluss, während der E-Antrieb noch Potenzial habe, sagt er. Für ihn ist klar: Die Frage nach der Zukunft des Autoantriebs, speziell bei der Jagd nach neuen Geschwindigkeitsrekorden, ist schon jetzt entschieden.