Fahrzeugentwicklung von gestern ging so: Der Hersteller nimmt ein Fahrgestell, baut einen Benzin-, Diesel- oder Elektromotor ergänzt mit einer Elektronik samt Dutzenden Steuergeräten ein und hofft, dass alles ein Autoleben lang hält.
In neuen Fahrzeugen hingegen dreht sich alles um die Elektronik. Im sogenannten Software defined Vehicle (SDV) werden die meisten Funktionen nicht mehr rein mechanisch oder hardwarebasiert gesteuert. Steuergeräte und Sensoren sind auch nicht mehr wie ein wirres Netz miteinander verwoben. Vielmehr schwebt bei der zentralisierten Architektur über allem eine Art Super-Computer, der alle Systeme steuert. Dadurch entfällt das Gros der Steuergeräte, was Kosten senkt. Wie beim Smartphone lassen sich per Update neue Funktionen aufspielen oder Fehler beheben, ohne dass der Wagen dazu in die Werkstatt muss.
Renault Estafette Concept

Die Autoindustrie investiert derzeit Milliarden in die Entwicklung solcher Software, denn sie entscheidet, wie gut ein Auto künftig funktioniert und welche Funktionen es hat. Es ist ein Rennen gegen die Zeit, und gegen die übermächtige chinesische Autoindustrie, die hier einen großen Vorsprung hat.
Das Software-basierte Fahrzeug wird aber nicht immer ein Pkw sein. Das zeigt ein Blick auf Renault. Die Franzosen wollen Mitte 2026 eine neue Transporter-Familie mit SDV-Technik auf den Markt bringen. Als erste Renaults sollen der Kastenwagen Trafic, der davon abgeleitete Volumentransporter Goelette sowie das Kurierfahrzeug Estafette eine flexible, skalierbare SDV-Architektur bekommen. Entwickelt wurde sie von der hauseigenen Elektronikschmiede Ampere.
Renault Austral (2025)

Der Schritt zeigt, welchen Stellenwert die Franzosen dem Geschäft mit leichten Nutzfahrzeugen einräumen. 2024 war gut jeder Vierte weltweit verkaufte Renault ein Transporter oder Lieferwagen. Und bis 2030 rechnen die Franzosen mit einer jährlich um 30 bis 40 Prozent wachsenden Nachfrage nach Elektro-Transportern.
Renault: "Weit mehr als nur eine Innovation"
"Das Software-definierte Fahrzeug ist weit mehr als nur eine Innovation", sagt Antoine Vuillaume, der bei der Renault-Tochter Ampere das SDV-Projekt leitet. „Es wird die gesamte Automobilbranche revolutionieren.“ Wie die meisten Branchenexperten ist Vuillaume der festen Überzeugung, dass Software bis in wenigen Jahren gut ein Drittel des gesamten Fahrzeugwerts ausmacht.
Renault Espace (2026)

Für Gewerbekunden sind SDV besonders attraktiv, da die Open-Source-Systeme über Schnittstellen für Fremdsoftware verfügen. Flottenbetreiber können also ihre Transporter mit eigenen Managementsystemen vernetzen, was das Tagesgeschäft vereinfacht. Wenn Kurierfahrer Aufträge nicht auf einen eigenen Laptop, sondern direkt ins Bordsystem eingespielt bekommen, nur noch mit einem Klick bestätigen müssen und die Navigation sie sofort auf den Weg bringt, so beschleunigt das die Abläufe.
Für Fahrzeuge mit spezifischen Funktionen wie Krankenwagen, Kühltransporter oder Abschleppwagen kann man eigene Apps entwickeln. Sie steuern die speziellen Funktionen des Fahrzeugs und werden ebenfalls über den Multimediabildschirm bedient. Auch Wartung und Reparaturen lassen sich besser planen. So meldet das vernetzte Fahrzeuge frühzeitig, dass demnächst neue Bremsbeläge fällig sind oder andere Reparaturen anstehen.
Renault Captur EDC 160 Esprit Alpine

Bei Problemen bekommen Flottenmanager per Ferndiagnose sofort einen Überblick, woran es hapert, und können im besten Fall Gegenmaßnahmen einleiten. Der gesamte Fuhrpark lässt sich so besser steuern, was im besten Fall Zeit und Kosten spart.
All dies beeinflusst auch den Wertverlust. Branchenexperten rechnen damit, dass sich Fahrzeuge, deren Software kontinuierlich über die Cloud aktualisiert wurde, leichter verkaufen lassen und einen höheren Preis erzielen. Das dürfte sich vor allem bei Nutzfahrzeugen auswirken, die in der Regel länger gefahren und intensiver genutzt werden als Pkw. Anders gesagt: Solange die Software gepflegt und weiterentwickelt wird, so lange bleibt auch das Fahrzeug relativ aktuell.
Das Software definierte Fahrzeug birgt aber auch Risiken: Besitzer von Autos der Marke Fisker zum Beispiel merkten dies Ende vergangenen Jahres. Nachdem der Hersteller Insolvenz angemeldet hatte, gab es vorübergehend keine Updates mehr. Mit der Folge, dass bei etlichen Fahrzeugen Probleme auftraten und manche Funktionen nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr zur Verfügung standen.