Weniger Platz aufgrund fortwährend „wachsender“ Fahrzeuge sollte eigentlich dazu führen, dass klardenkende Menschen gegensteuern. Und trotzdem wird das nächste Auto meist länger, breiter, stärker, schwerer. Denn was soll der Nachbar denken, falls man mit einer Nummer kleiner anrollt? Oder: Den will ich mir schon gönnen … Ob es hingegen direkt ein BYD Dolphin Surf sein muss, ist freilich gewagt.
BYD Dolphin Surf (43 kWh)
BYD Dolphin Surf: guter Kleinwagen, aber sehr teuer
Fangen wir anders an: Kleinwagen werden zunehmend zur Mangelware. Deren Verkaufspreise sind kaum mehr kleinwagentypisch und Käufer oft nicht bereit, für weniger „Material“ gleich viel oder gar mehr zu bezahlen. Hinzu kommt, dass man eigentlich gar keine luxuriösen Kleinwagen mehr bestellen kann. Luxuriöse Kleinwagen? Die gab es, und die wurden angenommen. Denn ein gewisses Klientel möchte zwar Luxus, aber keinen Gigantismus. Italiener waren bekannt dafür, kleine Autos fein auszustaffieren. Lancia Ypsilon, Fiat 500 und sogar Fiat Panda gab es mit Ledersitzen, Klimaautomatik, Schiebedach, edlen Lackierungen oder Kollaborationen mit Designern und sie verkörperten Feinstes im Kleinstformat. Warum? Weil in Mailand, Turin und Rom der Platz in den Städten schon immer eng war. Es ergibt keinen Sinn, dort mit einem Audi Q7 unterwegs zu sein. Noblesse wollen die Herren in Zegna und Damen in Valentino aber auch vom kleinen Auto – und sicherlich nach wie vor.
Pech gehabt, die Zeiten sind (fast) vorbei. Lediglich Audi bietet den A1 noch mit Individualisierungsmöglichkeiten zum Träumen an. Und selbst wer den 95-PS-Basisbenziner wählt, kann helles Leder, Sonos-Soundsystem, LED-Scheinwerfer mit Reinigungsanlage, 17-Zoll-Räder, Klimaautomatik und automatisch abblendbaren Innenspiegel als Einzelextra ordern und fährt mit diesem untermotorisierten Blender zum Termin vor das Hotel Principe di Savoia in Mailand und wird höflichst vom Concierge erwartet. Ein Lime Green lackierter BYD Dolphin Surf stört diese Szenerie irgendwie. Er sieht hochbeinig, schwachbrüstig und nicht ganz durchdesignt aus. Die 16-Zoll-Räder in Kombination mit den steilen Karosserieflächen haben großen Anteil an seinem zaghaften Auftritt.
Die kleinen 185er-Reifen tragen auch zur bescheidenen Traktion bei, die man einem 88-PS-E-Auto gar nicht mehr zutraut. Dafür ebnen sie in Kooperation mit Dämpfern und Federn die schlechten Straßen recht souverän. Dass die Lenkung an Indirektheit kaum zu überbieten ist, merkt vermutlich jeder und stört wohl kaum jemanden. Gut 10 Meter Wendekreis sind für einen Kleinwagen prima und innerstädtisch oft auch gefordert.
Ein echtes Manko sind die Halogenscheinwerfer, wie sie in der Basisversion und in der gefahrenen „Boost“ installiert werden. Sie geben in etwa so viel Licht ab wie eine sehr gute Fahrradlampe – nur, dass man mit dem Radl eher Tempo 30 fährt und nicht 150.
Großer Innenraum im BYD Dolphin Surf
Wir steigen ein und freuen uns über den hohen Türausschnitt. Gerade für kurze Fahrten und häufiges Ein- und Aussteigen sind sie perfekt geeignet. Das Raumangebot ist exzellent – und zwar für vier Personen. Selbst hinten sitzen niederländische Hünen (die im Schnitt größten Männer der Welt) bestens. Vorn lässt sich das Gestühl sogar elektrisch justieren. Allerdings steht einer gesunden Sitzposition das lediglich horizontal verstellbare Lenkrad im Weg. Störend ist zudem die Spiegelung des Armaturenbretts in der Windschutzscheibe sowie die massiven Dachsäulen, die den Blick nach draußen relevant behindern. Und nach hinten sieht man unter Umständen gar nichts. Der Heckscheibenwischer fehlt einfach.
Dafür freut man sich über eine sehr vernünftige Materialauswahl und haptische Erlebnisse, die im Kleinwagensegment selten zu finden sind – auch früher. Schade, dass BYD dann an einer Minimal-Gummierung der Ablagen spart. Schlüssel, Handy etc. rutschen lautstark herum oder verlassen auch mal den vorgesehenen Ort im Flugmodus.
Eine erstaunlich stringente Lenkradbedienphilosophie wird durch ein paar physische Schalter in der Mittelkonsole ergänzt. Hier dreht man beispielsweise die passende Fahrstufe rein, um den Dolphin Surf in Bewegung zu setzen. Ungewohnt, aber keineswegs verkehrt. Apropos drehen: BYD-typisch lässt sich das 10,1 Zoll große Display auf Knopfdruck (im Lenkrad) drehen. Lieber Hoch- oder Querformat? Geschmackssache. Oder aber vorgegeben, sofern man Apple Carplay nutzt, dann ist das Querformat gesetzt. Das Display selbst wirkt in der Darstellung wenig hochwertig. Gerade in dem Punkt, in dem die Chinesen angeblich weit vorn sein s/wollen, merkt man in den Europa-Versionen nichts vom angeblichen Vorsprung. Immerhin ist die Reaktionsgeschwindigkeit bei Toucheingaben gut, wenngleich viele Icons zu klein und damit wenig treffsicher während der Fahrt sind.
Selbst belegbare Schnelleingabeoptionen zeigen sich nach dem Herunterwischen der Bildschirmoberfläche. Zumindest dann, wenn man genau hinsieht. Denn die Beschriftung der Shortcuts ist trotz des üppig vorhandenen Platzes unnötig klein. Die Menüstruktur in den Systemtiefen ist teils logisch, teils komplett verworren (es gibt keine 1-Schritt-Zurück-Funktion) und einige Übersetzungen ergeben einfach keinen Sinn: „Kabinen-Wahrnehmung“, „Fahrzeug Aufforderungvolumen“ und „Ladeanschluss-Wegfahrsperrsystem“ sind nur einige Beispiele. Ähnlich konfus agiert die Fahrerüberwachung, die sich nur in den Tiefen der Menüs abstellen lässt, oder eben permanent nervt. Dafür sind Tempowarner und Spurassistent zwar keineswegs auch nur annähernd fehlerfrei, aber so zurückhaltend ausgelegt, dass man beide Assistenzsysteme gar nicht abstellen will.
BYD Dolphin Surf ist für Europa verlängert
Der BYD Dolphin Surf ist für Europa um rund 22 Zentimeter verlängert worden und einige Details wurden angepasst (siehe Textende). Und dennoch ist er nicht für Europa in allen Belangen Europa-Kompatibel, wie beispielsweise beim Empfang von DAB- und FM-Sendern. Das mag daran liegen, dass DAB nur in Europa (und Australien) empfangbar ist, weltweit aber keine Rolle spielt. Es macht die Sache aber nicht besser, denn diese Technik ist nun mal Standard. Der Aufbau des Radiomenüs und die Bedienung sind ebenfalls fragwürdig. Besser also, man streamt via Smartphone-Spiegelung.
Generell ist der kleine BYD zwar mit Technik und Ausstattungsdetails vollgestopft. Das mögen einige Kunden, treibt aber auch den Preis des Dolphin Surf in schwindelerregende Höhen. 27.000 Euro (brutto) werden für die getestete Ausstattungslinie Boost (mittlere) fällig und dennoch gibt es in der Version keine Sitzheizung, kein LED-Licht, keine induktive Handyladefunktion. Wer das möchte, zahlt 30.000 Euro für die Version „Comfort“. All das ist viel zu viel. Denn dafür gibt es den extrem charmanten (und guten) Renault 5 mit identisch großem Akku, 122 PS Leistung, exzellenter Verarbeitung und einem Design, bei dessen Anblick so ziemlich jeder dahinschmilzt. Selbst der Basispreis des Dolphin Surf mit mickriger 30-kWh-Batterie liegt bei noch immer strammen 23.000 Euro. Dafür gibt es bereits den Citroen e-C3 mit 113 PS (urban range, 30 kWh), Made in EU (Slowakei) oder Serbien, je nach Zufall.
Beim Thema Laden bringt der Dolphin Surf alles mit, was man von einem Kleinwagen erwartet. 85 kW DC-Ladeleistung sind kurzzeitig realisierbar und okay, 11 kW an der Wallbox Standard. An der Wallbox werden wohl auch die meisten Ladevorgänge stattfinden. Trotz der hohen WLTP-Verbrauchsangabe von 15,6 kWh ist es uns innerstädtisch problemlos gelungen, den Dolphin Surf an warmen Tagen mit 12 kWh zu fahren. Somit ergaben sich vernünftige Reichweiten dank des 43-kWh-Akkus der Ausstattung Boost. Jedoch lag der Langzeitverbrauch auf 2.226 Kilometern bei 16,8 kWh (ohne Ladeverluste) – zu viel, für ein solch 88-PS-Elektroauto. Wer meint, mehr zu benötigen, wählt für 3.000 Euro Aufpreis die Topversion Comfort: selber Akku, gut 150 PS Leistung. Nötig? Vielleicht wegen der Sitzheizung und des LED-Lichts.
So muss festgehalten werden, dass BYD mit dem Dolphin Surf keineswegs einen schlechten Elektro-Kleinwagen auf die Räder gestellt hat. Wohl aber einen, der in der Ausstattungslinie Comfort um 10.000 Euro (oder gut 30 Prozent) übers Ziel hinausgeschossen ist. Elektrische Sitzverstellung, drehbarer Touchscreen, V2L (Stromanschluss für externe Geräte, die mit bis zu 3,3 kW geladen werden können) … wer braucht das? Günstige (und gute) Kleinwagen braucht das Land. Die Chance dafür hatte der BYD Dolphin Surf. Und in China ist der Dolphin Surf zwar 21 Zentimeter kürzer, hat einen 75-PS-E-Motor an Bord und lädt den 30-kWh-Akku mit maximal 30 kW: Dafür kostet er aber auch schmale 8.500 Euro. Danke für nichts, BYD Deutschland.