Jörg Reimann ist CEO des Ladeinfrastrukturbetreibers Digital Charging Solutions, dessen Netz gerade viele OEM-Ladekunden nutzen. Wir sprachen mit ihm über faire Preise, Blockiergebühren und die neue Art des Ladens in den Innenstädten.
Autoflotte: Herr Reimann, lange galt die Reichweitenangst als Ausschlusskriterium gegen die E-Mobilität. Ist das immer noch so?
Jörg Reimann: Die Reichweitenangst war lange das medienwirksamste Argument gegen die Elektromobilität, spielt heute aber in der Praxis kaum noch eine Rolle. Wer ein E-Fahrzeug erst einmal fährt, stellt schnell fest: Die Ladeinfrastruktur ist zuverlässig und die tägliche Nutzung funktioniert problemlos – das Thema hat sich faktisch erledigt. So haben wir Mitte dieses Jahres die Marke von 1 Million Ladepunkten in Europa geknackt.
Autoflotte: Zufrieden sind dennoch nicht alle E-Auto-Fahrer mit der Ladeinfrastruktur. Können Sie das nachvollziehen?
Reimann: In Deutschland stehen DCS-Kunden bereits rund 180.000 Ladepunkte zur Verfügung, das Netz ist technisch hervorragend ausgebaut – sowohl was AC als auch HPC betrifft. Die durchschnittliche Auslastung liegt allerdings immer noch nur bei gut 17 Prozent, was klar zeigt: Die Infrastruktur ist da, nun müssen die Fahrzeuge nachziehen. Dass dies in der öffentlichen Wahrnehmung anders aussieht, liegt auch daran, dass das mediale Narrativ der „Ladewüste“ schwer zu korrigieren ist.
Autoflotte: Die Ladewüste in der Innenstadt betrifft lokal das AC-Laden. Wie würden Sie das bewerten?
Reimann: AC-Laden bleibt ein relevanter Use Case, insbesondere für urbane Nutzer und gewerbliche Flotten. Aber: Der Ausbau in den Städten stockt, die Ladegeschwindigkeit ist im Vergleich zu HPC begrenzt – und genau diese Geschwindigkeit wird künftig entscheidend sein. Deshalb setzen wir uns dafür ein, auch in Innenstädten stärker auf Schnellladeparks und depotnahe Lösungen zu setzen.
Autoflotte: Was bremst den Ausbau in Innenstädten – Genehmigungsverfahren oder fehlende Flächen?
Reimann: Das Hauptproblem sind nicht die Flächen, sondern die langwierigen und komplexen Genehmigungsverfahren. Wir brauchen dringend eine Vereinfachung dieser Verfahren, etwa durch digitale Genehmigungsportale und überarbeitete Schwellenwerte bei Ausschreibungen, um Planungssicherheit und Investitionsgeschwindigkeit zu erhöhen.
Autoflotte: Was müsste passieren, damit Laden in Deutschland wirklich günstiger wird?
Reimann: Der Schlüssel liegt in echter Preistransparenz – nicht in Subventionen oder radikaler Regulierung. Wenn alle Anbieter ihre Konditionen offenlegen und keine versteckten Kosten oder Diskriminierungen mehr möglich sind, wird der Wettbewerb den Preis automatisch im Sinne der Kunden regulieren. Transparenz ist die stärkste Marktregel.
Autoflotte: Ein Aufregerthema sind die Blockiergebühren. Erfüllen diese ihren Zweck?
Reimann: Blockiergebühren sind ein sinnvolles Mittel, um Ladevorgänge nicht unnötig zu verlängern und die Verfügbarkeit zu erhöhen. Das Problem liegt weniger in der Gebühr selbst, sondern in der oft mangelnden Transparenz – viele Nutzer wissen nicht, wann und wie sie greift. Das erzeugt Unmut, den wir regelmäßig in unseren Callcentern spüren. Auch hier ist Transparenz das beste Mittel, Akzeptanz bei den Nutzern zu erzeugen: Bei den Ladeservices von DCS sind Blockiergebühren in der App vor Beginn des Ladevorgangs deutlich ausgewiesen.
Autoflotte: Können Flottenkunden Blockiergebühren überhaupt sinnvoll abrechnen?
Reimann: In der Praxis ist das für viele Flotten heute noch schwer umsetzbar, weil die Prozesse dafür komplex und kostspielig sind. Die separate Erfassung und Abrechnung dieser Gebühren gegenüber Mitarbeitenden steht oft in keinem Verhältnis zum Aufwand – das wird sich mit intelligenteren Abrechnungslösungen künftig aber deutlich verbessern.
Autoflotte: Apropos Abrechnung. Die Rückerstattung der im Ausland gezahlten Mehrwertsteuer ist für viele Flottenbetreiber ein ebenfalls aufwendiges Thema. Wie blicken Sie darauf?
Reimann: Als paneuropäischer Anbieter stellen wir die Rechnungen inklusive der jeweiligen Landes-Umsatzsteuer aus. Unternehmen haben dann grundsätzlich die Möglichkeit, die Vorsteuer lokal geltend zu machen – das funktioniert, ist aber administrativ aufwendig, da jedes Land seine eigenen Regeln und Sonderwege geht. Ein EU-weiter harmonisierter Rahmen würde hier enorm helfen.
Autoflotte: Preisliche Sonderwege sind momentan beim Laden wieder opportun. Ist die variable Preisgestaltung an der Ladesäule kundenfreundlich oder intransparent?
Reimann: Grundsätzlich ist die Tarifvielfalt in Ordnung. Denn einerseits fördert sie den Wettbewerb und andererseits spiegelt sie die vielfältigen Nutzungsverhalten der Fahrer wider. Gleichzeitig sorgen die vielen Tarife aber häufig für Verwirrung, gerade bei Gelegenheitsnutzern. Ladeverträge bieten breiten Netzzugang und Planungssicherheit. Wer allerdings hauptsächlich ad hoc lädt, sieht sich häufig mit höheren Preisen konfrontiert. Die Branche muss deshalb dringend für mehr Preis- und Tariftransparenz sorgen, vor allem über Apps und Portale.
Autoflotte: Warum sind die Preise an den Ladesäulen, speziell in Deutschland, so schwer vergleichbar?
Reimann: Viele Nutzer haben noch kein Gefühl dafür, was eine Kilowattstunde eigentlich kostet – anders als beim Literpreis an der Tankstelle. Erschwert wird das durch starke Preisunterschiede zwischen Vertragskunden, Ad-hoc-Nutzern und regionalen Anbietern. Einige Betreiber optimieren ihre Preise bewusst auf Kosten der Transparenz – das untergräbt das Vertrauen in den Markt.
Autoflotte: Der Vorwurf, dass gerade Ad-hoc-Lader ungerecht hohe Preise zahlen, steht schon länger im Raum. Was kann man tun, um hier mehr Fairness zu erreichen?
Reimann: Die AFIR-Regulierung (Alternative Fuels Infrastructure Regulation) der EU ist ein wichtiger Schritt, um mehr Transparenz und Fairness im Markt durchzusetzen – etwa durch verpflichtende Preisangaben oder diskriminierungsfreie Zugänge. Wir setzen darauf, dass die nächste Novellierung bestehende Schlupflöcher schließt und gezielter gegen Anbieter vorgeht, die Ad-hoc-Kunden überteuerte Preise zumuten.
Autoflotte: Wird es künftig Premium- vs. Discount-Ladeanbieter geben – wie bei Tankstellen?
Reimann: Die Differenzierung wird kommen – sei es über Service, Standort, Zusatzangebote oder Preisstruktur. Mineralölkonzerne mit Ladeinfrastruktur setzen auf Markentreue und Komfort, etwa mit Kaffee, Shop oder Waschstraße. Andere Anbieter punkten über Preis und Verfügbarkeit – entscheidend ist, dass der Kunde die Wahl hat und die Konditionen klar erkennbar sind.
Autoflotte: Der Weg zur Ladesäule führt für viele Nutzer über Android Auto und Apple-Carplay. DCS-Kunden werden in der Regel über die Fahrzeug-Navis gesteuert, was gerade das Vorkonditionieren der Batterie erst ermöglicht.
Reimann: Wer das OEM-Navi nutzt, profitiert etwa von der Vorkonditionierung der Batterie, was die Ladeleistung spürbar verbessert. Zudem sind oft bevorzugte Ladepreise integriert, weil wir mit den Herstellern spezielle Konditionen verhandeln. Diese Funktionen greifen nur bei vollständiger Integration ins Fahrzeug – nicht bei Drittanbieter-Apps.
Autoflotte: Wie bewerten Kunden eigentlich Ladepunkte – und hilft das wirklich weiter?
Reimann: Es gibt Ratingfunktionen, auch bei uns über Kommentare und Sterne. Das hilft erfahrenen Nutzern, ist aber für die Masse wenig relevant – die meisten Kunden erwarten, dass es einfach funktioniert, ohne sich vorher Bewertungen durchzulesen. Wichtig bleibt daher vor allem eine stabile Infrastruktur und nochmals: die Transparenz.
Autoflotte: DCS ist in 30 Märkten in Europa aktiv. Wo in Europa wächst der Lademarkt am schnellsten – und warum nicht immer da, wo man denkt?
Reimann: Die größten Wachstumsraten sehen wir derzeit in Osteuropa – etwa in Estland (über 100 %), Bulgarien (50 %) oder Polen (30 %). Das Wachstum ist dort zwar auf niedriger Basis, aber sehr dynamisch. Volumenmärkte wie Frankreich und Deutschland bleiben zentral, mit Deutschland als langfristigem Schlüsselmarkt für rund 50 Prozent des europäischen Ladevolumens.
Autoflotte: Sie sprachen das Depotladen in der Stadt als Zukunfts-Szenario an. Wann wird es das in der Fläche geben?
Reimann: Erste Projekte laufen bereits in urbanen Industriegebieten und auf Park+Ride-Flächen. Auch aufgegebene Kfz-Betriebe oder alte Industrieareale werden umgewidmet. Gerade in mittelgroßen Städten mit begrenztem Platz macht ein gezielter Depotausbau viel mehr Sinn als kleinteilige AC-Lösungen – das denken inzwischen auch viele Kommunen so.
Herzlichen Dank, Herr Reimann, für das Gespräch.